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Sunday, August 19th, 2018
Die offizielle Geschichte zum Zweiten Weltkrieg, die in der Vergangenheit vom Thyssen Komplex herausgegeben wurde, war dass Fritz Thyssen die Nazis eine Zeit lang unterstützt hatte, er aber gegen den Krieg gewesen sei und daher aus Deutschland floh, festgenommen wurde und in ein Konzentrationslager kam. Von seinem Bruder Heinrich wurde gesagt, er sei ein Ungar gewesen und in der Schweiz wohnhaft, sodass überhaupt keine Verbindung zu Deutschland oder gar zum Nationalsozialismus bestanden hätte. Nachdem wir in unserem Buch „Die Thyssen-Dynastie“ (2008) aufgezeigt hatten, dass dies nicht der Wahrheit entspricht, lancierte die Fritz Thyssen Stiftung als Antwort eine akademische Reihe, in die sich dieser Band eingliedert. Er befasst sich vor allem mit Berichterstattungen über die Thyssens in verschiedenen Zeitungen und ist der längste der Serie, mit 546 Seiten, weshalb sich diese Besprechung auf 20 Seiten erstreckt. Das Buch setzt die allgemeine Tonlage der Reihe fort, nachdem die einzelnen Autoren zwar Informationen veröffentlichen, die den alten Thyssen Mythen klar widersprechen, diese Mythen jedoch nichtsdestrotrotz weiter aufrecht erhalten werden.
Wie wir sehen werden würde Felix de Taillez diese Haltung als „vollkommen verständlich“ qualifizieren, da die Thyssens und die Thyssen Unternehmen „einen guten Ruf zu verteidigen“ haben. (1997 fusionierte die Thyssen AG mit der Krupp AG zur Einheit thyssenkrupp, welche sich gegenwärtig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet). Das bevorzugte Mittel von de Taillez, um berechtigte Kritikpunkte zu vermeiden ist es, etwas als „bemerkenswert“ zu bezeichnen. Er verwendet diesen Ausdruck ausgesprochen oft, was ein äusserst gestelltes Bild ergibt. „Bemerkenswert“ ist ein vager Ausdruck, den man in einer akademischen Arbeit nicht in dieser hohen Frequenz erwartet. Es scheint, als würde de Taillez so eine Atmosphäre von „Spin“ erschaffen, welche Menschen ohne Vorkenntnis des Themas umgarnt. Dies birgt die Gefahr seine ansonsten exzellente historische Arbeit in ein Werk der Public Relations zu verwandeln.
Für die Allgemeinheit sieht es so aus, als würde Felix de Taillez diese beiden Gesichter der Medaille äußerst gut zuwege bringen und es erstaunt nicht, dass er es zu einer verantwortungsvollen Position als Referent der Präsidentin der Universität der Bundeswehr in München gebracht hat, die für die Ausbildung des deutschen Offizier-Korps zuständig ist. Aber es gibt Unstimmigkeiten in seiner Buchpräsentation und da seine Thesen jetzt mit der deutschen Staatsräson in Einklang stehen sollten, gibt dies Anlass zur Sorge. So verspricht seine Online Präsenz an der Ludwig-Maximillians-Universität:
„(Dieses Projekt) wird die Brüder Fritz und Heinrich Thyssen als EINHEIT GERADEZU KOMPLEMENTÄRER GEGENFIGUREN interpretieren, DENN DER SCHEINBAR UNPOLITISCHE HEINRICH AGIERTE, WENN AUCH VERDECKT, MINDESTENS SO NACHHALTIG POLITISCH wie Fritz. Mediale Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit erscheinen in dieser Perpektive als ABGESTIMMTE STRATEGIE POLITISCHEN HANDELNS“.
Diese Aussage scheint eine willkommene, neuartige Ehrlichkeit zu versprechen und doch erstaunt sie gleichzeitig, denn sie erscheint nicht im Buch selbst und ist tatsächlich gar nicht repräsentativ für dessen Ausarbeitungen. Im Band selbst wird Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Medienabstinenz tenorartig weiterhin damit erklärt, dass er im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren in jungen Jahren in London schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht und sich danach mit seiner Heirat 1906 als unpolitischer, ungarischer Adeliger aus dem öffentlichen (v.a. dem deutschen!) Leben komplett zurückgezogen habe.
Dies ist die Version, welche auch die Familienmitglieder seit jeher propagiert haben. Erst kürzlich wieder ließ sich Francesca Habsburg née Thyssen-Bornemisza im Financial Times Weekend Magazine als österreichische Thronanwärterin und Enkelin eines „ungarischen Barons“ feiern. Was sicherlich angenehmer ist, als Heinrich Thyssen-Bornemisza korrekterweise als bürgerlichen, deutschen Waffenhersteller und Nazi Banker preisgeben zu müssen; besonders, wenn man sich, wie Habsburg-Thyssen, im schönen Schein der teuren Kunst sonnt, die die Familie, zumindest teilweise, mit den Profiten dieser verwerflichen Aktivitäten erstand.
Selbst der von Felix de Taillez für seine Arbeit gewählte Titel ist auffallend irreführend, suggeriert er doch, dass beide Brüder, und zwar als bürgerliche Mitglieder der Gesellschaft, gleichwertig und gewollt in der Öffentlichkeit verankert gewesen seien. Dabei sahen sich die ja gerade diese Thyssen Brüder gar nicht als Teil des Bürgertums. Auch befasst sich nur ein knappes Viertel des Werks mit Heinrich Thyssen-Bornemisza, und nur mit seiner ausdrücklich zugelassenen Sichtbarkeit in den exklusiven Teilöffentlichkeiten der Kunstsammlerei (welche von Johannes Gramlich bereits ausführlich erarbeitet wurde) und des Pferderennsports (welche wir in einem separaten Artikel nach dieser Rezension besprechen werden).
Wir nahmen an, de Taillez würde aufzeigen, wie es Heinrich Thyssen ansonsten gelang, sich aus Medienberichten konsequent herauszuhalten und was er dabei der öffentlichen Einsichtnahme zu entziehen suchte. Immerhin verfügt das neu gegründete Archiv der Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen in Duisburg über erstaunliche 840 laufende Meter bis zu dieser Serie (ausser von uns) unerschlossenen Materials zum Thema Thyssen-Bornemisza. Doch anstatt gründlich den Wind der Aufarbeitung durch die Bestände des Archivs der ThyssenKrupp AG und der neu hinzugekommenen Akten wehen zu lassen, wird die Öffentlichkeit wieder einmal mit Krümeln abgespeist.
In diesem Band wie in der ganzen Serie bleiben die polit-ökonomischen Handlungen v.a. des Heinrich Thyssen-Bornemisza weitgehend verschleiert, diesmal dem Thema entsprechend hinter der Aussage, die Brüder seien Opfer unausgewogener Berichterstattungen und Medienmechanismen wehrlos ausgesetzt gewesen. Felix de Taillez erwähnt Heinrich’s Beteiligung am Private Banking nicht, welches von Natur aus unter größter Diskretion abgewickelt wird. Er verschweigt seine Freunschaft mit Hermann Göring (ein Kunde der August-Thyssen-Bank) und erwähnt auch nicht die Benutzung der Bank durch die deutsche Spionageabwehr. Dadurch vermeidet er es, Informationen darüber zu geben, wie die Thyssens ihrerseits, und v.a. Heinrich, die Medien manipuliert und ihre Aktivitäten aus deren Spotlight herausgehalten haben.
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Zu den aufschlussreichen Beschreibungen in Felix de Taillez’s Buch gehört die Aussage, dass Heinrich im Ruhrkampf 1923 sich „politisch auf die Seite von Fritz“ schlug, er „in gewisser Weise (…) sogar radikaler als sein Bruder (Fritz war), da er Verhandlungen mit der Besatzungsmacht grundsätzlich ablehnte“. „Hinter den Kulissen“, so heisst es, traf Heinrich „zusammen mit Weggefährten“, – die de Taillez unbenannt lässt – „die sich alle einer ‘vaterländischen Bewegung der Ruhr’ angeschlossen hatten, führende Militärs und Politiker in Berlin (…).“ Als „Finanzverwalter“ der „Ruhrschutz-Gemeinschaft“ habe Heinrich Thyssen-Bornemisza „Propaganda im deutschen Sinn in allen besetzten Gebieten“, (sowie in) „Holland, (der) Schweiz, Elsass-Lothringen und Italien“ mit organisiert, so de Taillez weiter.
Man würde gerne Frau Habsburg fragen, warum ein Mann, der angeblich ein ungarischer Baron war, so etwas getan haben soll. Und wieso hat es ein Jahrhundert gedauert, bis diese Einstellungen und Handlungen des Heinrich Thyssen-Bornemisza ans Licht der Öffentlichkeit kamen? Weil hier über die Jahre hinweg eine ganz bewusste Strategie am Werk war. Weil der Thyssen-Komplex die Thyssen Brüder bisher immer so porträtiert hat, als sei Fritz der deutsche Nationalheld und Heinrich der von allem deutschen Übel Befreite gewesen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe und spielt gleichzeitig bei Fragen von Macht und Schuld Verwirrspiele mit der Öffentlichkeit.
Aber so vorteilhaft diese Art von Dienlichkeitslegenden auch sein mag, es ist sehr aufwändig, sie aufrecht zu erhalten; denn die Welt ist ja, glaubt man Felix de Taillez, voller „schonungsloser“ linker Schreiberlinge, die aus unerfindlichem Grund darauf bestehen, Dinge zu hinterfragen. So kam es z.B. auch, wie der Autor darlegt, dass ausgerechnet „das SPD-Blatt ‘Vorwärts’“ 1932 von einem holländischen Insider die Information bekam und diese auch druckte, dass die Thyssen-Firma „Vulcaan beim Erzfrachtverkehr der (Vereinigten Stahlwerke AG) bevorzugt (wurde), indem sie als einzige Reederei in den Genuss von sehr langfristigen Verträgen mit dem Düsseldorfer Stahlriesen gekommen sei. Überdies zahle die (VSt) dafür Raten, die weit über den üblichen Marktpreisen lägen“.
Man würde annehmen, es sei als verwerflich einzustufen, dass ein Teil des von Christopher Neumaier so treffend als „exorbitant“ beschriebenen Thyssen Vermögens also auf unlauteren Geschäftspraktiken zu beruhen scheint. Aber de Taillez erlaubt sich statt dessen den folgenden Kommentar: „Auf diese Weise wurden Geschäftsverbindungen enthüllt, die die Thyssens unter erheblichem Aufwand zu verschleiern versucht hatten“. Als sei die wirtschaftskriminelle Tat eine Leistung und das wahre Übel deren wahrheitssuchende Aufdeckung.
Und de Taillez setzt auf diese verdrehte Betrachtungsweise sogar noch einen drauf. Fritz Thyssen bezeichnete den Mangel an Kapital als das größte wirtschafliche Problem der Weimarer Republik. Die Frage nach seiner eigenen Kapitalflucht aus Deutschland heraus verwies er jedoch ins Reich der Legende, z.B. in einem Interiew mit Ferdinand de Brinon 1924. Absolut verständlich, nach Auffassung von de Taillez, schließlich hatte er ja einen Ruf als „pflichtbewusster deutscher Unternehmer“ aufrecht zu erhalten. Wodurch die Künstlichkeit der Thyssenschen Reputation im Handumdrehen ein akademisches und, wegen der Position des Autors, sogar ein quasi staatstragendes (!) Legitimitätssiegel erhält.
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Das Leben der Thyssen Brüder Heinrich und Fritz strotzte nur so von künstlichen Konstrukten. Da war ihr Militarismus, welchen de Taillez als verinnerlichte Verbindung zu ‘Heer, Tradition, Glaube und militärischen Praktiken’ darstellt. Beide hatten sich in Hohenzollernschen Elite-Regimentern militärisch ausbilden lassen und doch verweigerte sich Heinrich dem Kriegsdienst und Fritz entwich ihm frühzeitig, indem er sich „auf eigenen Vorschlag mit einem offiziellen Auftrag des Auswärtigen Amts betrauen (ließ), um die Rohstofflage für das Reich im Orient (Osmanisches Reich) zu klären“. Stephan Wegener’s Behauptung, die Thyssens hätten im ersten Weltkrieg hohe materielle Verluste erlitten ist nichts weiter als Familienfolklore, die unliebige Fakten zu verschleiern sucht. Wegener, vom Familienzweig des Josef Thyssen, blendet bequemerweise aus, dass die Familie nicht nur vom deutschen Staat entschädigt wurde, sondern auch noch enorme, komplett auditierte Gewinne durch Lieferung von Stahl, Waffen und U-Booten (unter Verwendung von Zwangsarbeitern) machte. Es schwer auszuhalten, dass Felix de Taillez und andere in der Serie die Familienlegende der hohen Kriegsverluste unhinterfragt wiedergeben, als sei sie Fakt.
Zu welchen charakterlichen Verrenkungen ihre Selbstinszenierungs-Konstrukte führten wird für Heinrich Thyssen-Bornemisza am besten am Beispiel seiner adoptierten Nationalität deutlich. Da er sich im Gegensatz zu Fritz als „Ungar“ aufstellen musste, bestand er unerbittlich darauf, sein Schloss im Burgenland mit der ungarischen Bezeichnung „Rohoncz“ zu benennen. Die deutsche Version war ihm zu „sozialistisch“ (aus einem Brief an seine Frau, siehe „Die Thyssen-Dynastie“, Seite 123 – er implizierte fälschlicherweise, der deutsche Begriff sei 1919 mit Ausrufung der Republik neu entstanden). Hierbei legte Heinrich sich laut de Taillez sogar mit der burgenländischen Landesregierung, dem österreichischen Bundesdenkmalamt, dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultur und dem Auswärtigen Amt in Berlin an. Ironischerweise saß die Schlossverwaltung ganz woanders, nämlich beim Rotterdamsch Trustees Kantoor in Rotterdam. Doppelt und dreifach tarnte sich “der Baron“; ortsgebundene Amtshengste hatten solchen extravaganten Strategien nichts entgegen zu setzen.
Auch Fritz stand der Abschaffung der Monarchie in Deutschland und Österreich, sowie der aufsteigenden Sozialdemokratie feindselig gegenüber. Laut de Taillez sah er Deutschland als bedrängten Mittelpunkt eines engen Kreises aus England, Frankreich, Italien und Russland und meinte, der „große Druck von außen lasse die deutsche nationale Einigung auf demokratischem Wege nicht zu“. Sozialdemokraten fand er als „gemäßigte Revolutionäre“ „genauso gefährlich“ wie radikalere Umstürzler. Thyssen wollte, so de Taillez, dass der „spirit of the worker“ einfach nur „deutsch“ sei, und sonst gar nichts. Während die Gewerkschaften verstärkte Rationalisierungen, Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen forderten, wollte er ein durch die Heraufsetzung des Arbeitstags von 8 auf 10 Stunden (!) wiedererstarktes Volk und das Ende der betrieblichen Mitbestimmunng. Doch wie konnte dies den Kriegsheimkehrern schmackhaft gemacht werden, die sich zunehmend pazifistischen und demokratischen Organisationen zuwandten?
Laut Niels Löffelbein, erklärt George Mosse den Aufstieg des Faschismus durch eine „Brutalisierung“ der politischen Kultur der Nachkriegszeit durch die Masse der Soldaten, die zu einer „Entgrenzung und Radikalisierung der politischen Gewalt“ geführt habe. Angel Alcalde hält dem entgegen, die Weltkriegsteilnehmer seien in der „mythomotorischen Inkubationszeit“ der 1920er Jahre durch die extreme Rechte und Veteranenorganisationen zunehmends als anti-bolschewistische Kämpfer „instrumentalisiert“ worden. Im Kult um die gefallenen (wie die noch kampfbereiten) Helden zelebrierten sie die Verbindung von Radikalnationalismus und Krieg. Laut de Taillez richtete Fritz Thyssen noch im Oktober 1917 eine Beitrittserklärung an die rechtsnationale Deutsche Vaterlandspartei (DVLP). 1927 gab er während einer Abendveranstaltung des „Stahlhelm Bund der Frontsoldaten“, des „gewaltbereiten Kampftrupps“ der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) in seiner Heimatstadt Mülheim eine Rede. Auch dem „Bündnis der antidemokratischen rechtsextremen Harzburger Front“, in dem der „Bund der Frontsoldaten“ vertreten war, soll er „sehr nahe“ gestanden haben.
Wie Felix de Taillez schreibt, unterstützte Thyssen auch die Austro-faschistische Heimwehrmiliz: „Über Anton Apold, (…) dem Generaldirektor der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft (…) (die) mehrheitlich der Vereinigte Stahlwerke AG gehörte, (…) gab es eine Verbindung Thyssens zu den rechtsradikalen Heimwehren in Österreich.“ „Dem deutschen Großindustriellen wurden von der Düsseldorfer Volkszeitung unterstellt, auf ‘begrenztem Kampffeld in Österreich’ testen zu wollen, wie der Einfluss der Gewerkschaften gebrochen werden könnte.“
All dies wird eindeutig auch Heinrich im Geiste unterstützt haben, aber als angeblicher Ungar hielt er sich aus der deutschsprachigen Berichterstattung zum Thema heraus und wurde so nicht als rechtsextremer Unterstützer wahrgenommen. Indem er versäumt, dies klar zu sellen, trägt de Taillez zu dem Bild bei, das in dieser Reihe weiterhin von Heinrich gezeichnet wird, eines Mannes nämlich, der in keinster Weise ein Sympathisant der extremen Rechten gewesen sei. Das ist eine Behauptung, die ausschließlich auf der Abwesenheit öffentlicher Quellen beruht, die als solche bewusst von Heinrich und seinen Partnern sicher gestellt wurde. Mangel an Beweisen ist nicht mit Beweis eines Nichtbestehens gleich zu setzn. Dies hätte von de Taillez klar gestellt werden müssen. Doch tut er dies nicht, denn wenn man Heinrich’s rechtsextreme Sympathien enthüllt, zerstört man zugleich den mythologischen Ruf der Thyssens.
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Für die Thyssens gab es stets Interessenkonflikte zwischen ihrer nationalen Zugehörigkeit und ihren wirtschaftlichen Eigeninteressen. Nachdem sie bereits vor dem ersten Weltkrieg die Besitzstrukturen ihrer Werk in die neutralen Niederlande verlegt hatten, beteiligten sich Fritz und sein Vater August kurz nach Ende des Krieges in Düsseldorf an Gesprächen über die Gründung einer Rheinischen Republik. Laut de Taillez lautete der Vorwurf des Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrats, der sie verhaftete, dass sie „die Abtrennung Rheinland-Westfalens und die Besetzung des Ruhrgebiet durch die Alliierten gefordert hätten“. Ein Kellner hatte das Treffen gemeldet und die Thyssens sahen sich bald als „profitgierige Heuchler“ und „Geldsackpatrioten“ bezeichnet; andere sagten, dies sei eine Verleumdung absolut treu-deutscher Industrieller. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt, offiziell, weil ihnen kein Hochverrat an Deutschland nachgewiesen werden konnte. Felix de Taillez schreibt der Kellner hätte gestanden, gelogen zu haben. Dass er dies eventuell tun musste, um seinen, oder überhaupt einen, Job zu behalten, scheint dem Autor nicht in den Sinn zu kommen. Fritz Thyssen, der laut de Taillez „für die deutsche Politik einen viel höheren Stellenwert als ein normaler Bürger“ hatte, wurde bald darauf vom Auswärtigen Amt in Berlin an den vertraulichen Nachverhandlungen einzelner Artikel des Vertragswerks des Versailler Friedensvertrags beteiligt.
Bereits kurz nach dem Krieg fing Fritz Thyssen auch an, sich in Argentinien einen Ausweichwohnsitz einzurichten, in dem er zunächst die Estancia Don Roberto Lavaisse in der Provinz San Luis erstand. Auch die Verbindung der Familie mit Südamerika reichte bereits in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück, als August Thyssen in Buenos Aires eine Zweigniederlassung der Firma Deutsch-Überseeische Handelsgesellschaft der Thyssen’schen Werke (Hamborn) gegründet hatte. Seit 1921 hieß die Tochterfirma dann Compania Industrial & Mercantil Thyssen Limitada. 1927 übernahm sie die Firma Lametal und „firmierte fortan unter Thyssen-Lametal S.A.“. Heinrich Thyssen-Bornemisza verkaufte sie laut de Taillez 1927 für 4,8 Millionen Gulden an die Vereinigte Stahlwerke AG. Auch in Brasilien hatte die Familie seit Jahren Besitz und warb für den wirtschaftlichen Handel dort.
Während des Ruhrkampfs 1923, den Fritz Thyssen angeblich als „legitime Abwehrmaßnahme gegen die ausländischen Neider“ interpretierte, ließ er sich vor dem alliierten Gericht durch Friedrich Grimm verteidigen, einem erklärten Antisemiten und späteren NS-Juristen, der laut de Taillez nach 1945 NS-Täter verteidigte und NS-Verbrechen verharmloste. In den Augen des Autors wurde Thyssen aber nur künstlich zur „Projektionsfläche“ einer „neuen deutschen Nationalidentität“ bzw. eines „freien Deutschtums“ „hochstilisiert“ , und zwar vor allem durch die New York Times und die Times of London. Dabei bildete der Ruhrkampf die erste Möglichkeit für Fritz, öffentlich aus dem Schatten seines bis dato allbestimmenden Vaters herauszutreten, der nun ernsthaft kränkelte. Dieses Selbstbefreiungsmotiv ist aus unserer Sicht im Zusammenhang mit Fritz Thyssen’s öffentlich zelebrierten Rechtsrucks ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Wenn es nach de Taillez geht, muss konkret „offen bleiben“, „ob Fritz Thyssen von der Welt eines mitunter extremen Nationalismus, der sich in Deutschland im ersten Weltkrieg gebildet hatte, erfasst wurde“. Schade nur, dass seine Ehefrau Amelie Thyssen in dieser akademischen Reihe so wenig Beachtung findet, ausser als Co-Stifterin der Fritz-Thyssen-Stiftung. Laut Heini Thyssen’s persönlicher Aussage uns gegenüber war Amelie Thyssen jedenfalls alles andere als „hochstilisiert“, sondern tatsächlich während dieser „Inkubationszeit“ der 1920er Jahre in ihrem starken Deutschnationalismus nationalsozialistisch. Obwohl de Taillez immer wieder beschreibt, wie sehr Fritz von der Meinung seiner Frau abhing, lässt er die Möglichkeit der politischen Beeinflussung innerhalb dieser Paarbeziehung gänzlich unerwähnt. Da Amelie die treibende Kraft hinter der Wiedererlangung des Thyssen-Imperiums nach dem zweiten Weltkrieg war, würde auch jedes schlechte Licht auf sie, den mythologischen Ruf der Thyssens gefährden.
Grimm’s Argumentation vor Gericht war von der Aussage geprägt, dass „Privatbesitz wie die Ruhrkohle (…) rechtlich ohne Entschädigung der Eigentümer nicht einfach beschlagnahmt werden (könne), um staatliche Schulden zu tilgen. De Taillez behauptet, der Ruhrkampf habe in Fritz Thyssen ein „politisches Sendungsbewusstsein“ ausgelöst, „das weit über die Aktivitäten im Interesse des Geschäfts hinausging“. Er gesteht ein, dass Thyssen durch seine Aussagen, die deutsche Wirtschaft könne „nur durch größere Arbeitsleistung“ gesunden, SCHULD auf sich geladen habe. Er habe nämlich „durch solche öffentliche Äußerungen (…) auch zum Scheitern der Sozialpartnerschaft in den 1920er Jahren (beigetragen), was die demokratische Staatsform in Deutschland erheblich gefärdete“.
Später ließ Adolf Hitler Fritz Thyssen in dem Glauben, er dürfe für sein Konzept des korporativen Staats eine Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft führen. Diese nicht erwiderte Tätigkeit ermutigte Fritz zu beträchtlicher politischer Aktivität. Fritz war enttäuscht, als sein Projekt nicht umgesetzt wurde, aber, als er dies bei Hitler bemängelte, erwiderte dieser: „Es gibt nichts, wofür ich Ihnen dankbar sein müsste. Was Sie für unsere Bewegung getan haben, haben Sie zu Ihrem eigenen Nutzen getan und es als Versicherungsprämie abgeschrieben“. (Zitat bei Henry Ashby Turner Jr., siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 138).
Laut de Taillez verfolgte Fritz Thyssen vorrangig seine eigenen Geschäftsinteressen, außer dann wenn für ihn nicht ganz klar war, „welcher Weg (diesen) am zuträglichsten sein würde“. In der Europäischen Verständigungspolitik beschreibt er ihn als „zweideutig“. Thyssen kritisierte die Weimarer Republik sowohl in der französischen Presse als auch in der amerikanischen Öffentlichkeit, bezeichnete die deutsche Regierung als „schwach und nicht vertrauenswürdig“ und fiel damit „der deutschen Außenpolitik in einer schwierigen Situation in den Rücken“. Andererseits kritisierte er die „kurzsichtige und engherzige egoistische Wirtschaftspolitik der Nordamerikaner“. Thyssen „wollte bilaterale Austauschverträge für den Rohstoffverkehr, die der internationalen Finanzspekulation das Handwerk legen und Unabhängigkeit vom Wechselkurs erreichen sollte“. Wenn Fritz aber „gegen die Finanztechnik (wetterte), die die wirkliche Wirtschaft störe“, so blendete er dabei praktischerweise aus, dass die Thyssen-Familie drei internationale Banken zu 100% kontrollierte und damit selbst ein Global Player in Sachen Finanztechnik war (was allerdings von de Taillez unbegreiflicherweise nicht erwähnt wird).
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Obwohl seine Nachwuchsgruppenleiterin Simone Derix es in ihrem Band bereits ausgiebig widerlegt hat, behauptet Felix de Taillez wiederum dass Heinrich seinen Erbteil des Familienkonzerns vollkommen unabhängig vom Erbteil des Fritz Thyssen führte. Auch dass die beiden Brüder ein schlechtes Verhältnis gehabt hätten betont er häufig. Nun mag es ja sein, dass sie sich nicht über alles liebten. Es ist ganz normal, dass es zwischen Geschwistern gewisse Neidhaftigkeiten gibt. Heini Thyssen erzählte uns, wie sein Vater eines Tages die Zürcher Bahnhofstrasse entlang gelaufen und demonstrativ auf die andere Straßenseite gewechselt sei, als er seinen Bruder Fritz sah. Doch das hatte tatsächlich mehr mit Image als mit Realitäten zu tun. Auch Heini wollte ein Bild des Zwists bestärken, da sich seine, die Thyssen-Bornemisza Seite der Familie bis dahin erfolgreich aus jedweder Diskussion um den Nationalsozialismus herausgehalten hatte. Aber schon ein kurzer Blick auf ein Bild der drei Thyssen-Brüder im Jahr 1938 in unserem Buch und hier zeigt, dass es im Verständnis zwischen Heinrich und Fritz überhaupt kein Problem gab. Statt objektiv zu sein, plappert de Taillez althergebrachte, zu Dogmen erhobene Thyssen-interne Mythen nach. Was „bemerkenswert“ ist, da er doch eigentlich beide Männer als „eine Einheit geradezu komplementärer Gegenfiguren interpretieren“ will, deren „Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarket“ (in dieser Perspektive) als „abgestimmte Strategie politischen Handelns (erscheint)“.
Nachdem Heinrich 1926 seine „exorbitante“ Erbschaft gemacht hatte, investierte er über wenige Jahre hinweg massiv in Gemälde und Kunstgegenstände, dem Vorbild seines Freunds Eduard von der Heydt folgend, der im gleichen Jahr in die Schweiz gezogen war. Obwohl seine Sammlung nie dort ansässig war nannte er sie „Sammlung Schloss Rohoncz“, um ihr den Anschein zu geben, als sei sie seit längerem organisch gewachsen und von noblem Format. Als solche ließ er sie 1930 in der Neuen Pinakothek in München ausstellen. Doch Friedrich Winkler von den Staatlichen Museen in Berlin rückte „Thyssen-Bornemiszas Methoden (…) in die Nähe von Napoleons Kunstraub“ und beschrieb ihn als „unbedarft, unwissend, beschränkt und abhängig von Händler- und Expertenurteilen“. Rudolf Buttmann, Abgeordneter der NSDAP im Bayerischen Landtag, nannte die Sammlung gar ein „von Händlern zusammengestelltes Ganzes“. Viele Zuschreibungsfehler und Fälschungen wurden angeprangert, was sich zum regelrechten „Medienskandal“ auswuchs. Die Münchner Pinakotheken zeigten sich, laut de Taillez, nur bei 60 der 428 Bilder nach Ende der Ausstellung bereit, sie vorübergehend in ihren eigenen Beständen zu zeigen.
Doch dies waren hochspekulative Zeiten mit einer „zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstmarkts“. Allem Aufschrei zum Trotz ging Heinrich Thyssens „Kalkül“ auf, „öffentlich den Wert seiner Sammlung bestimmen zu lassen“ (50 Millionen RM – es ist allerdings nicht ersichtlich wie de Taillez von solch einem „Kalkül“ wissen will). Auch wurde sein Unterfangen als „nationale Tat“ beschrieben „an der ganz Deutschland interessiert sei“. Er sei ein „Retter deutschen Kulturguts“ und mit einem „bürgerlichen Bildungsauftrag“ ausgestattet. Während dessen war auffallend, dass Heinrich nirgendwo als Sohn des bekannten Ruhrindustriellen und Erschaffers des Familienvermögens, August Thyssen, vorgestellt wurde. Stattdessen wurde er als „großer Unbekannter“ gehandelt, als eine Person von ominösem Flair, von der niemand so richtig zu wissen schien, woher sie kam. Es musste gerade genug „Deutschtum“ angeheftet bleiben, um die konservativen Kreise Münchens zufrieden zu stellen, während man die Illusion von Heinrich’s adoptierten Magyarentum aufrecht erhielt. Was bedrückt, ist dass de Taillez dies nicht klar als die offensichtliche Thyssensche Manipulation öffentlicher Wahrnehmung outed, die es war.
Die Stadt Düsseldorf und ihr Kunstmuseum, die in den Weimarer Jahren „unter deutschen Großstädten führend“ waren im Hinblick auf ein „hoch entwickelte IInstrumentarium kommunaler Öffentlichkeitsarbeit“ nutzte Heinrich Thyssen über Jahre hinweg aus. Laut de Taillez hielt er sich „für eine so wichtige Persönlichkeit (…), um der lokalen Politik Forderungen zu stellen“. Aber de Taillez behauptet unsinnigerweise, die nationale Verortung Heinrichs in Deutschland wäre einzig und allein aufgrund der Pressearbeit seines Kunstberaters Rudolf Heinemann und des Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr entstanden, und nicht in Heinrichs eigenem Sinn gewesen. Dabei gibt er im gleichen Werk an (siehe oben), dass Heinrich im Ausland „Propaganda im deutschen Sinn“ organisierte. Also verstand er sich sehr wohl als Deutscher, behielt ja auch seinen deutschen Pass (siehe „Die Thyssen-Dynastie“ S. 76 – von Simone Derix bestätigt) und kassierte deutsche Entschädigungszahlungen für Kriegsschäden an seine Firmen (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 256 – von Harald Wixforth bestätigt). Es ist unverständlich, warum de Taillez solch widersprüchliche Aussagen macht; es sei denn, die Kritik an dieser Reihe, sie sei durch die Quelle des Sponsoring – die Fritz Thyssen Stiftung – beeinflusst, könnte berechtigt sein.
Felix de Taillez geht weiter als er sollte, in dem er nicht nur existierende Thyssensche Manipulationen verschleiert, sondern sogar neue ins Leben ruft. Er schreibt: „Heinrich (reagierte) insofern auf das Ausstellungsdebakel, als er seine Kollektion danach zu großen Teilen umbaute, dabei die umstrittenen Bilder veräußerte, und somit erst den eigentlichen Durchbruch zu der heute weltbekannte Sammlung schaffte“. Dabei verweist er auf Johannes Gramlich’s Band „Die Thyssens als Kunstsammler“, Seiten 263-273. Dort allerdings wird nur von 32 Bildern gesprochen, die zwischen 1930 und 1937 verkauft worden sein sollen. Thyssen-interne Listen, die uns vorliegen zeigen, dass 405 Gemälde, die Heinrich bis einschließlich 1930 gekauft hatte 1948 von seinen vier Kindern geerbt wurden. Demnach wären theoretisch also nur 23 Bilder zwischen 1930 und 1948 verkauft worden.
Es kann demnach absolut keine Rede davon sein, Heinrich habe „seine Kollektion (nach dem Ausstellungsdebakel) ZU GROßEN TEILEN (umgebaut)“ und dabei „DIE umstrittenen Bilder (veräußert)“, was sich so anhört, als habe er ALLE umstrittenen Bilder der 1930er Ausstellung danach verkauft.
Das Thyssen-Bornemisza Museum in Madrid enthält noch heute mindestens 120 Bilder aus der Münchner Ausstellung von 1930. Wenn ein „Umbau“ stattfand, dann wurde dieser nicht von Heinrich Thyssen-Bornemisza aktiv durchgeführt, sondern fand passiv nach seinem Tod statt und zwar v.a. durch Erbteilung (1948, sowie 1992 nach dem Verkauf nur einer Hälfte der Thyssen-Bornemisza Sammlung an Spanien – die andere Hälfte ging an die Frau und vier Kinder von Heinrichs Sohn, Hans Heinrich).
Auch gab es einen Verkauf deutscher Bilder durch Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza in den 1950er Jahren, der sich nach der Nazi-Era noch stärker als sein Vater von Deutschland absetzen wollte (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 269). Ausserdem wurde Heini Thyssen natürlich ein Kunstsammler auf einer ganz anderen Ebene als sein Vater und kaufte tatsächlich einige sehr gute, v.a. moderne Gemälde.
Viele der fragwürdigen, 1930 ausgestellten Bilder sind jedoch in Thyssen-Besitz geblieben. De Taillez’s gegenteilige Behauptung ist irreführend.
Man muss auch daran erinnern, dass Heini Thyssen die meisten in der Erbteilung von 1948 verteilten Bilder von seinen Geschwistern zurück gekauft hat, sodass die meisten der fragwürdigen 1930er Bilder in seinem Besitz endeten. Die Einstellung der Thyssens war es immer, dass Bilder, sobald sie einmal in ihrem Besitz waren, nicht mehr hinterfragt werden durften. Darin versuchten sie, das Prestige, welches die Rothschilds besaßen, nachzuahmen. Die Öffentlichkeit und die Medien – die möglicherweise einem VIP-Äquivalent des königlichen Turnus’s unterworfen sind (wonach Journalisten vom Zugang zu Mitgliedern des Königshauses ausgeschlossen werden, wenn sie negative Stories publizieren) – schienen diese Version der Realität meist zu akzeptieren.
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Was an diesem Buch und an der Serie auffällt ist, dass sie nicht ein einziges Originalstatement eines lebenden Mitglieds der Thyssen Familie enthällt. Tausende Seiten neuer Geschichte werden zu ihrem Thema geschrieben, und man frägt sich, wie die Thyssens sich wohl fühlen, jetzt da einige der Teller, die über so einen langen Zeitraum hinweg und in so kostspieliger Weise in der Luft jongliert wurden, plötzlich mit einigem Getöse auf den Boden zu fallen drohen.
Doch Felix de Taillez wäre nicht Felix de Taillez wenn er uns nicht noch mit einer weiteren schönfärberischen Einschätzung aus dem Reich der Thyssen-Kunst entlassen würde. Verschiedene Kunstberater, Museumsdirektoren und der Baron selbst hatten widersprüchliche Aussagen gemacht, wann genau die Gemälde erstanden worden waren. Waren sie je im Rechnitzer Schloss gewesen, wie es der Name der Sammlung suggerierte? Manchmal hieß es ja, manchmal nein. Die uns vorliegenden Thyssen-internen Listen zeigen, dass das erste Bild von ihm 1928 erstanden wurde und alle Werke bis zur Ausstellung im Jahr 1930 in verschiedenen Depots verwahrt wurden (das Vorwort des Ausstellungskatalogs macht die sehr deutlich – siehe hier). Was allerdings den Baron nicht davon abhielt, manchmal 1906 für seinen ersten Kauf anzugeben, das Jahr seiner Verheiratung nach Ungarn.
Und Ähnliches tat sein Rechtsanwalt auch in den 1930er Jahren mit den Schweizer Behörden: „Im Zusammenhang mit Heinrich Thyssen-Bornemiszas Umzug in die Schweiz ist weiterhin bemerkenswert, dass ihm die erste Ausstellung seiner Sammlung in München in finanzieller Hinsicht von Nutzen war. Anlässlich der Einfuhr seiner Gemälde und anderer Kunstgegenstände in die Schweiz diente ihm bei den eidgenössischen Behörden der Hinweis auf die Ausstellung mit besagtem Katalog als Beweis dafür, dass sich rund 250 wertvolle Gemälde schon länger in seinem Besitz befänden. Durch diesen Schachzug gelang es ihm, die Kunstgegenstände ‘zum persönlichen Gebrauch’ zollfrei nach Lugano schaffen zu lassen“.
(Der Name von Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Tessiner Anwalt war Roberto van Aken, und es war nicht das einzige mal, dass er es für seinen Kunden mit der Wahrheit nicht so genau nahm).
Rekapitulatierend: Heinrich Thyssen trickst über seinen geschmeidigen Anwalt die Schweizer Zollbehörden aus, Felix de Taillez applaudiert dies, gibt anscheinend als Grund dafür, dass angeblich nicht 428, sondern 250 Gemälde in die Schweiz geschafft wurden an, der Baron habe die fragwürdigen verkauft und lässt uns gleichzeitig ebenso wie Johannes Gramlich im Dunkeln, wann und wie genau der Transfer der Güter aus Deutschland heraus stattgefunden hat. Da die Sammlung bei der Erbteilung 1948 insgesamt 542 Bilder enthielt lässt de Taillez auch offen, woher die anderen knapp 300 Bilder stammten und wann sie in die Schweiz gekommen sein sollen.
Dass die Thyssens selbst sich so intransparent gaben, leuchtet ein. Dass allerdings Akademiker, die 80 Jahre nach den Geschehnissen beauftragt wurden, den Sachverhalt angeblich „unabhängig“ aufzuarbeiten genauso vorgehen, ist nicht hinnehmbar. Zumal kein Mitglied der Familie befragt wurde.
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Alles in allem ist Felix de Taillez erstaunlich stur dabei, die Heinrich Thyssen-Bornemisza umgebenden Mythen zu verlängern, während er bei der Presentation von Fritz viel direkter ist. Wir unterstellen nicht, dass die Fritz Thyssen Stiftung oder die Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen die Ergebnisse dieser akademischen Untersuchungen gesteuert haben. Aber die Tatsache, dass Zugang zu Quellen und finanzieller Unterstützung durch diese Einheiten gewährt wurde (in deren Vorständen nur EIN Mitglied der Thyssen Familie sitzt, nämlich Georg Thyssen-Bornemisza, ein Nachfahr von Heinrich, nicht von Fritz) muss die Autoren sicherlich dazu geführt haben, bei ihren Schlussfolgerungen „Vorsicht“ walten zu lassen.
Befassen wir uns weiter mit Fritz, so schauen wir nach dem Putsch von General Jose Felix Uriburu 1930 in Argentinien auf ein „undemokratisches Jahrzehnt“, in dem es zu einer „starken ökonomischen Verflechtung mit Deutschland“ kam. Seit den 1890er Jahre, so de Taillez, gab es dort „starke rechtsextreme Bewegungen“ und „bereits vor der Machtübernahme in Deutschland“ fasste die Auslandsorganisation der NSDAP in Argentinien „besonders gut Fuß“ (siehe auch „Die Thyssen-Dynastie“, S. 250). Später berichtete die La Plata Zeitung, dass Fritz Thyssen 1930 in der argentinischen Öffentlichkeit die „Morgenröte des kommenden neuen Deutschlands“ unter Hitler ausgemalt habe. Im Argentinischen Tageblatt forderte er 1934 die „unumschränkte Macht der neuen (deutschen) Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft“, was de Taillez „bemerkenswert“ findet, habe er doch „sonst immer auf große Freiräume für the Privatwirtschaft“ bestanden. De Taillez weiter: „Die Machtkonzentration im NS-Staat bot laut Thyssen den wesentlichen Vorteil, Entscheidungen zu trefen, ohne wie im ‘marxistisch verseuchten Parteienstaat’ ‘Halbheiten’ machen und Kompromisse schließen zu müssen“. Wobei Fritz die extremistische Sprache der Nationalsozialisten gegen ihre politischen Feiden verwendete.
Während der Gelsenberg-Affäre 1932 gab es Presseberichte, angefeuert vom ehemaligen Reichsfinanzminister Hermann Dietrich, wonach Fritz Thyssen für die Vereinigten Stahlwerke AG ein Geschäft mit französischen und niederländischen Investoren ausgehandelt hätte, welches die Reichsregierung aber verhindern wollte, da sie keinen ausländischen Einfluss auf das Unternehmen wünschte. Indem er einen Brief an die deutsche Öffentlichkeit schrieb, „dass er lediglich Kreditsondierungen vorgenommen habe“, so de Taillez, „stellte er bewusst die Reichsregierung bloß“. De Taillez argumentiert, dass Thyssens Angaben demontiert wurden, als ein Brief von Friedrich Flick an ihn der Frankfurter Zeitung zugespielt wurde, welcher aufzeigte, dass Flick „Thyssens Vorschlag (abgelehnt hatte) gerade wegen der damit verknüpften Geldquelle“. Die Düsseldorfer Volkszeitung brandmarkte ihn daraufhin als „unpatriotisch“.
Anfang 1932, während sein Bruder Heinrich die Villa Favorita in Lugano erwarb, schwenkte Fritz „demonstrativ zum Nationalsozialismus um“. Seine Frau war bereits seit 01.03.1931 Parteimitglied, Fritz wurde es offiziell am 07.07.1933. Auf den Ruhrkampf zurückblickend schloss er laut de Taillez, dass dies ein „Vorläufer für das nationalsozialistische Gedankengut des neuen Deutschlands“ war. „Anders als 1923 stehe nun nicht nur das Ruhrgebiet entschlossen da, sondern ganz Deutschland werde den Weg gehen, den der ‘Führer’ vorschreibe. Die Zerschlagung des Marxismus im Innern sei allein Hitler, der SA und der SS zu verdanken“ (aus einem Artikel in der Kölnischen Zeitung, „Fritz Thyssen über den Klassenkampf“, am 02.05.1933).
So wurde Thyssen zum „Medialen Akteur“, der dann unter Hitler „erheblich von der Abschaffung der Pressefreiheit“ profitierte, da bald niemand mehr seinen verbalen Roheiten etwas entgegensetzen durfte. In Buenos Aires führte er während dessen Verhandlungen „mit hohen staatlichen Stellen“ wie „General Agustin Pedro Justo, dem nach gefälschten Wahlen seit 1932 amtierenden Staatspräsidenten“. Nachfolgend wurde im November 1934 ein Argentinisch-Deutsches Handelsabkommen samt Verrechnungs- und Kompensationsverfahren unterzeichnet, wodurch der Handel zwischen den beiden Ländern drastisch anstieg. Es scheint, dass Thyssen hier versuchte, einen Gegenpol zur allmächtigen anglo-amerikanischen Wirtschaftsmacht aufzubauen. Felix de Taillez wertet dies allerdings nur dahingehen, der extremst egoistische Fritz habe sich hierin ausschließlich um den Aufbau seines öffentlichkeitswirksamen „Image“ als „einflussreicher Wirtschaftsführer“ gekümmert, um nur für sich persönlich viel öffentliche Beachtung zu finden.
Doch nicht die gesamte südamerikanische Presse war den Thyssens hold. Das Argentinische Tagesblatt sprach 1934 von einer „Bindung gemeinsamer Pleiten“, die Anfang 1933 stattgefunden hätte, als die Vereinigten Stahlwerke bankrott und die NSDAP hoffnungslos verschuldet gewesen seien. „Die Zeitung warf der Vereinigten Stahlwerke AG, under Thyssens Ägide als Aufsichtsratsvorsitzender, Bilanzfälschung in erheblichem Ausmaß vor“ (aus dem Artikel „Geschäfte eines Staatsrats“, vom 08.11.1934). Die Kölner Kulturzeitschrift Westdeutscher Scheinwerfer bescheinigte Fritz Thyssen gar eine „Selbstherrschernatur“ und „führte als Hauptgrund für die Krise bei der Vereinigte Stahlwerke AG die problematische persönliche Politik des Fritz Thyssen an“. Seine Kritiker in den Medien „erklärten Fritz Thyssen in wirtschaftlichen und politischen Fragen für unfähig“ und „machten ihn für die hohen Verlust der Vereinigte Stahlwerke AG verantwortlich“.
Es war genau das, wovor sein Vater August, der keinerlei gesellschaftliche Ambitionen hatte und ausschließlich für seine Werke lebte, Jahre zuvor gewarnt hatte. Er hatte sicher gestellt, dass sein Sohn Fritz nur Aufsichtsratsvorsitzender, nicht aber Geschäftsführer der Vereinigten Stahlwerke AG wurde, um den Schaden zu mindern, den er der Firma zufügen würde. August glaubte, dass Heinrich nur minimal besser als Fritz geeignet war, das Thyssen Imperium zu führen (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 95).
Nach dem Krieg beschuldigten die Alliierten die Vereinigte Stahlwerke AG, die NSDAP finanziell kontinuierlich und vorbehaltlos unterstützt zu haben (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 106). Fritz schleuderte quasi den Ball zurück in die alliierte Hälfte als er 1950 schrieb „Meiner Meinung nach dienten die Nürnberger Prozesse nur dazu, Sündenböcke für Hitlers Kriegspolitik zu finden. Es wäre für die Amerikaner beschämend gewesen, hätten sie zugeben müssen, dass sie die deutsche Wiederaufrüsung von Anfang an unterstützt hatten, weil sie einen Krieg gegen Russland wollten“ (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 294).
Was „bemerkenswert“ ist für einen Mann, dessen Ruf von der Glaubwürdigkeit seiner anti-KriegsPosition abhängt: Als die Nationalsozialisten Wilhelm von Keppler und Kurt von Schröder Unterschriften für die Eingabe bei Paul von Hindenburg zusammentrugen, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, war Fritz Thyssen einziges Mitglied der Ruhrlade (Verbindung 12 wichtiger Ruhrindustrieller, die 1928-1939 existierte), der unterschrieb. Im Umgang mit anderen Unternehmern konnte er schroff und unmanierlich sein. Er ermahnte v.a. solche Kollegen zur „Disziplin“ die in seinen Augen „liberalistisch“ agierten. Leute wie Gustav Krupp zu Bohlen und Halbach, der sich bis zuletzt gegen Hitler sträubte und, wie Richard Freudenberg und viele andere auch, sich erst dem Nationalsozialismus ergab, nachdem die Diktatur mit Hilfe der Thyssens und ihrer Gesinnungsgenossen installiert worden war. „Etwaigen Störern“, so de Taillez, „drohte (Thyssen) mit seinem neuen Einfluss auf die zuständigen staatlichen Organe“, i.e. er drohte, sie bei Hermann Göring anzuschwärzen.
Dies ist ein Eingeständnis durch den Thyssen Komplex einer hochgradig herrischen Verhaltensweise des Fritz Thyssen die, als solche, tatsächlich bemerkenswert ist.
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Selbst katholischen Geistlichen, eigentlich Verbündete, drohte Fritz Thyssen, so zum Beispiel Kardinal Schulte im März 1933, als er verlauten ließ, seine Familie würde dem Gottesdients fernbleiben „solange die ungerechte Behandlung der Führer & Mitglieder der NSDAP andauert“. Er nahm an soziologischen Sondertagungen in Maria Laach unter dem Abt Ildefons Herwegen und dem Kreis ‘anti-demokratischer Rechtskatholiken’ teil, die laut de Taillez zu den Nationalsozialisten „anschlussfähig“ waren. Diese waren „gegen die Aufklärung, die allgemeinen Menschenrechte, Demokratie, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, dezidiert anti-semitisch“ und für einen „autoritären Korporatismus“. Sie versuchten eine „Reichstheologie“ zu entwickeln, „getragen vom katholischen Akademikerband“.
Dies erinnert uns wieder einmal daran, dass Mitglieder der akademischen Berufe, wie z.B. Rechtsanwälte, besonders frühe und begeisterte Anhänger der Nazi Ideologie wurden.
Trotz all dieser Drohgebährden behauptet Felix de Taillez – nicht sehr überzeugend -, Fritz Thyssen habe den Nationalsozialismus „konservativ“ ausgelegt. Anscheinend sah er ihn als „Wiedergeburt des verloren gegangenen Staates und der Volksgemeinschaft“. Der Nationalsozialismus sei für ihn keine Weltanschauung gewesen, sondern eine „HELDISCHE KRAFT“, wonach ein „staatstragender Stand von Menschen“ wieder erstanden sei, der den „Kampf gegen die Totengräber des Staates“ aufgenommen haben. – Anklänge an die instrumentalisierenden, proto-faschistischen Veteranenverbände nach Angel Alcalde sind hier deutlich zu vernehmen -. Doch im gleichen Paragraphen enthüllte Fritz Thyssen dann seine elitäre Vorstellung seiner Rolle im Nationalsozialismus, wenn er sagte man würde diesem Stand allerdings „seine Würde und seinen Vorrang nehmen, wenn man versuchen wollte, durch weltanschauliche Propaganda 64 Millionen Menschen in die gleiche Würde hineinzuheben“.
Für die Rheinische Zeitung hieß das, Thyssen war ein Faschist, aber „kein Radau-Nazi“. In Wirklichkeit war es so, dass er sich selbst und seine Familie als Teil des Staates, nicht aber als Teil der Volksgemeinschaft sah, die er in einem deutlich untertänigen Rang zu sich und seinen Partnern wähnte. Es hört sich weniger wie eine konservative und mehr wie eine FEUDALE Auslegung des Nationalsozialismus an.
Mit dem Ingangkommen der Diktatur bat der Gauleiter von Essen, Josef Terboven, in einem Schreiben an Rudolf Hess, „Thyssen durch den ‘Führer’ zum wirtschaftspolitischen Bevollmächtigten für das Ruhrgebiet ernennen und sein Amt mit unbedingter Autorität ausstatten zu lassen“. Anscheinend gab es ein Power-Dreieck bestehend aus Hermann Göring, Gauleiter Terboven und Fritz Thyssen, dessen mediales Sprachrohr die National-Zeitung war. Fritz Thyssen nahm laut de Taillez an den Nürnberger Reichsparteitagen teil. Er war Mitglied des Zentralausschuss der Reichsbank, der Akademie für deutsches Recht und des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik (siehe auch hier). Bis 1938 hatte Fritz auf sich so viele Aufsichtsratsmandate versammelt, „dass er hinter dem Vereinigte Stahlwerke AG Vorstandschef Albert Vögler und dem Bankdirektor der Berliner Handelsgesellschaft, Wilhelm Koeppel, den dritten Rang der Einzelpersonen (einnahm), die im Zentrum der Netzwerke der reichsweiten Wirtschaftselite positioniert waren“.
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Die bahnbrechende These von Felix de Taillez ist, dass es ein langer Weg gewesen sei, bis Fritz Thyssen den Bruch mit den Nazis vollzogen habe: „Die 1948 im Spruchkammer-Verfahren von ihm und Weggefährten vorgebrachten Beteuerungen, sich bereits im Laufe der 1930er Jahre demonstrativ abgewendet zu haben (erscheinen) so nur als vorgeschobene leicht durchschaubare Verteidigunsversuche“. Noch 1936 habe er Hitler in einer Tischrede im Düsseldorfer Industrie-Club geradezu manisch verteidigt und dabei sogar Zitate aus „Mein Kampf“ verwendet. Im gleichen Jahr gab er sich in den Worten des Autors „unbelehrbar“, als er denjenigen, die in der Rüstungspolitik der Nazis Vorboten von Krieg sahen vorwarf, sich zu irren. „Hitler allein sei es zu verdanken“, so Thyssen, „dass Deutschland international wieder als gleichwertiger Partner gesehen werde“. Sowohl Gottfried Niedhart in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch der Perlentaucher haben die Interpretation freudig aufgegriffen, Fritz Thyssen sei „keineswegs der mächtige Mann hinter Hitler“, sondern nur „geblendet“ gewesen und habe „wohl wirklich geglaubt, die Aufrüstung diene nicht der Kriegsvorbereitung, sondern dem Ziel, „bündnisfähig zu werden“.
Doch weshalb sollte man es glauben, dass ein Mann, dessen Gedankengänge ansonsten so wechselhaft und unzuverlässig waren, ausgerechnet in diesem EINEN, für die deutsche Volksseele so zentralen Punkt (die Befürwortung des Kriegs und der Nazi-Greuel), klar gesehen und wahrhaftig gewesen sein soll? Hört es sich nicht eher wie einen weiteren Versuch an, die lang anhaltende Unterstützung des Nazi-Regimes durch die Thyssens zu verschleiern? Vor allem da Fritz’s angebliches Engagement gegen den Krieg so wichtig für die Fähigkeit der Thyssens war, ihr Eigentum nach dem Krieg von den Alliierten zurück zu erhalten.
Und warum, wenn Fritz wusste, wie er 1950 schrieb, dass die Amerikaner Deutschland wiederbewaffnen wollten, um gegen Russland in den Krieg zu ziehen, sagte er sich nicht früher von dieser unheilvollen Allianz los?! Weil auch er einen Krieg gegen die Sowjetunion befürwortete? Oder weil es für ihn wichtiger war, die wirtschaftlichen Gewinne einzufahren, als einen moralischen Standpunkt einzunehmen? Und falls dies so war, wieso geben diese offiziellen Thyssen Biographen weiterhin an, seine Flucht aus Deutschland, als sie denn endlich stattfand, habe einer sittlichen Positionierung entsprochen, nicht einer simplen Bequemlichkeit, wo Fritz doch, so de Taillez, so viele frühere Gelegenheiten versäumt hatte, sich Hitler’s Plänen entgegen zu stellen?!
Nachdem Hermann Göring im Sommer 1938 die kriegswirtschaftliche Mobilmachung ausgesprochen hatte, verbreitete Thyssen, so de Taillez, „diese Propaganda durch sein klares Bekenntnis zum Vierjahresplan medial weiter“. Im Februar 1939 wurde er durch Walther Funk, einem Kunden der August Thyssen Bank (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 115) zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Die im Denazifizierungsverfahren vorgebrachten Eingaben, Thyssen „habe sich mit ernsthaften Umsturzgedanken“ getragen und sei mit Widerstandkreisen in Kontakt gewesen bezeichnet de Taillez als müßig, da „verlässliche Quellen fehlen“. Vielmehr bescheinigt de Taillez Thyssen absolute „Tatenlosigkeit“ nach außen bis November 1939, also bis zwei Monate nach Ausbruch des Krieges. Auch bei einer Vorgabe, „nach dem November-Pogrom 1938 habe Thyssen General von Kluge eine enge Kooperation zwischen Industrie und Armee vorgeschlagen, um der NS-Politik ein Ende zu bereiten“ fügt er klärend hinzu: „aufgrund der Quellenlage ist es mehr als fraglich, ob es einen solchen Plan überhaupt gegeben hatte“.
Im Prinzip demontiert Felix de Taillez damit komplett die bisher „erfolgreiche Umdeutung“ des Fritz Thyssen zu einem „Bild eines außergewöhnlich frühen ‘fanatischen Gegners’ des Nationalsozialismus, der bereits 1936 im Widerstand aktiv war“, wie sie ab 1948 von Thyssens Rechtsanwalt und PR-Beauftragten Robert Ellscheid herausgegeben worden war (siehe auch hier).
Und das ist wirklich „bemerkenswert“!
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Laut de Taillez berichtete die englische Presse nach der Flucht Fritz Thyssens in die Schweiz im September 1939, es läge ein internationaler Haftbefehl gegen ihn für Diebstahl, Veruntreuung, Steuerhinterziehung und Bruch deutscher Währungsrestriktionen vor. Thyssen aber drohte Hitler ausgerechnet mit der internationalen öffentlichen Meinung, während er sich gleichzeitig als „stolzer“ Deutscher „mit jeder Faser seines Seins“ dargestellte. Er wolle „die Unschuld der ‘German nation’ an den Entwicklungen“ aufzeigen, schrieb er, während er gleichzeitig sagte, „das deutsche Volk habe in der Zwischenkriegszeit bewiesen, dass es ‘incapable of adjusting itself to democratic institutions’ sei“ (Selbst während seines Denazifizierungsverfahrens 1948 „stand Fritz Thyssen weiterhin auf dem Standpunkt, dass Demokratie keine geeignete Staatsform für Deutschland sei“!).
De Taillez qualifiziert seine Einstellung als „naiv“. „Schizophren“ und „dreist“ wäre aus unserer Sicht eindeutig angebrachter. Typisch für den Thyssenschen Allmachtsglauben ist sicherlich auch, dass Fritz zu meinen schien, der Lauf eines von solch langer Hand geplanten Krieges ließe sich durch ein paar simple Äußerungen seinerseits ändern. Die Tatsache, dass es seinem Bruder Heinrich so elegant gelungen war, über seine ungarische Nationalität und seinen sicheren, bequemen schweizer Wohnsitz, sich aus allem Politischen herauszuhalten und dennoch alle finanziellen Vorteile der Thyssen-Unternehmungen im Krieg zu genießen, muss Fritz immens geärgert haben. Dieser Verdruss mag sogar ein Auslöser seiner Flucht gewesen sein. So erstaunt es auch nicht, dass er keine Rücksicht auf Heinrich’s Stillschweigeabkommen mit den Schweizer Behörden nahm (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 132), das er durch seine laute Flucht gefährdete.
De Taillez erläutert nun, dass Fritz Thyssen über „geheime Kanäle“ „Kontakt zu Altkanzler Joseph Wirth und westlichen Agenten“ aufgenommen habe und so „in gewisser Weise Teil von Wirths Sondierungsversuchen mit Frankreich und England“ geworden sei. Dann aber sei General Halder, der „bis dahin Anführer der geheimen militärischen Opposition zum Dritten Reich“ gewesen sei „Anfang 1940 eingeknickt“. Der französische Geheimdient, so de Taillez, vermutete hingegen, „dass Fritz Thyssen Kopf einer weitläufigen Geheimorganisation sei, die Deutschland in der Schweiz aufbaue, um den französischen und britischen Einfluss in Europa zu unterminieren“. Gleichzeitig glaubt de Taillez, „unter normalen Umständen wäre Thyssen die Einreise nach Frankreich während des Kriegs verweigert worden. Sein Glück war, dass er den französischen Geheimdienst in der Schweiz hatte überzeugen können, über wichtige Informationen und Einschätzungen zu verfügen, die den Alliierten im Kampf gegen das Dritte Reich nützten“.
Es war stets typisch für die ultra-vermögenden Thyssens, sich bei allen wichtig zu machen. Nur dass es diesmal um Krieg ging. Um Zugehörigkeit ging es den Thyssens nie. Sie waren transnational und nur sich selbst, aber keiner einzigen Nation verpflichtet.
Gut ablesen lässt sich das auch aus dem Buch „I Paid Hitler“, welches Fritz Thyssen zusammen mit Emery Reves 1940 verfasste und Letzterer 1941 in London und New York veröffentlichte (siehe auch hier). Reves arbeitete laut de Taillez seit 1937 auch mit Winston Churchill zusammen. 1940 soll Churchill Reves „mit dem Aufbau des britischen Propagandaapparats in Nord- und Südamerika“ beauftragt haben (!). De Taillez weiter: „Reves weihte Churchill in die zentrale These Fritz Thyssen’s zur Wiederherstellung des Friedens in Europa ein, die bald öffentlich proklamiert würde: Deutschlands Teilung“ – und zwar in „ein protestantisches Ostdeutschland und ein katholisches Westdeutschland unter einem Wittelsbacher“. Churchill soll diese Ansichten an seinen Geheimdienstberater Major Desmond Morton weiter geleitet haben – obwohl man hier doch wohl Zweifel hegen könnte, wieviel davon O-Ton Fritz Thyssen gewesen wäre, und wieviel eher britischer Propaganda zuzuschreiben sein mag…
Dass Fritz Thyssen auch manchmal „bewusst die Unwahrheit gesagt“ (sprich gelogen) haben könnte, ist etwas, was Felix de Taillez auf Seite 459 im Zusammenhang mit Thyssens Aussagen zur Entstehungsgeschichte von „I Paid Hitler“ in den Raum stellt. Es ist ein Anflug von Ehrlichkeit, die eben auch mit „Ehre“ zu tun hat, und die bei so vielen Aussagen der Thyssens und ihrer offiziellen Biografen bislang sehr vermisst wurde. Nachdem sich Thyssen und seine Anwält von dem Buch distanzierten, bestätigte Reves der Spruchkammer, es sei insgesamt von Thyssen diktiert und zu zwei Dritteln von ihm korrigiert worden. Reves bestritt, ein Ghostwriter zu sein, und bezeichnete sich als Herausgeber und Presseagent. Auch brachte er vor, Anita Zichy-Thyssen habe ihm mehrfach für die Veröffentlichung gedankt. Bis heute preisen die Nachfahren von Anita in Süd-Amerika das Buch an und verunglimpfen jeden, der sich kritisch über Fritz Thyssen äussert (siehe hier).
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De Taillez hält fest, dass Fritz Thyssen nach seiner Ingewahrsamnahme durch die Alliierten „in Britischen und US-Amerikanischen Wochenschauen als mutmaßlicher Kriegsverbrecher präsentiert“ wurde. Sodann behauptet er: „offenbar taten sich die Amerikaner sowohl mit einer einheitlichen Einschätzung von Thyssens Fall als auch in der Koordination mit den deutschen Behörden noch schwer“. Dies blendet aus, dass der Fall vor allem dadurch erschwert wurde, dass ein Zugriff auf Heinrich Thyssen-Bornemisza in der Schweiz für die Alliierten nicht möglich war und auch, dass es Diskrepanzen zwischen den Briten und den Amerikanern gab, wie die Thyssens zu behandeln seien (die Briten tendierten mehr zu deren Bestrafung). Wilhelmus Groenendijk, der von 1957 bis 1986 dem Finanzmanagement der Thyssen-Bornemisza Gruppe angehörte, erklärte uns gegenüber: „Heinrich wie Fritz waren als Kriegsverbrecher erfasst. Aber von den Niederlanden aus haben wir es geschafft, dass ihre Namen auf der Liste immer weiter nach unten rutschten, bis wir behaupten konnten, dass ihr Vermögen in Wahrheit alliiertes Eigentum sei“ – und daher unmöglich den deutschen Kriegsanstrengungen zugute gekommen sein konnte…. (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 240).
De Taillez resumiert für Fritz Thyssen dass er sich „trotz erheblicher Differenzen (…) lange Zeit mit dem Dritten Reich arrangierte, da es einen Sockel an Gemeinsamkeiten gab“, nämlich das Ideal des autoritären Staats, die Entmachtung der sozialistischen Arbeiterbewegung und die Revisionspolitik. Dazu kam die Aussicht auf Gewinnsteigerungen der Stahlindustrie. Er schildert dass „der ehemalige Reichskanzler (Heinrich) Brüning (im Nachkriegs-Spruchkammerverfahren gegen Fritz Thyssen) schriftlich erklärte, dass für den Aufstieg Hitlers die Finanzierung aus dem Ausland ausschlaggebend gewesen sei“. Und doch behaupten verschiedene Autoren dieser Serie, inklusive de Taillez, Letzteres sei nichts weiter als eine Verschwörungstheorie. Nichtsdestotrotz macht de Taillez gleichzeitig die bemerkenswerte Feststellung, dass „die oft polarisierenden Äußerungen des Fritz Thyssen in der weltweit am einflussreichsten anglo-amerikanischen Medienwelt bis 1933 positiver bewertet wurden als in der deutschen Öffentlichkeit“ – was doch auf eine Unterstützung des deutschen Rechtsrucks gerade in Großbritannien und den Vereinigten Staaten hinweisen würde.
De Taillez schildert Fritz weitaus intimer als Heinrich, und zwar als absurd, agitierend, ambivalent, einflussreich, fast manisch, polarisierend, realitätsfern, eine Reizfigur, selbstüberschätzend, skrupellos, unbelehrbar, uneinsichtig, unklar, ein Unruhestifter, UNSINNIG, zusammenhanglos, zynisch, und, in einer Beschreibung durch Andere, als von einer „mehr als sonderbaren Art“. Viele dieser Charakteristiken treffen sicher auch auf Heinrich zu, denn sie sind nicht zuletzt auf den gierigen Luxus der Familie und die resultierende, hubristische Wirklichkeitsfremdheit zurückzuführen. Nur war Heinrich intelligenter als Fritz und er wusste vor allem, dass man sich in einer gewissen Zurückgezogenheit viel besser tarnen kann, vor allem wenn man in Wahrheit noch skrupelloser ist als sein überlauter Bruder.
Felix de Taillez’ Kollege Jan Schleusener („Die Enteignung Fritz Thyssens“) bewertet Fritz Thyssen hingegen als Helden: er sei „der einzige Reichstagsabgeordnete (gewesen), der gegen die Entfesselung des Krieges offen Protest erhob“, was an Thomas Rother’s gleichsam unpassende Aussage erinnert, Thyssen sei der einzige Industrielle in Deutschland gewesen, der an Hitler’s Krieg nicht verdient hätte. Gegenüber Norman Cousins gab Fritz Thyssen, laut de Taillez, anscheinend ein einziges Mal zu, “dass er sich wegen seiner finanziellen Unterstützung Hitlers in den späten 1920er Jahren für den Nationalsozialismus mitverantworlich fühle“. Doch Cousins fiel gleichzeitig unangenehm auf, dass Thyssen „nicht die vielen Verbrechen seit 1933, die politischen Morde, die Zerstörung bürgerlicher Freiheiten und die Verfolgung der Juden als ausschlaggebend für seine Abwendung vom Nationalsozialismus nannte“. Von Heinrich Thyssen-Bornemisza sind zu diesen Thematiken überhaupt keine Äußerungen überliefert.
Mehr muss man eigentlich nicht wissen, um einschätzen zu können, ob die angeblich heldenhafte, anti-nationalsozialistische, antimartialische Gesinnung der Thyssens wahrhaftig ist oder ob sie den artifiziellen Diskulpierungen zu verschonender Kriegsprofiteure/-verbrecher (denn sie müssen gewusst haben, dass Hitler’s Krieg ein Vernichtungskrieg sein würde) durch ihre Untergebenen entstammt.
Die herausragende Leistung dieses Buches ist es jedenfalls, dass sie die äußerst elitäre Perspektive dargestellt, aus der die Thyssens ihre Rolle im Nationalsozialismus sahen. Bisher ist es der einzige Band der Serie, der nicht nur in akademischen Kreisen, sondern auch in einer der größten deutschen Tageszeitungen besprochen worden ist.
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Eine ehrliche deutsche Sicht (Foto copyright Lizas Welt: internet/lizaswelt.net/2011/02/28/volksgemeinschaft-gegen-rechts/
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Jahrhundert – Band 6: “Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit. Die Brüder Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza”, von Felix de Taillez, erschienen im Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2017 (scroll down for English version)
Monday, March 5th, 2018
Dieses Buch zu rezensieren ist für uns ein echtes Ärgernis, da so viele Stränge und Einzelheiten darin unserem bahn-brechenden Werk über die Thyssens entlehnt sind, welches ein Jahrzehnt zuvor erschien, Derix uns nichtsdestotrotz keine einzige Nennung gewährt. Es ist erstaunlich, dass sie nicht genug berufsethisches Gefühl aufbringt, unseren Beitrag zur Thyssenschen Geschichtsschreibung an zu erkennen; vor allem wo sie doch auf einer Konferenz 2009 ausdrücklich erklärt haben soll, dass nicht-akademische Betrachtungsweisen, denen gegenüber die Fachwelt häufig Unbehagen empfände (und Berührungsängste mit der Angst vor Statusverlust im Kampf um Deutungshoheit), einen immer größeren Raum einnehmen.
Frau Derix selbst ist natürlich nicht vom ängstlichen Typ, auch wenn sie ziemlich scheinheilig wirkt. Sie scheint vorauseilenden Gehorsam an den Tag zu legen und voller Hingabe, die Erwartungen ihrer vermutlich parteiischen Zahlmeister in Gestalt der Fritz Thyssen Stiftung erfüllen zu wollen. Leider ist sie offensichtlich auch nicht die vorausschauendste Person, da sie z.B. schreibt, Heinrich Lübke, Direktor der August Thyssen Bank (er starb 1962) sei später Bundespräsident Deutschlands gewesen (jener Heinrich Lübke war in dieser Position bis 1969).
Aber die intellektuellen Unzulänglichkeiten der Simone Derix sind weitaus gravierender als es simple Sachfehler wären, die ohnehin mindestens einem ihrer zwei langjährigen Mitarbeiter, drei Projektleiter, vier akademischen Mentoren und sechs wissenschaftlichen Mitarbeiter hätten auffallen müssen. Sie versucht uns allen Ernstes zu erzählen, dass die Erforschung der Lebenswelten von reichen Personen ein vollkommen neuer Zweig der akademischen Forschung sei, und dessen illustrer Pionier sie selbst. Weiss sie denn nicht, dass Geschichtsschreibung klassischerweise ausschließlich von Reichen, über Reiche und für Reiche getätigt wurde? Hat sie bereits vergessen, dass selbst einfachstes Lesen und Schreiben bis vor hundert fünfzig Jahren Privilegien der wenigen Mitglieder der oberen Schichten waren?
Gleichzeitig erscheint sie, im Gegensatz zu uns, keine persönlichen Erfahrungen mit außergewöhnlich reichen Menschen erworben zu haben. Ihre Förderung, während eines früheren Vorhabens, durch die finanzstarke Gerda Henkel Stiftung war vermutlich gleichermaßen auf Armeslänge. Reiche Leute verkehren nur mit reichen Leuten, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Derix sich irgendwie für ernst zu nehmende Kommentare über deren Lebensstil qualifiziert hätte, es sei denn, sie wurde für ihr vorliegendes Werk pro Wort bezahlt…
Was allerdings tatsächlich neu ist, ist dass der weg gefegte Feudalismus durch etablierte demokratische Gesellschaften ersetzt wurde, in denen Wissen allgemein zugänglich ist und die Gleichheit vor dem Gesetz Priorität hat. Ja, Derix hat Recht, wenn sie sagt, dass es schwierig ist, die Archive von Ultra-Reichen einzusehen. Diese wollen immer nur glorreiche Dinge über sich verbreiten und die Realitäten hinter ihrem überwältigenden Reichtum verbergen. Aber es ist grotesk so zu tun, als hätten die Thyssens jetzt auf einmal beschlossen, sich in Ehrlichkeit zu üben und offiziellen Historikern großzügig zu erlauben, ihre privatesten Dokumente zu sichten. Der einzige Grund, weshalb Simone Derix nunmehr einige kontroverse Fakten über die Thyssens publiziert, ist, dass wir diese bereits publiziert haben. Der Unterschied liegt darin, dass sie unsere Belege mit ausgesprochen positiven Termini neu umspannt, um dem allgemeinen Programm der Schadensbegrenzung dieser Serie gerecht zu werden.
Derix scheint zu glauben, auf diese Weise auf zwei Hochzeiten tanzen zu können; ein Balanceakt der dadurch drastisch erleichtert wird, dass sie bereits zu Anfang ihrer Studie jegliche Erwägungen bezüglich Ethik und Moral kategorisch ausschließt. Die Tatsache, dass die Thyssens ihre deutschen Firmen (inklusive derer, die Waffen produzierten und Zwangsarbeiter verwendeten) hinter internationalen Strohmännern tarnten (mit dem zusätzlichen Bonus der groß angelegten Umgehung deutscher Steuern) wird von Derix als irreführende Beschreibung dargestellt, welche “eine staatliche Perspektive impliziert” und angewandt wird, um “eine gewünschte Ordnung zu etablieren, nicht eine bereits gegebene Ordnung abzubilden”. Als ob “der Staat” eine Art hinterhältige Einheit sei, die bekämpft werden müsse, und nicht das gemeinschaftliche Unterstützungswesen für alle gleichgestellten, rechtstreuen Bürger, so wie wir Demokraten ihn verstehen.
Dies ist nur eine von vielen Äußerungen, die zu zeigen scheinen, wie sehr die möglicherweise als autoritär zu beschreibende Einstellung ihrer Sponsoren auf Derix abgefärbt hat. Die Tatsache, dass Akademiker, die bei öffentlich geförderten Universitäten angestellt sind, in solch einer Weise von den eigennützigen Institutionen Fritz Thyssen Stiftung, Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen und ThyssenKrupp Konzern Archiv als Public Relations Vermittler missbraucht werden, ist äusserst fragwürdig; v.a. wenn man angeblich akademische Maßstäbe anlegt. Und vor allem wenn von diesen behauptet wird, sie seien unabhängig.
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In der Welt von Simone Derix werden die Thyssens immer noch (!) v.a. als „Opfer“, „(Steuer-)flüchtlinge“, als „enteignet“ und „entrechnet“ beschrieben; selbst wenn sie ein oder zwei Mal über 500 Seiten hinweg kurz zugeben muss, dass es ihnen in der “langfristigen Perspektive (…) gelungen zu sein (scheint), Vermögen stets zu sichern und für sich verfügbar halten zu können”.
Was ihre Beziehung zum Nationalsozialismus angeht, so nennt sie sie damit „verwoben“, „verquickt“, sagt, dass sie in ihm „präsent“ waren, in ihm „lebten“. Mit zwei oder drei Ausnahmen werden die Thyssens nie richtiger Weise als handelnde, profitierende, u.v.a. zum Bestand des Regimes beitragende Akteure beschrieben. Stattdessen wird die Schuld wiederum, genau wie in Band 2 („Zwangsarbeit bei Thyssen“), weitgehendst den Managern zugeschrieben. Dies ist für die Thyssens sehr praktisch, da die Familien dieser Männer nicht die Mittel haben, gleichwertige Gegendarstellungen zu publizieren, um ihre Lieben zu rehabilitieren.
Wenn Simone Derix jedoch davon spricht, dass „aus einer nationalstaatlichen Perspektive (…) diese Männer als Ganoven erscheinen (mussten)“, dann überschreitet sie bei Weitem die Grenzen der fairen Kommentierung. Die Ungeheuerlichkeit ihrer Behauptung verschlimmert sich dadurch, dass sie es unterlässt, Beweise beizufügen, so wie in unserem Buch geschehen, die zeigen, dass alliierte Ermittler klar aussprachen, dass sie die Thyssens selbst, nicht ihre Mitarbeiter, für die wahren Täter und Verdunkler hielten.
Und dennoch gibt Derix in ihrem Streben nach Thyssen Glanz vor, deutsche Größe, Ehre und Vaterlandsliebe zu beschwören. Immer wieder und auf bombastische Weise behauptet sie z.B., dass die Grablege / Gruft in Schloss Landsberg bei Mülheim-Kettwig „zukünftig die Präsenz der Familie und ihre Verbundenheit mit dem Ruhrgebiet garantieren (würde)“, und dass es im Falle der Thyssens einen „(unauflösbaren) (…) Zusammenhang von Familie, Unternehmen, Region und Konfession“ gibt. Dabei stuft sie die Thyssens nicht, wie es richtig wäre, im Rahmen der Industriellen-Familien Krupp, Quandt, Siemens und Bosch ein, sondern zieht es vor, ihren Namen übertreibend mit denen der Herrscherhäuser Bismarck, Hohenzollern, Thurn und Taxis und Wittelsbach zu umgeben.
In Wirklichkeit wählten viele der Thyssen-Erben eine Abkehr von Deutschland und ein transnationales Leben im Ausland. Ihr Mausoleum ist noch nicht einmal öffentlich frei zugänglich. Im Gegensatz zu dem was Derix andeutet, ist der starke, symbolische Name, der so eine Anhänglichkeit in Deutschland hervorruft, einzig der der Aktiengesellschaft Thyssen (jetzt ThyssenKrupp AG), als einem der Hauptarbeitgeber im Land. Dies hat überhaupt nichts mit Respekt für die Abkömmlinge des herausragenden August Thyssen zu tun, die aufgrund ihrer gewählten Abwesenheit in ihrer Mehrzahl in Deutschland absolut unbekannt sind.
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In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass Simone Derix die Thyssens als „altreich“ sowie „arbeitende Reiche“ kategorisiert. Obwohl Friedrich Thyssen Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ein Bankier war, so waren es doch erst seine Söhne August (75% Anteil) und Josef (25% Anteil), die ab 1871 (und mit den Profiten aus zwei Weltkriegen) durch ihre unermüdliche Arbeit, und die ihrer Arbeiter und Angestellten, das enorme Thyssen-Vermögen schufen. Ihresgleichen ward in den nachfolgenden Thyssen-Generationen nie wieder gesehen.
So wurden die Thyssens ultravermögend und spalteten sich komplett von der etablierten adelig-bürgerlischen Oberschicht ab. Sie können wirklich nicht als „altreich“ bezeichnet werden, und ihre Erben auch nicht, auch wenn diese alles in ihrer Macht taten, um sich die äußere Aufmachung der Aristokratie anzueignen. (Hier stellt sich die dringende Frage, wieso Band 6 der Serie ausgerechnet „Fritz und Heinrich Thyssen – Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit betitelt wurde). Dies beinhaltete die Einheiratung in den ungarischen, zunehmend falschen Adel, wonach, so muss es sogar Derix zugeben, mit dem Anbruch der 1920er Jahre jeder fünfte Ungar behauptete, der Aristokratie des Landes anzugehören.
Die Linie der Bornemiszas, in die Heinrich einheiratete z.B. waren eben nicht das alte „Herrschergeschlecht“ der Bornemiszas, auch wenn Derix das immer noch so wiederholt. Die Thyssen-Bornemiszas hatten Verbindung zum niederländischen Königshaus, nicht weil Heinrich’s Frau Margit bei Hofe selbsternannt „besondere Beachtung“ fand, sondern weil Heinrich in jenem Land wichtige Geschäftsinteressen vertrat. Dadurch wurde Heinrich Thyssen zum Bankier für das niederländische Königshaus und ein persönlicher Bekannter seines Namensvettern Heinrich, des Prinzgemahls der Königin Wilhelmina.
Außer für solche wirtschaftlichen Beziehungen wollten weder der deutsche, noch der englische oder irgend ein anderer europäischer Adel in Wirklichkeit diese Aufsteiger in ihren engeren Reihen willkommen heissen (Religion spielte natürlich auch eine Rolle, denn die Thyssens waren und sind katholisch). Das heisst, bevor nicht gesellschaftliche Konventionen mit Beginn der 1930er Jahre sich weit genug geändert hatten und ihre Töchter in die tatsächlich alten ungarischen Dynastien der Batthyanys und Zichys einheiraten konnten.
Aber bis dahin ließen sich die Brüder, basierend auf ihrem hervorragenden Reichtum, nicht davon abhalten, sich viele der erhabenen Sphären selbst zu erschließen. Laut Derix verbrachte Fritz Thyssen Anfang des 20. Jahrhunderts sogar Zeit damit, Pferde aus England zu importieren, die englische Fuchsjagd in Deutschland einzuführen und sich eine Hundemeute zur Hetzjagd auf Hirsche zuzulegen. Weiterhin ließ er anscheinend den Trakt für Dienstpersonal seines neu gebauten Hauses in Mülheim niedriger halten, um die „Differenz und Distanz zwischen Herrschaft und Personal“ zu signalisieren.
Dies sind tatsächlich erstaunliche, neue Offenbarungen, die zeigen, dass das traditionelle Bild, welches die Thyssen Organisation bisher herausgab, nämlich das des „Bad Cop“ Fritz Thyssen (deutscher Industrieller, „temporärer“ Faschist), „Good Cop“ Heinrich Thyssen-Bornemisza (Ungar, „Adeliger“) sogar noch irreführender ist, als wir bisher angenommen hatten.
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Wirklich bedauernswert sind die Versuche von Derix, Fritz Thyssen als gläubigen Peacenik und Mitglied einer gemäßigten Partei darzustellen. Und genauso sind es ihre lang anhaltenden Verrenkungen, Heinrich Thyssen-Bornemisza als perfekt assimilierten, ungarischen Gutsherren zu portraitieren. Sie berichtet allerdings, dass Heinrich’s Frau erwähnt hatte, dass er kein Wort der Sprache beherrschte; was allerdings Felix de Taillez in Band 6 nicht davon abhält, zu behaupten, er habe Ungarisch gesprochen. „Wenn Sie sie nicht schlagen können, dann müssen Sie sie verwirren“ war eines von Heini Thyssen’s Mottos. Es ist offensichtlich auch das Motto dieser Thyssen-finanzierten Akademiker geworden.
Währenddessen ist das Buch von Derix das erste von der Thyssen Organisation unterstützte Werk, das bestätigt, dass Heinrich Thyssen-Bornemisza eben doch seine deutsche (damals preussische) Staatsangehörigkeit beibehielt. Derix traut sich sogar soweit hervor, zu sagen, dass die ungarische Staatsangehörigkeit „von Heinrich möglicherweise aus funktionalen Gründen gewählt“ worden war. Doch diese Perlen der Aufrichtigkeit werden unter den Springbrunnen ihrer überschwänglichen Propaganda rasch erstickt, die darauf abzielt, die Thyssens der zweiten Generation besser dastehen zu lassen, als sie waren. Dies erstreckt sich auch darauf, die Rolle des August Thyssen Junior von der des schwarzen Schafs der Familie auf die des engagierten Unternehmers um zu schreiben.
Andererseits unterlässt es die Autorin immer noch, irgendwelche unternehmerischen Details zum Leben des weitaus wichtigeren Heinrich Thyssen in England um die Jahrhundertwende zu liefern (Stichworte: Banking und Diplomatie). Wie genau machte die Familie die enge Bekanntschaft von Menschen wie Henry Mowbray Howard (britischer Verbindungsoffizier beim französischen Marineministerium) oder Guy L’Estrange Ewen (Sonderbotschafter der Britischen Monarchen)? Eine große Chance zur echten Transparenz wurde hier vergeudet.
Derix unterlässt es weiterhin, das Augenmerk darauf zu richten, dass die Familienzweige August Thyssen und Josef Thyssen sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelten. August’s Erben nützten Deutschland aus, verließen und verrieten es und waren ausgesprochen „neureich“, außer Heinrich’s Sohn Heini Thyssen-Bornemisza und dessen Sohn Georg Thyssen, die sich tatsächlich mit dem Management ihrer Firmen befassten.
Im Unterschied dazu verblieben Josef Thyssen’s Erben Hans Thyssen und Julius Thyssen in Deutschland (bzw. waren bereit dorthin aus der Schweiz zurück zu kehren, als in den 1930er Jahren Devisenbeschränkungen erlassen wurden), zahlten ihre Steuern, arbeiteten im Thyssen Konzern, bevor sie in den 1940er Jahren ihre Anteile verkauften, ihre Resourcen bündelten und berufliche Karrieren einschlugen. Nur Erben Josef Thyssen’s sind auf der Liste der 1001 reichsten Deutschen des Manager Magazins aufgeführt, aber aus unerklärten Gründen lässt Derix diese tatsächlich „arbeitenden reichen“ Thyssens in ihrer Studie weitgehenst unerwähnt.
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Glücklicherweise konzentriert Simone Derix nicht all ihre Kräfte auf schöpferische Erzählungen und Plagiarisierung, sondern bietet auch wenigstens einige politökonomische Fakten an. So legt sie offen, dass Heinrich Thyssen-Bornemisza bis 1933 ein Mitglied des Aufsichtsrats der Vereinigten Stahlwerke in Düsseldorf war, also bis nach Adolf Hitler’s Machtergreifung. Dies, in Kombination mit ihrer Aussage, dass sich Heinrich „bereits 1927/8 (von Scheveningen in den Niederlanden) dauerhaft nach Berlin orientiert zu haben (scheint)“ widerlegt eine der größten Thyssenschen Dienlichkeitslegenden, nämlich die, Heinrich Thyssen-Bornemisza habe ab 1932 seinen Hauptwohnsitz in der neutralen Schweiz gehabt (i.e. praktischerweise vor Hitler’s Machtergreifung); nachdem er „Deutschland noch rechtzeitig verlassen hatte“; obschon dies Derix nicht davon abhält, auch diese Täuschung danach gleichfalls noch zu wiederholen (- „Wenn Sie sie nicht schlagen können, dann müssen Sie sie verwirren“ -).
Tatsache ist, dass Heinrich Thyssen, obwohl er 1932 die Villa Favorita in Lugano (Schweiz) kaufte, weiterhin den Großteil seiner Zeit in verschiedenen Hotels verbrachte, v.a. aber in einer permanenten Hotelsuite in Berlin und ausserdem einen Wohnsitz in Holland beibehielt (wo Heini Thyssen fast allein, bis auf das Personal, aufwuchs). („Sein Tessiner Anwalt Roberto van Aken musste ihn 1936 daran erinnern, dass er immer noch nicht seine permanente Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz beantragt hatte. Erst im November 1937 wurden Heinrich Thyssen und seine Frau mit je einem Ausländerausweis der Schweiz ausgestattet“ – Die Thyssen-Dynastie, Seite 149).
Derix justiert auch den alten Thyssen Mythos neu, wonach Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza geschäftlich kurz nach ihrer Erbschaft von ihrem Vater, der 1926 starb, geschäftlich getrennte Wege gegangen seien. Wir haben stets gesagt, dass die beiden Brüder bis tief in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eng miteinander verbunden blieben. Und simsalabim plötzlich gibt Derix nunmehr an: „Bisher wird davon ausgegangen, dass die Separierung des Vermögens von Heinrich Thyssen-Bornemisza und Fritz Thyssen 1936 abgeschlossen war“. Sie fügt hinzu: „Trotz aller Versuche, die Anteile von Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza voneinander zu separieren, blieben die Vermögen von Fritz und Heinrich (vertraglich geregelt) bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg miteinander verschränkt“.
Aber es ist ihr folgender Satz, der am ärgerlichsten ist: „Außenstehende konnten diesen Zusammenhang offenbar nur schwer erkennen“. In Wahrheit war die Situation deshalb so undurchsichtig, weil die Thyssens und ihre Organisation erhebliche Anstrengungen unternahmen und alles ihnen Mögliche taten, um die Dinge zu verschleiern, v.a. da dies bedeutete, dass sie die gemeinsame Unterstützung des Naziregimes durch die Thyssen Brüder tarnen konnten.
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Unter der großen Anzahl der Berater der Thyssens stellt die Autorin insbesondere den Holländer Hendrik J Kouwenhoven vor, und zwar als die Hauptverbindung zwischen den beiden Brüdern Fritz und Heinrich. „Er tat Chancen auf und erdachte Konstruktionen“, so schreibt sie. Kouwenhoven arbeitete seit 1914 bei der Handels en Transport Maatschappij Vulcaan der Thyssens und danach bei ihrer Bank voor Handel en Scheepvaart (BVHS) in Rotterdam seit ihrer offiziellen Gründung 1918 bis zu seiner Entlassung durch Heinrich Thyssen-Bornemisza im zweiten Weltkrieg.
Vermögensverwaltungsgesellschaft und Trust Department der BVHS war das Rotterdamsch Trustees Kantoor (RTK), welches Derix als „Lagerstätte für das Finanzkapital der (Thyssen) Unternehmen wie für die privaten Gelder (der Thyssens)“ beschreibt. Sie sagt nicht, in welchem Jahr diese Gesellschaft gegründet wurde. Laut Derix wurden „das Gebäude der Vermögensverwaltung, der Heinrich Thyssen-Bornemisza alle wichtigen Papiere anvertraut hatte (…), am 14. Mai 1940 bei einem Luftangriff auf Rotterdam (…) vollständig zerstört“. Für uns klingt das wie eine höchst fragwürdige Information.
Über die Akten der BVHS sagt Derix knapp: „Von der BVHS ist kein geschlossener Quellenbestand erhalten“. Wie praktisch, insbesondere da niemand außerhalb der Thyssen Organisation jemals in der Lage sein wird, diese Aussage wahrhaft unabhängig zu überprüfen; zumindest nicht bevor der Schutzmantel des Professor Manfred Rasch, Leiter des ThyssenKrupp Konzern Archivs, sich in den Ruhestand verabschiedet.
Derix spielt auf die „frühe Internationalisierung des (Thyssen) Konzerns“ ab 1900 an, und rechnet ihre Kenntnisse über Rohstoffankäufe und den „Aufbau eines eigenen Handels- und Transportnetzes“ Jörg Lesczenski zu, der zwei Jahre nach uns publizierte, und dessen Buch ebenfalls, so wie das von Derix, durch die Fritz Thyssen Stiftung unterstützt wurde. Aber sie unterlässt Querverweise auf die ersten Steueroasen (inklusive der der Niederlande), die sich zum Ende des 19. Jahrhunderts hin entwickelten und überlässt diesen Bereich bequem zukünftiger Forschung, die „weitaus intensiver“ ausfallen müsse „als dies bislang vorliegt“.
Derix nennt die Transportkontor Vulkan GmbH Duisburg-Hamborn von 1906 mit ihrer Filiale in Rotterdam (siehe oben) und die Deutsch-Überseeische Handelsgesellschaft der Thyssenschen Werke mbH in Buenos Aires von 1913 (übrigens: bis zum heutigen Tage ist die ThyssenKrupp AG im großen Stil im Rohmaterialhandel aktiv). Sie schreibt auch, dass die US-Amerikanischen Kredite für den Thyssen Konzern 1919 via der Vulcaan Coal Company begannen (verschweigt jedoch, dass diese Firma in London angesiedelt war).
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Nach Angaben von Simone Derix begann August Thyssen 1919 damit, seine Anteile an den Thyssen Unternehmen an seine Söhne Fritz und Heinrich zu übertragen, zunächst die von Thyssen & Co. und ab 1921 die der August Thyssen Hütte. Sie fügt hinzu, dass „bestehende Thyssen Einrichtungen im Ausland für Tausch und Umschichtung von Beteiligungen“ genutzt wurden.
Ab 1920 kaufte Fritz Thyssen in Argentinien Land. Die Thyssensche Union Banking Corporation (UBC), 1924 im Harriman Building am Broadway, New York, gegründet, wird währenddessen allein in der Sprache der „transnationalen Dimension des Thyssenschen Finanzgeflechts“ beschrieben und als „die American branch“ der Bank voor Handel en Scheepvaart.
Wir hatten bereits in unserem Buch beschrieben, wie Heinrich Thyssen-Bornemisza, über Hendrik Kouwenhoven, in der Schweiz 1926 die Kaszony Stiftung institutierte, um seine ererbten Firmenanteile zu deponieren; und 1931 die Stiftung Sammlung Schloss Rohoncz, als Depot für seine Kunstgegenstände, die er ab 1928 als leicht bewegliche Kapitalanlagen kaufte. Jetzt schreibt Derix, dass letztere ebenfalls bereits 1926 gegründet worden sei. Dies ist estaunlich, da es bedeutet, dass dieses Finanzinstrument ganze zwei Jahre bevor Heinrich Thyssen das erste Gemälde kaufte, gegründet wurde, das seinen Weg in die Sammlung fand, die er „Sammlung Schloss Rohoncz“ nannte (obwohl keines der Bilder jemals auch nur in die Nähe seines ungarischen, dann österreichischen Schlosses fand, in dem er ab 1919 nicht mehr lebte).
Die Terminierung der Bildung dieses Offshore-Instruments zeigt einmal mehr wie gekünstelt Heinrich Thyssen’s Neuerfindung als „Kunstkenner und Sammler“ tatsächlich war.
Derix gibt sogar freimütig zu, dass die Thyssenschen Familienstiftungen als „Gegenspieler (…) von Staat und Regierung auftraten“. Jedoch versäumt sie es, genauso wie Johannes Gramlich in Band 3 („Die Thyssens als Kunstsammler“) die Logistik des Transfers von ca. 500 Bildern durch Heinrich Thyssen-Bornemisza in die Schweiz in den 1930er Jahren zu beschreiben, inklusive der Tatsache, dass dies eine Methode der großangelegten Kapitalflucht aus Deutschland heraus darstellte. Die assoziierten Themen der Steuerflucht und Steuerumgehung bleiben vollständig außerhalb ihres akademischen Radars, und sie lässt damit z.B. unsere dokumentierten Belege aus.
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In einer weiteren, wagemutigen Um-Schreibung der offiziellen Thyssen Historie erklärt die Autorin, dass die Thyssen Brüder in ihren Finanzangelegenheiten oft parallel agierten. Und so kam es, dass die Pelzer Stiftung und Faminta AG von Kouwenhoven für Fritz Thyssen’s Seite in der Schweiz gegründet wurden. (Derix bleibt vage bestreffs genauer Daten. Wir haben veröffentlicht: 1929 für Faminta AG und die späten 1930er Jahre für die Pelzer Stiftung).
Derix weist darauf hin, dass diese beiden Finanzinstrumente auch geheime Transaktionen zwischen den zwei Thyssen Brüdern erlaubten. Vage bleibend fügt sie hinzu, sie hätten auch „das Auslandsvermögen der August Thyssen Hütte vor einer möglichen Beschlagnahmung durch deutsche Behörden (gesichert)“. Dabei verschweigt sie jegliche Referenz betreffs Zeitskala, und demnach wann genau solch eine Beschlagnahmung im Raum getanden haben soll (gibt sie hier etwa zu verstehen, dass diese bereits vor Fritz Thyssen’s Flucht aus Deutschland im September 1939, also im Zeiraum 1929-1939 zu erwarten gewesen sein könnte?).
Gleichzeitig etablierten Fritz und Amelie Thyssen einen festen Standort in den 1920er Jahren im Süden des deutschen Reiches, und zwar in Bayern (weit weg vom Thyssenschen Kerngebiet der Ruhr), welchen Derix als „bisher von der Forschung wenig beachtet“ darstellt. Natürlich war dieser monarchistischste aller deutschen Staaten nicht nur nah an der Schweiz, sondern er war zu jener Zeit auch die Wiege der Nazi Bewegung. Auch Adolf Hitler zog München Berlin vor.
Alle Finanzinstrumente der Familie wurden währenddessen weiter durch die Rotterdamsch Trustees Kantoor in den Niederlanden verwaltet. Diese „neu geschaffenen Banken, Gesellschaften, Holdings und Stiftungen wurden über Beteiligungen mit den produzierenden Thyssenschen Unternehmen verknüpft“, so Derix weiter.
Diese Unternehmen usw. waren aber ebenso mit der aufsteigenden Nazi Bewegung verknüpft, so z.B. durch einen Kredit von ca. 350,000 Reichsmark, den ihre Bank voor Handel en Scheepvaart ca. 1930 der NSDAP gewährte, zu einer Zeit, als sowohl Fritz Thyssen als auch Heinrich Thyssen-Bornemisza beherrschende Anteile an der BVHS hatten.
Laut Derix war es im Jahr 1930, dass Heinrich Thyssen anfing, seine Anteile an den Vereinigten Stahlwerken an Fritz zu verkaufen, während Fritz seine holländischen Anteile an Heinrich verkaufte. In der Nachfolge war Heinrich Thyssen dann allein in Kontrolle der Bank voor Handel en Scheepvaart, und zwar von 1936 an.
Insbesondere war es eine Thyssen Firma mit Namen Holland-American Investment Corporation (HAIC), die Fritz Thyssen’s Kapitalflucht aus Deutschland ermöglichte. Laut Derix erwarb die Pelzer Stiftung „im Herbst 1933 von Fritz Aktien der HAIC und damit seine darin zusammengefassten niederländischen Beteiligungen. Dieses Geschäft geschah mit Zustimmung der deutschen Behörden, die von der HAIC wussten. Aber 1940 sahen die Deutschen, dass eine erhebliche Diskrepanz bestand zwischen 1,5 Millionen Reichsmark der niederländischen Beteiligungen in HAIC wie angegeben, und dem tatsächlichen Wert von 100 bis 130 Millionen RM.“
Dies ist überwältigend, da der heutige Wert dieser Summe bei vielen hundert Millionen Euros liegt!
Wenn man bedenkt, dass Heinrich’s Frau angab, dass er ca. 200 Millionen Schweizer Franken seines Vermögens in neutrale Länder gebracht hatte, dann würde dies bedeuten, dass die Thyssen Brüder es möglicherweise geschafft hatten, zusammen einen Gegenwert in Bar aus Deutschland abzuziehen, der fast dem gesamten Geldwert der Thyssen Unternehmen entsprach! Dies aber ist keine Schlussfolgerung, die Simone Derix zieht.
Man beginnt, sich zu wundern, was eigentlich zur Beschlagnahmung übrig gewesen sein soll, nachdem Fritz Thyssen bei Kriegsbeginn 1939 Deutschland verließ. Derix räumt ein, dass seine Flucht nicht zuletzt deshalb stattfand, weil er seine eigennützigen Finanztransaktionen lieber von der sicheren Schweiz aus, mit Hilfe des Heinrich Blass bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zurich, vervollständigen wollte.
Obwohl wir einige Hinweise auf Summen herausarbeiten konnten, so hatten wir doch keine Ahnung, dass das Gesamtausmaß der Kapitalflucht durch die Gebrüder Thyssen so dramatisch war. Dass Simone Derix diesen Punkt im Namen der Thyssen Organisation anspricht ist beachtenswert; selbst wenn sie es unterlässt, die angemessenen Schlussfolgerungen zu ziehen – möglicherweise da diese ihrem „Blue-Sky“ Auftrag zuwiderlaufen würden.
Fürwahr und in den Worten des weitaus erfahreneren Harald Wixforth steht für diese „Großkapitalist(en) (…) tatsächlich (…) das Profitinteresse des Unternehmens immer über dem Volkswohl“.
Es versteht sich von selbst, dass wir die Bände von Harald Wixforth und Boris Gehlen über die Thyssen Bornemisza Gruppe 1919-1932 und 1932-1947 mit Interesse erwarten.
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In diesem korrigierten offiziellen Licht überrascht Derix’s Zugeständnis, dass Fritz und Amelie Thyssen’s „Enteignung (…) jedoch nicht unmittelbar mit einer Einschränkung der Lebensführung verbunden (war)“ nun wirklich überhaupt nicht mehr.
Die Autorin gibt auch zum ersten Mal offizielle Abreisedaten für Fritz Thyssen’s Tochter Anita, ihren Ehemann Gabor und ihren Sohn Federico Zichy nach Argentinien bekannt. So fuhren sie anscheinend am 17.02.1940 an Bord des Schiffs Conte Grande von Genua in Richtung Buenos Aires. Um sie mit der standesgemäßen finanziellen Rückendeckung auszustatten waren kurz zuvor Anteile der Faminta AG in den Übersee-Trust Vaduz transferiert worden, dessen einzige Begünstigte Anita Zichy-Thyssen war, die die ungarische Staatsbürgerschaft besaß.
Derix schreibt sodann, dass Fritz Thyssen im April 1940 „sein politisches Wissen über das Deutsche Reich und die deutsche Rüstungsindustrie als ein Gut (einbrachte), das er im Tausch gegen die Unterstützung seiner Anliegen anbieten konnte“. Was aber genau waren diese Anliegen? Der hochmütig wahnhafte Fritz glaubte offensichtlich, dass er Hitler genauso einfach loswerden könne, wie er ihm einstmals zur Macht verholfen hatte. Dafür war er bereit, deutsche Staatsgeheimnisse mit dem französischen Außenminister Alexis Leger und dem Rüstungsminister Raoul Dautry in Paris zu teilen. Aber für Derix ist dieses Verhalten keinesfalls etwas Strittiges wie z.B. aktiver Landesverrat oder ein Ausdruck der Macht, sondern nichts weiter als das legitime Recht eines Ultra-Reichen, die Wahlmöglichkeiten seines gehobenen Lebensstils auszudrücken.
Während alle vorangegangene Thyssen Biografen, mit Ausnahme von uns, behauptet haben, die Thyssens hätten unausprechliche „Qualen“ während ihrer Inkarzeration in Konzentrationslagern erlebt, bestätigt Derix nunmehr unsere Information, dass sie die meiste Zeit ihrer Inhaftierung in Deutschland im bequemen, privaten Sanatorium des Dr Sinn in Berlin-Neubabelsberg verbrachten. Derix schreibt, sie seien dort „auf Befehl des Führers“ und „auf Ehrenwort“ gewesen. Dabei gab Fritz und Heinrich’s persönlicher Freund Hermann Göring während seiner alliierten Befragungen nach dem Krieg an, er habe diese privilegierte Behandlung initiiert. Nach Neubabelsberg wurden sie in verschiedene Konzentrationslager gebracht, aber Derix ist nunmehr gezwungen einzugestehen, dass sie sich jeweils eines Sonderstatuses erfreuten, der „an allen Aufenthaltsorten belegbar“ sei. Was die Frage aufwirft, warum deutsche Historiker es in der Vergangenheit für nötig erachtet haben, diese Fakten falsch darzustellen.
Derix’s Liste der alliierten Befragungen des Fritz Thyssen nach dem Krieg ist besonders bemerkenswert. Sie illustriert, mit welchem Ernst er der, wenn auch Unternehmens-bedingten, Kriegsverbrechen beschuldigt wurde; genug um ihn mit Inhaftierung zu bestrafen:
Im Juli 1945 wurde er ins Schloss Kransberg nahe Bad Nauheim gebracht, und zwar zum sogenannten Dustbin Zentrum für Wissenschaftler und Industrielle der amerikanischen und britischen Besatzungsmächte. Im August kam er nach Kornwestheim, und im September zum 7th Army Interrogation Center in Augsburg.
Derix erwähnt auch vage, Fritz Thyssen sei irgendwann 1945 durch Robert Kempner, Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, befragt worden.
Thyssen erlitt einen Kollaps und musste sich in ärztliche Behandlung begeben. Er wurde ins US Gefangenenlager Seckenheim gebracht, danach nach Oberursel. Sein Gesundheitszustand verschlimmerte sich. Von April bis November 1946 war er in verschiedenen Krankenhäuser und Kuranstalten zwischen Königstein (wo er eine unerwartete Besserung erlebte) und Oberursel. Ab November 1946 war Fritz Thyssen als Zeuge bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen (man nimmt an, in den Fällen von Alfried Krupp und Friedrich Flick) geladen, während er weiterhin ständig Krankenhausbehandlungen erhielt, diesmal in Fürth.
Am 15.01.1947 wurde Fritz Thyssen entlassen und vereinigte sich wieder mit seiner Frau Amelie in Bad Wiessee. Danach kam sein deutscher Entnazifizierungsprozess in Königstein, wo er und Amelie im Sanatorium des Dr Amelung wohnten. In diesem Gericht, wie es seinem unaufrichtigen Charakter entsprach, gab Fritz Thyssen an, keinen Heller zu besitzen.
Währenddessen, so Derix, trat Anita Zichy-Thyssen mit Edmund Stinnes in Kontakt, der in den USA lebte, und mit dessen Schwager Gero von Schulze-Gaevernitz, einem engen Mitarbeiter des US Geheimdienstchefs Allen Dulles. Im Frühjahr 1947 traf sie sich, um „eine Ausreisegenehmigung ihrer Eltern nach Amerika zu erwirken“, mit dem früheren US-Senator Burton K Wheeler in Argentinien, der 1948 nach Deutschland reiste „um Fritz Thyssen aus seinen Denazifizierungsschwierigkeiten zu helfen“. Dies ist sicherlich ein Aspekt einer Einflussnahme auf höchster Ebene, die wir mit weitaus größeren Einzelheiten in unserem Buch präsentiert haben, die aber Johannes Bähr in seinem Band 5 der Serie („Thyssen in der Adenauerzeit“) erstaunlicherweise vollkommen unterschlägt.
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Ein anderer Thyssen, der Probleme mit seiner Entnazifizierung gehabt haben sollte, dies aber nicht tat, war Heinrich’s Sohn Stephan Thyssen-Bornemisza.
Während sein Bruder Heini Thyssen im Deutschen Realgymnasium in Den Haag erzogen wurde, war Stephan auf das Internat Lyceum Alpinum in Zuoz, Schweiz, gegangen, wo die meisten Schüler aus der deutsch-sprachigen Schweiz, den Niederlanden und dem deutschen Reich stammten, bzw. Auslandsdeutsche waren. Demnach gab es in diesem Internat drei Schülerhäuser, mit den Namen „Teutonia“, „Orania“ und „Helvetia“. Nachdem er in Zurich und am Massachusetts Institute of Technology studiert hatte wurde er Assistent in einem Forschungslabor der Shell Petroleum Company in St. Louis. Dann schrieb er an der Universität Budapest seine Doktorarbeit und begann in der Lagerstättenforschung zu arbeiten.
Ab 1932, während er in Hannover lebte, arbeitete Stephan für die Seismos GmbH, eine Firma, die sich mit der Suche nach Bodenschätzen befasste. Sie wurde 1921 durch die Deutsch-Lux, Phoenix, Hoesch, Rheinstahl und die Gelsenkirchener Bergwerks AG gegründet. Derix schreibt: „Ab 1927 war die Gelsenkirchener Bergwerks AG, die wiederum zur 1926 gegründeten Vereinigte Stahlwerke AG gehörte, mit 50 Prozent der Anteile der Haupteigner des Unternehmens. Damit fiel Seismos unter Fritz Thyssens Teil des familialen Erbes. (…) In den 1920er Jahren waren die Messtrupps der Seismos für Ölfirmen wie Royal Dutch Shell oder Roxana Petroleum in Texas, Louisiana und Mexiko auf der Suche nach Öl. (…) Ihr Aktionsradius (weitete) sich auch auf den Nahen Osten, Südeuropa und England aus“.
1937 kaufte Heinrich Thyssen die Seismos für 1.5 Millionen Reichsmark und gliederte sie seinen Thyssenschen Gas- und Wasserwerken an. Während des Krieges, so Derix, war die Firma „an der Erschließung der Rohstoffe in den besetzten Gebieten beteiligt. (…) Beim Verlassen der Ostukraine im Zuge der Panzerschlacht von Kursk 1943 (musste sie) zahlreiches Gerät (…) zurücklassen“.
Hier liegt also einiges an Bedeutung vor für eine Firma, von der bisherige offizielle Thyssen Historien, wenn überhaupt, wenig Relevantes zu berichten hatten.
Und einiges an Bedeutung auch für den verschwiegenen Heinrich Thyssen-Bornemisza, dessen Sohn Heini Thyssen kurz nach Kriegsende seinen Schweizer Rechtsanwalt Roberto van Aken zu folgender Falschaussage gegenüber der US amerikanischen Visabehörde veranlasste: „Seit dem Aufstieg der Nazis an die Macht, insbesondere seit 1938, waren Dr Heinrich Thyssen-Bornemiszas niederländische Unternehmen angehalten, die Aufrüstungsbestrebungen der Nazis zu unterlaufen.“ (Die Thyssen-Dynastie, Seite 265)
Es ist fast in diesem gleichen, verschleiernden Geiste, dass Derix immer noch die Tatsache verbirgt, dass Seismos während des Kriegs sein Hauptquartier von Hannover in den Harz verlegte, wo das Nazi Programm der Massenvernichtungswaffen (V-Waffen) sein Zentrum finden sollte.
Derix deckt auf, dass Stephan ein Mitglied des NS-Fliegerkorps war und bestätigt seine Rolle als förderndes Mitglied der SS. Seine politische Haltung war anscheinend als „ohne jeden Zweifel“ beschrieben worden. Doch bringt es Derix nicht fertig, seine Involvierung in eine weitere Firma, nämlich die Maschinen- und Apparatebau AG (MABAG) Nordhausen auch nur zu erwähnen, geschweige denn dabei ins Detail zu gehen, die ebenfalls im Harz ansässig war.
Wir hatten bereits herausgefunden, dass Stephan Thyssen in den ersten Kriegsjahren Aufsichtsratsvorsitzender der MABAG geworden war. Diese Firma hatte, zusammen mit der IG Farben, „die Anlage eines ausgedehnten Höhlen- und Tunnelsystems im Kohnstein, einem Berg bei Nordhausen (begonnen), ausgestattet mit Tanks und Pumpen (…) Ab Februar 1942 empfahl Reichminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer, den Bau von Raketen mit allen Mitteln zu unterstützen. Das war ein extrem ehrgeiziger Waffenherstellungsplan und bedeutete erheblich mehr Aufträge für die MABAG, die unter Aufsicht der Wehrmacht jetzt auch Turbopumpen für die V-Waffen produzierte“. (Die Thyssen Dynastie, S. 203).
Wir hatten angenommen, dass Stephan’s Position als Vorsitzender der MABAG mit einer größeren Investition seitens seines Vaters zusammengehangen haben muss. Simone Derix spricht das Thema überhaupt nicht an, aber der Rechtsanwalt und Historiker Frank Baranowski hat ein sehr wichtiges Dokument gefunden und erklärt auf seiner Webseite:
„1940 stieß der Deutsche Erdöl-Konzern nach einem Wechsel an der Spitze alle seine Werke, die nicht direkt in den Rahmen der Mineralöl- und Kohlegewinnung passten ab, darunter auch die MABAG. Von der Deutschen Bank vermittelt, ging das Aktienkapital von einer Million RM in verschiedene Hände über. Die Mehrheit erwarb Rechtsanwalt und Notar Paul Langkopf aus Hannover (590.000 RM), und zwar vermutlich im Auftrag eines Mandanten, der ungenannt bleiben wollte. Kleinere Anteile hielten die beiden Außenstellen der Deutsche Bank in Leipzig (158.000 RM) und Nordhausen (14.000 RM) sowie Stephan Baron von Thyssen-Bornemisza in Hannover (50.000 RM). Am 14. September 1940 wählte die MABAG ihren neuen Aufsichtsrat: (…) Direktor Schirner (…), Paul Langkopf, Stephan Baron von Thyssen-Bornemisza und der Leipziger Bankdirektor Gustav Köllman (…) (Die MABAG sah sich ……..als reiner Rüstungslieferant und produzierte…… u.a. Granaten, Granatwerker …………und Turbopumpen für die A4-Raketen).“
Wie durch Zufall ist Paul Langkopf nun ausgerechnet ein Mann, dessen Dienste verschiedene Mitglieder der Familie über die Jahre in Anspruch genommen hatten. Es kann davon ausgegangen werden, dass der „anonyme“ Aktionär Stephans Vater Heinrich Thyssen-Bornemisza war. Die Geheimhaltung der Transaktion entspricht komplett seinem Stil. Und während Baranowskis Ansichten über die Verwendung von Zwangsarbeitern bei der MABAG und unsere auseinander gehen, so ist dieses von ihm erschlossenen Dokument doch ein weiterer Hinweis dafür, dass Heinrich während des Krieges definitiv 100% pro-Nazi war; während er sich anscheinend aus der Welt verabschiedet hatte und weit weg in seinem sicheren, Schweizer Hafen weilte, so wirkend, als hätte er mit gar nichts etwas zu tun.
Die große Simone Derix zieht es während dessen vor, sich auf relativ Triviales zu konzentrieren, so wie die Tatsache dass Stephan’s Mutter Margit ebenfalls, mit ihrem zweiten Mann, dem „germanophilen“, „antisemitischen“ Janos Wettstein von Westersheimb (der nach der Kriegswende 1943 seinen Job bei der Ungarischen Botschaft in Bern plötzlich verlor) während des Kriegs in der Schweiz lebte. Anscheinend hat sie sich nach dem Krieg für Stephans Ausreise aus Deutschland eingesetzt, und zwar bei keinem Geringeren als Heinrich Rothmund, der während des Kriegs für weite Teile der anti-jüdischen Asylpolitik der Schweiz verantwortlich war.
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Schließlich bearbeitet Simone Derix noch zwei Themen in ihrem Buch – die wir auch behandelt haben, wenn auch zu einem verschiedenen Grad -; nämlich 1.) Die Golddeponierung der Thyssens in London vor dem Krieg und was damit während bzw. nach dem Krieg geschah und 2.) Die Entfernung der Thyssenschen und niederländisch königlichen Aktienzertifikate aus der Bank voor Handel en Scheepvaart in Rotterdam, deren Unterbringung in der August Thyssen Bank in Berlin während des Krieges und ihre Rückführung nach Rotterdam nach dem Krieg, in einer illegalen Aktion durch eine Niederländischen Militärmission unter der Tarnbezeichung „Operation Juliana“. Wir werden diese Themen angemessener bei unseren Besprechungen der Bände von Jan Schleusener, Harald Wixforth und Boris Gehlen analysieren.
In beiden Fällen spielten Mitglieder und Mitarbeiter der Thyssen Familie fragwürdige Rollen, indem sie ihre hochrangigen (diplomatischen und anderweitigen) Positionen ausnutzten, um es den Thyssens zu ermöglichen, in ihrer Gier nach grenzenlosem persönlichen Vorteil, eine Gastnation gegen die andere auszuspielen. Simone Derix führt ihre kritische Analyse hier nur so weit, dass sie sagt, diese Einmischungen hätten es kleineren Staaten wie den Niederlanden oder der Schweiz erlaubt, Siegermächte des zweiten Weltkriegs unter Druck zu setzen, um ihre eigenen nationalen Interessen am Vermögen der Thyssens zu wahren.
Während unser Buch ein mögliches „Handbuch der Revolution“ genannt worden ist, beschreibt Derix ihres als Model, bei dem „Die Thyssens (…) den Weg (…) für zentrale Suchrichtungen einer (…) Geschichte der Infrastruktur des Reichtums (weisen können)“. Sie lässt die Antriebskraft des „Neids“ à la Ralf Dahrendorf anklingen, während sie das Konzept der „Wut“ der Öffentlichkeit an der ständigen Inanspruchnahme rechtlicher Immunität durch die Super-Reichen außer Acht lässt, wie sie z.B. von Tom Wohlfahrt beschrieben worden ist.
Simone Derix’s Schreibstil ist sehr klar und während der Lesung im Historischen Kolleg in München verwandelte die sonore Stimme der speziell engagierten Sprecherin des Bayerischen Rundfunks, Passagen zu anscheinend tief in Rechtschaffenheit eingelegter Literatur. Aber diese Akademikerin, die von Professor Margit Szöllösi-Janze dem Publikum als „Spitzenforscherin“ angepriesen wurde, gibt sich selbst definitiv mehr Autorität darin, historische Urteile zu fällen, als es ihr gegenwärtig zusteht.
Während des nachfolgenden Podiumsgesprächs mit dem Historiker und Journalisten Dr Joachim Käppner von der Süddeutschen Zeitung, wies Derix die Konzepte von Macht und Schuld im Namen der Thyssens kategorisch zurück. Während sie dies tat, musste sie allerdings wiederholt durch Käppner vorangeleitet werden, um ihre äusserst stockenden Antworten zu fokussieren, die, nichtsdestotrotz, den Anschein gaben, vorher abgesprochen worden zu sein.
Wir hoffen, dass Simone Derix nicht die einzige Mitwirkende der Serie bleibt, die Antworten zu diesen Fragen formuliert – Aber dann vielleicht mit mehr Aufrichtigkeit, wenn nicht größerer Unabhängigkeit von der möglicherweise befangenen Fritz Thyssen Stiftung. |
Fritz Thyssen und Hermann Göring in Essen, copyright Stiftung Ruhr Museum Essen, Fotoarchiv
Heinrich Thyssen-Bornemisza und Hermann Göring beim Deutschen Derby, 1936, copyright Archiv David R L Litchfield
Batthyany-Clan, ca. 1930er Jahre, dritter von links Ivan Batthyany, Ehemann von Margit Thyssen-Bornemisza, copyright Archiv David R L Litchfield
Hendrik J. Kouwenhoven, Bevollmächtigter für Heinrich Thyssen-Bornemisza, copyright Stadsarchief Rotterdam
Drei Thyssen Brüder vereint: von links Heinrich Thyssen-Bornemisza, August Thyssen Junior, Fritz Thyssen, Villa Favorita, Lugano, September 1938, copyright Archiv David R L Litchfield
Stephan Thyssen-Bornemisza mit Ehefrau Ingeborg, Hannover, ca. 1940er Jahre (Foto Alice Prestel-Hofmann, Hannover), copyright Archiv David R L Litchfield
Thyssen Bank voor Handel en Scheepvaart Rotterdam, Jahresbericht 1930, copyright Archiv David R L Litchfield
Thyssen Bank voor Handel en Scheepvaart Rotterdam, Aufsichtsrat und Verwaltungsrat 1929, copyright Archiv David R L Litchfield
Thyssen Bank voor Handel en Scheepvaart Rotterdam, Schalterraum, copyright Archiv David R L Litchfield
Thyssen Bank voor Handel en Scheepvaart Rotterdam, 1929, Empfangsraum, copyright Archiv David R L Litchfield
Thyssen Bank voor Handel en Scheepvaart Rotterdam, 1929, Stahlkammern, copyright Archiv David R L Litchfield
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Thursday, August 17th, 2017
Die Thyssens haben es stets vermieden, Einzelheiten ihrer Nazi Vergangenheit zu offenbaren, und zwar über eine Mischung von Leugnung, Verschleierung und Bestechung. Doch mit der Veröffentlichung unseres Buches „Die Thyssen-Dynastie“ 2007 und den Enthüllungen zum schrecklichen „Rechnitz Massaker“ wurde es immer schwieriger, diese Philosophie aufrecht zu erhalten. Familienmitglieder beschlossen endlich, über die Fritz Thyssen Stiftung zehn Akademiker zu beauftragen, um ihre persönliche, gesellschaftliche, politische und industrielle Vergangenheit umzuschreiben (in der Serie „Familie – Unternehmen – Öffentlichkeit. Thyssen im 20. Jahrhundert“) und damit ihren Ruf aufzupolieren.
Dieser Plan ist zum Teil aufgegangen und zum Teil nicht, denn trotz ihrer geschmiedeten Pläne offenbaren diese Bände oft mehr als es den Thyssens wahrscheinlich recht ist, sei es direkt oder durch die Bloßstellung von Widersprüchen.
Wir rezensieren hier die von der Thyssen Organisation gesponsorten Abhandlungen in der Abfolge ihres Erscheinens und werden dies auch mit dem neuesten Band, „Die Thyssens. Familie und Vermögen“ von Simone Derix tun. Zunächst jedoch wollen wir einen einzigartigen Bestandteil des Buches untersuchen, denn der neueste Band ist gleichzeitig, ein ganzes Jahrzehnt nach unserer Veröffentlichung, die erste offizielle Thyssen Publikation, die eine Beschreibung dessen enthält, wie die Dynastie im Leben der Gemeinde Rechnitz, und insbesondere bei den Vorfällen des „Rechnitz Massakers“ vom 24./25. März 1945 in Erscheinung getreten ist. Es ist ein Thema, das uns ganz besonders am Herzen liegt.
Leider hat die Fritz Thyssen Stiftung Simone Derix erlaubt, die gerade einmal sieben Seiten (einer 500 Seiten starken Abhandlung, die sich von ihrer Habilitationsschrift ableitet) einem Manifesto einzuverleiben, das sowohl eine Public Relations Arbeit für die Thyssens wie auch ein Ausdruck ihrer eigenen, ambitionierten Selbstdarstellung im „neuen“ Feld der „Reichen-Forschung“ ist. Dabei ist die Grundaussage von Derix die, dass die Thyssens ob ihres herausragenden Reichtums gefeiert werden sollten, während sie für ihre Viktimisierung durch Journalisten, Berater, Staatsgewalten, Verwandte, Bolschewisten, Nationalsozialisten, etc., etc. zu bemittleiden sind.
Das macht Derix zu der Art Verteidiger, von denen Ralph Giordano gesagt hat, dass sie nicht müde werden, „aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer zu machen“. Die Tatsache, dass der Deutsche Historikerverband es für angebracht gehalten hat, Simone Derix für ihre Arbeit den Carl-Erdmann-Preis zu verleihen, der nach einem wahren Opfer nationalsozialistischer Verfolgung benannt ist, verstört zusätzlich.
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Deutschland war ein Spätentwickler in Sachen Industrialisierung und Nationalstaat und stieg mit einer explosionsartigen Energie auf die internationale Bühne empor, die zur Katastrophe führen sollte. Während die unfassbar hart arbeitenden Brüder August und Josef Thyssen im Mittelstand verankert waren und von dort Ende des 19. Jahrhunderts das enorme, industrielle Thyssen-Vermögen erschufen, kehrten August’s Söhne Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza, unter dem Einfluss ihrer gesellschaftlich ehrgeizigen Mutter, dem Bürgertum den Rücken zu und benutzten ihren ererbten Wohlstand dazu, in einen neuartigen, hoch reaktionären Landadel aufzusteigen.
Derix beschreibt, wie Fritz Anfang des 20. Jahrhunderts, weitab der ursprünglichen Thyssen-Basis in der Ruhr, das Rittergut Gleina bei Naumburg/Saale pachtete, das Rittergut Götschendorf in der Uckermark kaufte und verkaufte und das Rittergut Neu Schlagsdorf bei Schwerin, sowie Schloss Puchhof in Bayern kaufte. Wir wussten bereits, dass Heinrich unter anderem den Rennstall Landswerth bei Wien, das Gestüt Erlenhof bei Bad Homburg, mit Rennstall in Hoppegarten bei Berlin und die Gut Rechnitz im österreichischen (vordem ungarischen) Burgenland erstand.
Durch unsere Forschungen wissen wir, dass die Thyssen Brüder auf den Ländereien des jeweils anderen jagten. Dies widerlegt einmal mehr die fadenscheinige Behauptung, die in der Serie „Familie – Unternehmen – Öffentlichkeit. Thyssen im 20. Jahrhundert“ immer und immer wieder, auch von Simone Derix, vorgebracht wird, dass Fritz und Heinrich Thyssen sich nicht verstanden hätten. Es ist eine Behauptung, die darauf abzielt, die Synergien in den wirtschaftlichen Unternehmungen der Thyssen Brüder zu verschleiern, insbesondere jene, die dem Nazi Regime zuträglich waren.
Beide Männer verhielten sich wie Feudalherren, die die Zufuhr von billigen Arbeitern und Zwangsarbeitern zu schätzen wussten, die Ihren Unternehmen durch die Unterdrückung von Arbeiterbewegungen und durch internationale, bewaffnete Konflikte geboten wurden, für die Ihre Fabriken Waffen und Munitionen lieferten. Die Thyssen Brüder mischten sich in eigennütziger Weise in die Politik ein, und zwar offen (Fritz) bzw. hinter den Kulissen, über diskrete, diplomatische und gesellschaftliche Kanäle (Heinrich) – obwohl Letzteres von Derix und ihren akademischen Kollegen vehement bestritten wird.
Beide Thyssen Brüder halfen dabei, den Nazis zum Aufstieg zu verhelfen. Aber Simone Derix versucht wiederum, sie als die schuldfreien, in die „Falle“ gelockten, illustren Industriellen darzustellen, die sie zu keinem Zeitpunkt gewesen sind.
1933 schaffte es Heinrich’s Tochter Margit – durch ihren unerbittlichen Vater, ihre anti-semitische Mutter und ihre pseudo-fromme, elitäre Sacré Coeur Erziehung verdorben -, die im Rechnitzer Schloss geboren und aufgewachsen war, den Status der Familie durch ihre Einheiratung in den ungarischen Adel (Ivan Batthyany) zu erheben – Das Gleiche erreichte auch Fritz Thyssen’s Tochter Anita (Gabor Zichy).
Am 8. April 1938, eine Woche nach dem Anschluss Österreichs an Nazi Deutschland, übertrug Heinrich Thyssen-Bornemisza sein Gut Rechnitz, welches einst jahrhundertelang (von 1527 bis 1871) im Besitz der Batthyanys gewesen war, an Margit. Unsere Forschungen deuten darauf hin, dass dies geschah, sodass der im Tessin verschanzte Baron keine offensichtlichen Besitzungen im Deutschen Reich mehr aufwies.
Simone Derix gibt an, dies sei statt dessen aus steuerlichen Gründen geschehen.
Da alle seine deutschen Firmen durch holländische Finanzinstrumente gehalten wurden, waren die schweizer Behörden, die, obwohl offiziell neutral, bis zur Kriegswende 1943 pro-Deutsch eingestellt waren, versichert, dass Heinrich Thyssen für sie nicht zum politischen Problem werden würde.
Über sein Unternehmen Thyssensche Gas- und Wasserwerke (später Thyssengas) finanzierte Heinrich Thyssen-Bornemisza sowohl Schloss Rechnitz als auch das Ehepar Batthyany-Thyssen diskret weiter. Während des Zweiten Weltkriegs verwendete seine Ruhr-Zeche Walsum, die zu Thyssengas gehörte, Zwangsarbeiter in der Größenordnung von zwei Dritteln der Gesamtbelegschaft; ein Rekord in der damaligen deutschen Industrie. In der Umgebung von Rechnitz wurden bergbauliche Interessen durch Thyssengas ausgeschöpft.
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Während Jahrhunderten war das riesige Rechnitzer Schloss, in dessen Hof, so wurde gesagt, ein ganzes Husarenregiment exerzieren konnte, das Machtzentrum von Rechnitz gewesen. Wie genau veränderte sich diese Situation nachdem die Nazis in Österreich die Staatsgewalt übernommen hatten? Wo genau in Rechnitz installierte sich die Partei mit ihren verschiedenen Organisationen?
Simone Derix liefert keine Antworten auf diese Fragen, obwohl sie mittels viel wortreichem Wirbel vorgibt, genau das zu tun. Stattdessen schreibt sie in vager, ausweichender Manier: “…..die Batthyanys (fanden) auf Schloss Rechnitz im Zweiten Weltkrieg mit Repräsentanten der NSDAP und des NS-Regimes ein einvernehmliches Auskommen“.
1934 lebten 170 Juden in Rechnitz. Am 1. November 1938, eine Woche vor der Reichskristallnacht, wurde Rechnitz als „Judenfrei“ erklärt, eine Situation die gewisse Mitglieder der Thyssen Familie begrüßt hätten (siehe hier). Doch Simone Derix weigert sich, den Antisemitismus von Schlüsselfiguren der Familie anzuerkennen. Sie beschränkt diese Eigenschaft statt dessen auf Randfiguren.
Im Frühjahr 1939, so Derix, wurde Hans-Joachim Oldenburg, dessen Vater Oberingenieur bei Thyssen war und der selbst auf landwirtschaftlichen Gütern der Thyssen-Familie gearbeitet hatte, nach Schloss Rechnitz gesandt, um dessen Bewirtschaftung zu übernehmen, welche sich schon bald auf Zwangsarbeiter aus dem ganzen Nazi-besetzten Europa stützte.
In jenem Sommer kam Franz Podezin als Beamter des Gestapo Grenzpostens nach Rechnitz. Er war seit 1931 ein Mitglied der SA gewesen und wurde später SS-Hauptscharführer. Er wurde ebenfalls Leiter der NSDAP in Rechnitz.
Simone Derix kommentiert: „Beide (Dienst)stellen (von Podezin) waren räumlich getrennt“, aber sie sagt nicht, wo genau diese Stellen lokalisiert waren. Stefan Klemp vom Simon Wiesenthal Zentrum hat geschrieben, dass das Hauptquartier der Rechnitzer Gestapo im Rechnitzer Schloss war. Entweder ist seine Aussage korrekt oder aber Simone Derix hat Recht, wenn sie sagt, dass Podezin erst im Herbst 1944 ein Büro im Schloss bezog, als er NSDAP Leiter des Unterabschnitts I des Abschnitts VI (Rechnitz) des Südostwall-Baus wurde.
Indem sie Klarheit vermissen lässt, umgeht Derix den wunden Punkt und trägt zur Rechtfertigung von Schuldigen bei – insbesondere der Thyssens als Besitzer, Geldgeber und „Herrschaften“ des Schlosses.
Die Aktivitäten an diesem verstärkten Verteidigungssystem, welches die Rote Armee aufhalten sollte, wurden von der Organisation Todt koordiniert (geleitet vom Rüstungsminister Albert Speer), vom Wehrmacht Generalmajor Wilhelm Weiss, und, im betreffenden Abschnitt, vom Gauleiter der Steiermark, zu der das Burgenland damals gehörte, Siegfried Uiberreither.
Ortsansässige und Zwangsarbeiter verschiedener Nationen wurden eingesetzt. Ihre Behandlung hing von ihrer Position innerhalb der Rassenhierarchie ab, welche die Nazi-Ideologen verfasst hatten. Am untersten Ende, und damit den schlechtesten Bedingungen und größten Schikanen ausgesetzt waren Slawen, Russen und Völker der Staaten der Sowjetunion. Niemand jedoch wurde so schlecht behandelt wie die Juden.
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Wie genau verbrachte Margit Batthyany-Thyssen die 12 Jahre der Nazi Tyrannei?
Die Gräfin übernahm die Rolle ihrer Mutter und Großmutter vor ihr als „Königin von Rechnitz“, während sie weiterhin weitläufig innerhalb des Reiches reiste. Nachdem sie die Pferdebegeisterung ihres Vaters geerbt hatte, beaufsichtigte sie die Thyssenschen Pferdezucht- und Rennsportaktivitäten in Bad Homburg bei Frankfurt, Hoppegarten/Berlin und Wien, besuchte Rennen in verschiedenen europäischen Städten und nahm Trophäen im Namen ihres Vaters entgegen, dem nicht mehr länger daran gelegen war, ausserhalb seines sicheren Tessiner Hafens gesehen zu werden.
1942 gewann ihr Erlenhof Hengst Ticino das Österreichische Derby in Wien-Friedenau und das Deutsche Derby in Hamburg. 1944 gelang dasselbe ihrem Erlenhof Hengst Nordlicht, doch das Deutsche Derby wurde wegen der Schäden in Hamburg durch alliierte Bombardierungen in Berlin abgehalten.
Bei diesen öffentlichen Veranstaltungen war Margit Batthyany im Kreise von Nazi Offiziellen zu sehen und wurde von diesen als ein Mitglied der höchsten Elite im Nazi Staat gefeiert. Es ist eindeutig, dass der Krieg für sie keine Veränderung in ihrem privilegierten Lebensstil mit sich brachte.
Jedes dieser Ereignisse war auch ein sehr öffentlicher Ausdruck der Unterstützung und Legitimierung des Nazi Regimes im Namen der Thyssens und der Batthyanys, doch jeglicher Bezug zu dieser Funktion fehlt in Derix’s Abhandlung.
Margit reiste auch regelmäßig während des Kriegs in die Schweiz, wo sie ihren Bruder Heini und ihren Vater Heinrich in Lugano, Zürich, Davos oder Flims traf. Es ist klar, dass auch sie Margit’s Lebensstil unterstützten. Dies bleibt bei Derix wiederum unerwähnt.
Während des Krieges in Rechnitz hatte Margit Batthyany anscheinend Liebesbeziehungen mit Hans Joachim Oldenburg (von der Familie Batthyany bestätigt) und Franz Podezin (durch einen Schlossangestellten angegeben und von Simone Derix erwähnt). Dies spiegelt die Informationen wider, die uns vor vielen Jahren durch Heini Thyssen’s ungarischen Rechtsanwalt, Josi Groh, gegeben wurden. Angestellte der Thyssens waren in einer idealen Position, solche Dinge zu beobachten, da sie Aufenthaltsräume säubern, Frühstück im Bett servieren und Gegenstände des täglichen Lebens der privaten Natur beschaffen mussten.
Seltsamerweise hat Simone Derix trotzdem das Bedürfnis, solche Details als „Spekulationen“ zu brandmarken, wodurch sie nahe legt, dass sie künstlich erhoben werden, um ein ungerechtfertigt schlechtes Licht auf ein Mitglied der Thyssen Familie zu lenken.
Der einzige Grund, warum wir Margit Batthyany’s spezifische Sexualneigung beleuchtet haben war, weil sie die intime Beziehung der Thyssens mit dem Nazi Regime so kraftvoll symbolisiert. Diese wird im Rahmen der Aufarbeitung der Rechnitzer Kriegsverbrechen nach dem Krieg an besonderer Bedeutung gewinnen.
Akademiker wie Simone Derix und Walter Manoschek, sowie Mitglieder der Refugius Gedenkinitiative sind nicht müde geworden zu beschwören, wir hätten die Geschichtsschreibung dieses Kapitels aus dem Kontext gerissen und in eine billige ‘Sex & Crime’ Saga verwandelt. Das Einzige, was durch diese fehlgeleiteten Beschuldigungen erreicht wird, ist das die Thyssens und Batthyanys einmal mehr davor abgeschirmt werden, ihre Verantwortung zu übernehmen, der sie sich, mit Ausnahme von Sacha Batthyany, bisher so energisch entzogen haben.
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Mit dem Jahr 1944 wurde der Nazi-Traum zum Alptraum. Im März besetzte Deutschland Ungarn und installierte ein Sondereinsatzkommando unter Adolf Eichmann, der die Deportation von 825.000 Juden organisierte. Bis Juli wurden 320.000 davon in den Gaskammern von Auschwitz ermordet und ca. 60.000 machte man zu Zwangsarbeiter in Österreich. Im Oktober, als die ungarischen Faschisten die Regierungsgeschäfte von dem authoritären Miklos Horthy übernahmen, wurden 200.000 Budapester Juden zur Zielscheibe.
Laut Eva Schwarzmayer wurden ca. 35.000 ungarische Juden für Holz- und Schanzarbeiten am Südostwall-Bau eingesetzt. Von diesen arbeiteten insgesamt bis zu 6.000 im Abschnitt Rechnitz und waren in vier verschiedenen Lagern untergebracht: In den Kellern und Lagerräumen des Schlosses, im sogenannten Schweizermeierhof in der Nähe des Kreuzstadls, in einem Barackenlager namens „Wald“ oder „Süd“ und in der früheren Synagoge. Währenddessen wurde der Volkssturm konstituiert, dem Hans Joachim Oldenburg beitrat.
Nichts von alledem wird von Simone Derix erwähnt.
Mit Beginn des Jahres 1945, als die westlichen und sowjetischen Armeen auf Hitler’s Deutschland eindrangen, geschahen zunehmend die sogenannten „Endphase-Verbrechen“ als Teil der Nazi Politik der ‘verbrannten Erde’. Dies bedeutet, dass Belastungsmaterial, inklusive Lagerinsassen, vernichtet und gleichermaßen diejenigen heimischen Bürger ausgeschaltet werden sollten, die ihre Ansicht zum Ausdruck brachten, der Krieg sei für die Deutschen verloren.
Diese Einstellung währte bis in die Nachkriegszeit hinein, sodass Zeugen, die bereit waren, gegen nationalsozialistische Kriegsverbrecher auszusagen, durch politische Fememorde zum Schweigen gebracht wurde. Dies geschah in Rechnitz mehrmals.
Nun begannen die sogenannten „Todesmärsche“, in denen Nazi Opfer aus ihren Gefängnissen evakuiert und vor den alliierten Fronten hergetrieben wurden, wobei viele unterwegs starben oder von Mitgliedern der SA, SS, des Volkssturms, der Hitlerjugend, der örtlichen Polizei etc., die sie bewachten, in aller Öffentlichkeit, oft in Sichtweite der örtlichen Bevölkerung, ermordet wurden.
Insgesamt scheinen mindestens 800 Juden in dieser Endphase des Kriegs in Rechnitz getötet worden zu sein. Das sogenannte „Massaker von Rechnitz“ an ca. 180 Juden in der Nacht vom 24./25. März 1945 ist in Wirklichkeit nur eines von mehreren mörderischen Aktionen. Simone Derix erwähnt kurz „bereits vor dem 24. März 1945 sind Erschießungen (in Rechnitz) bekannt“. Aber sie macht keinerlei Angaben zu diesen anderen Rechnitzer Massakern.
Annemarie Vitzthum aus Rechnitz gab während der Verfahren 1946/8 vor dem Volksgericht zu Protokoll, dass im Februar 1945 acht hundert Juden zu Fuß in Rechnitz angekommen seien und dass Franz Podezin sie „willkommen geheissen“ habe, in dem er hoch zu Pferde auf den erschöpften Menschen herumgetrampelt sei.
Laut österreichischen Ermittlern wurden Anfang März 220 ungarische Juden in Rechnitz erschossen.
Franz Cserer aus Rechnitz gab an, dass ca. Mitte März acht kranke Juden von Schachendorf nach Rechnitz gebracht worden seien und dass Franz Podezin sie beim jüdischen Friedhof erschossen habe.
Josef Mandel aus Rechnitz machte eine Aussage, dass am 17. oder 19. März ein Transport von 800 Juden aus Bozsok (Poschendorf) in Rechnitz angekommen sei. Der Überlebende Paul Szomogyi gab an, dass am 26. März 400 Juden aus seiner Zwangsarbeitergruppe in Rechnitz ermordet worden seien.
Simone Derix erwähnt mit keinem Wort die erhebliche Größenordnung dieser zusätzlichen Verbrechen.
Eleonore Lappin-Eppel schreibt: „Paul Szomogyi war am 22. oder 23. März zusammen mit 3-5.000 Leidensgenossen von Köszeg in den Abschnitt Rechnitz verlegt worden“. Otto Ickowitz berichtete, dass kranke Gefangene aus einer Gruppe, die vom Lager in Bucsu kamen in einem Wald bei Rechnitz ermordet wurden.
Unglaublicherweise behandelt Simone Derix diesen beschleunigenden Horror indem sie die folgende, technokratische Sprache verwendet: „In den letzten Kriegsmonaten trafen in Rechnitz ganz unterschiedliche Typen von Lagergesellschaften und die jeweils damit verbundenen Erfahrungen aufeinander und verquickten sich mit lokalen Herrschaftsstrukturen“.
Dies klingt fast wie eine Zeile aus der Hand von Adolf Eichmann persönlich.
* * *
Die Personen, die in der Nacht vom 24./25. März in das Massaker und/oder das Fest involviert waren umfassten unter anderem: den Kreisleiter von Oberwart, Eduard Nicka und weitere Funktionäre des gleichen Hauptquartiers der NSDAP, verschiedene Steyrische SA-Männer, Franz Podezin, seine Sekretärin Hildegard Stadler, Hans-Joachim Oldenburg, das SS-Mitglied Ludwig Groll, den Leiter des Unterabschnitts II des Abschnitts VI des Südostwall-Baus Josef Muralter, Stefan Beigelböck, Johann Paal (Transport), Franz Ostermann (Transport) und Hermann Schwarz (Transport).
Derix kommentiert: „Die mutmaßlichen Täter/innen rekrutierten sich aus dem Kreis dieser Festgesellschaft, zu der auch die Schlossherren Margit und Ivan Batthyany zählten“.
Später half Margit Batthyany den zwei Hauptverdächtigen, Podezin und Oldenburg, zu fliehen und sich einer Strafverfolgung zu entziehen. Wenn sie nichts mit dem Rechnitz Massaker zu tun gehabt und die Vorkommnisse verwerflich gefunden hätte, erscheint es logisch, davon auszugehen, dass sie geholfen hätte, die Verantwortlichen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, statt Ihnen dabei zu helfen, dieser auszuweichen.
Simone Derix erscheint fixiert darauf, die Thyssens frei zu sprechen und geht dabei sogar soweit, in Erwägung zu ziehen, dass Margit eventuell Opfern geholfen haben könnte – gibt dabei aber keinerlei Hinweise, wie sie zu dieser Einschätzung kommt.
Während der Nachkriegsverfahren wurde Josef Muralter als Organisator des Gefolgschaftsfests dargestellt. Verschiedene Akademiker haben auf diese angebliche Tatsache viel Wert gelegt, um zu zeigen, dass Margit Batthyany nicht die Gastgeberin des Abends gewesen sei, wie wir angegeben haben.
Aber solange keine Dokumente vorliegen, die beweisen, dass eine nationalsozialistische Organisation für das Fest bezahlt hat (und Derix legt solche Dokumente nicht vor) bleibt es Tatsache, dass Margit Batthyany die übergeordnete Gastgeberin war, denn es war ihre Familie, die für das Schloss und alles, was darin geschah bezahlte. Hierfür gibt es dokumentarische Beweise (siehe hier).
Simone Derix gesteht die zentrale Rolle der Personengruppe, die im Schloss Batthyany-Thyssen ansässig waren, bei den schrecklichen Missandlungen ein, die während des Zweiten Weltkriegs in Rechnitz stattfanden. Sie räumt sogar ein, dass manche Menschen der Ansicht sein könnten, es gebe hier Raum, Fragen der moralischen und juristischen Verantwortung an die Besitzer zu richten. Aber sie klagt die Thyssens und die Batthyanys nie ob dieser Verantwortung oder Schuld an, und impliziert statt dessen, dass sie wahrscheinlich „nichts gesehen“ haben.
Es ist die gleiche Art der Verteidigung, die auch Albert Speer anwendete, als er Hugh Trevor-Roper anlog, dass er über das Programm der Endlösung nicht unterrichtet gewesen sei, weil es „so schwierig war, dieses Geheimnis zu kennen, selbst wenn man Mitglied der Regierung war“. Diese Taktik zielt darauf ab, mächtige Individuen abzuschirmen und die Gesamtschuld der Allgemeinheit zu zu schieben.
Wie in bisherigen Bänden der Serie so sind es auch hier wieder die Thyssen Manager, die beschuldigt werden, und in diesem Falle insbesondere Hans-Joachim Oldenburg. Derix behauptet, er habe „seine Machtbefugnisse – auch gegenüber den Arbeitgebern – erweitern (können)“, er sei „aktiv an der Herstellung einer nationalsozialistischen ‘Volksgemeinschaft’ beteiligt (gewesen) und habe „rassistisch und antisemitisch“ agiert. Derix erwähnt jedoch nicht einen einzigen Beweis für ihre Beschuldigungen.
Falls Margit Batthyany ein Problem mit diesen Verhaltensweisen gehabt hätte, wäre es für sie einfach gewesen, sich für die Dauer des Krieges in irgend ein europäisches Hotel einzumieten. Sie tat dies aber nicht. Man muss also annehmen, dass sie mit den rassistischen und politischen Drangsalierungen der damaligen Zeit einverstanden war. Derix aber zieht diese logische Schlussfolgerung nicht.
Margit wählte die Teilnahme am Rechnitzer Terrorregime. Derix bevorzugt es, den weniger negativ klingenden Begriff der „Volksgemeinschaft“ anzuwenden.
Erst als die russische Armee sich näherte ergriff Margit Batthyany, zusammen mit Hans-Joachim Oldenburg und einigen ihrer Angestellten, die Flucht in privaten Automobilen und ließ alle anderen im Stich. Ebenso tat es Podezin.
Emmerich Cserer aus Rechnitz sagte aus, dass am 28. und 29. März große Transporte von jeweils hunderten von Zwangsarbeitern Rechnitz verließen. Josef Muralter gab zu Protokoll, dass er am 29. März das Schloss mit 400 Gefangenen aus dem Schlosskeller verließ.
* * *
Die Einwohner von Rechnitz mussten danach die Konfrontation mit der Roten Armee ertragen, das Niederbrennen ihres zentralen, 600-Jahre alten Schlosses als Teil der Nazi Politik der verbrannten Erde, die Nachkriegsermittlungen und die Stigmatisierung ihres Städtchens, die bis heute anhält. Diese Stigmatisierung ist jedoch nicht darauf zurück zu führen, wie Derix behauptet, dass der Fall durch Medienreportagen wie unserer „skandalisiert“ worden sei. Sie ist vielmehr Folge der Tatsache, dass die Verbrechen ob der Verschlagenheit der Flüchtenden nie richtig aufgeklärt und bestraft werden konnten.
Die Einwohner von Rechnitz haben ihre Pflicht getan, indem sie viele Zeugenaussagen tätigten, die es ermöglicht hätten, die Schuldigen zu verurteilen. Nichtsdestotrotz wurden sie später von Akademikern und manchen Medien beschuldigt, über die Vorfälle geschwiegen zu haben. Als wir als englisch-sprachige Außenseiter nach Rechnitz kamen sprachen Menschen zu uns unaufgefordert und frei über die Ereignisse. Allen voran der Historiker des Städtchens, Josef Hotwagner, der uns empfohlen worden war. Sie verbargen in keinster Weise, was dort geschehen war.
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Nach ihrer Flucht, so Simone Derix, installierte sich Margit Batthyany im April 1945 in einem Haus in Düns in Vorarlberg. Während des Sommers sei sie „reisen“ gegangen. Was Derix nicht erwähnt, ist dass Margit Batthyany, anscheinend ohne jegliche Probleme, im Juli 1945 zum ersten Mal nach dem Krieg in die Schweiz einreiste. Es ist nicht vorstellbar, dass die Schweizer Behörden zu diesem Zeitpunkt nicht darüber informiert waren, was wenige Monate davor im Burgenland geschehen war.
Laut Derix war Batthyany ab November für die Französische Militärregierung im österreichischen Feldkirch tätig, mit anderen Worten, sie schaffte es, sich in die alliierten Verwaltungsstrukturen einzubinden. Dies dürfte mit den top-level Verbindungen ihrer Familie zusammen gehangen haben und mit der Tatsache, dass sie Informationen über eine Region bieten konnte, die nunmehr unter sowjetischer Besatzung war. Derix aber gibt ihrerseits keinerlei Anhaltspunkte für den Grund dieser plötzlichen „Anstellung“.
Ein Jahr später, im Juli 1946, so schreibt Derix, habe Margit ihren Bruder Stephan Thyssen-Bornemisza in Hannover besucht. Dies war ein Mann, der ein förderndes Mitglied der SS gewesen war, und während des Krieges in verschiedene industrielle Aktivitäten involviert war, die den deutschen Kriegsanstrengungen unter Verwendung von Zwangsarbeitern zugute kamen, was er nach dem Krieg strikt leugnete. Derix erwähnt Stephan Thyssen’s pro-Nazi Aktivitäten an dieser Stelle jedoch nicht.
Laut Derix zog Margit Batthyany, finanziell von ihrem Vater abhängig wie sie war, im August 1946 in seine Villa Favorita in Lugano.
Unsere Forschungen ergaben, dass Margit im November 1946 an ihre Schwester Gaby Bentinck schrieb: „Damit es nicht auffällt, habe ich mit O.(ldenburg) besprochen, dass er vorerst zwei Jahre alleine nach Südamerika geht. Habe Visa für ihn in Aussicht, was sagst Du dazu?“ Diese Hinweise übergaben wir Sacha Batthyany und er verwendete sie in seinem Artikel (aber nicht in seinem Buch!). Simone Derix ignoriert sie und erwähnt lediglich, dass Margit im November 1946 „Pläne“ gehabt habe, „Europa zu verlassen“.
Die Tatsache dass Margit Batthyany zu diesem Zeitpunkt in Erwägung ziehen konnte, Vermögenswerte zwischen Ländern und sogar Kontinenten zu verschieben zeigt wiederum, wie privilegiert Ihre Lebensumstände im Vergleich zu denen der großen Mehrheit waren. Sicherlich hat sie auch auf Investitionen zurück greifen können, die die Familie bereits vor dem Krieg in Südamerika getätigt hatte.
Während dessen wurden im Burgenland 1946 achtzehn Menschen beschuldigt, in Rechnitz Kriegsverbrechen begangen zu haben, von denen sieben in einem Volksgerichtshof angeklagt wurden, inklusive, in Abwesenheit, Franz Podezin und Hans-Joachim Oldenburg. Aber nur zwei wurden verurteilt, und diese Urteile in den frühen 1950er Jahren durch österreichische Amnestiegesetze aufgehoben. Die Verfahren erstreckten sich über zwei Jahre und wurden sogar erst 20 Jahre später im Jahr 1965 in Deutschland endgültig abgeschlossen.
Am 7. Januar 1947 wurde Margit Batthyany das erste und einzige Mal in der Sache befragt, und zwar durch die Schweizerische Kantonalpolizei in Buchs (Schweizer Staatsschutz-Fiche, Akteneintrag C.2.16505). Sie musste nie als Zeugin vor dem österreichischen Gericht erscheinen, eine Tatsache, die auf einer Informationstafel des 2012 eröffneten Rechnitzer Kreuzstadl Museums angeprangert wird (in den kleineren englischen und ungarischen Versionen, nicht aber in der deutschen Hauptversion).
Wurde Margit Batthyany-Thyssen je aufgefordert, vor Gericht zu erscheinen? Falls nicht, weshalb nicht? Spielte die Neutralität ihres Gastlandes eine Rolle hierbei? Oder leitete sich der Schutz, den sie offensichtlich genoss direkt von ihrer überaus bevorteilten gesellschaftlichen Stellung ab?
Simone Derix behauptet, die Gräfin habe während ihrer Befragung „versucht“, Oldenburg ein Alibi zu verschaffen. In Wahrheit hat sie ihm ein Alibi verschafft, indem sie sagte, er habe sich die ganze Nacht auf dem Schloss aufgehalten. Sacha Batthyany’s Schlussfolgerung ist eindeutiger: „Sie schützt ihn, ihren Geliebten, denn Oldenburg ist von Zeugen beim Massaker gesehen worden“.
Im Sommer 1948, so unsere Forschungen, schrieb Margit ihrer Schwester Gaby Bentinck: „O.(ldenburg) hat ein fabelhaftes Angebot nach Argentinien zur größten Molkereiwirtschaft. Im August ist er dort“. Auch dieser Beweis wurde von uns an Sacha Batthyany weiter gegeben, der ihn veröffentlichte, aber von Simone Derix wird er nicht erwähnt. Sie versäumte es auch, gewisse Familienarchive in London zu konsultieren.
Am 13. August 1948 hielt das Gericht fest, dass laut einer mündlichen Information der Polizeidienststelle Oberwart, sowohl Franz Podezin als auch Hans-Joachim Oldenburg in der Schweiz anwesend waren und planten, mit Margit Batthyany nach Südamerika auszuwandern, und damit ihrem Mann zu folgen, der bereits dort war. Am 30. August 1948 informierte Interpol Wien die Behörden in Lugano per Telegramm:
„Es besteht die Gefahr, dass sich die beiden nach Südamerika begeben. Bitte um Festnahme“. Die Verhaftungsbefehle gegen die Flüchtigen wurden im Schweizer Polizeianzeiger vom 30.08.48, Seite 1643, Art. 16965 ausgeschrieben. All dies ist von Sacha Batthyany recherchiert und veröffentlicht worden. Simone Derix erwähnt es nicht.
Eleonore Lappin-Eppel fasst die Gerichtsverfahren 1946/8 folgendermaßen zusammen: „Wegen der Flucht der beiden verdächtigten Rädelsführer Podezin und Oldenburg hatte das Gericht erhebliche Probleme bei der Wahrheitsfindung.“
Sacha Batthyany kommentiert: „Sie (Margit) hat ihm zur Flucht verholfen, dem mutmaßlichen Massenmörder (Oldenburg)“.
Aber die Linie, die Simone Derix verfolgt ist wiederum die, Margit Batthyany-Thyssen zu beschützen, indem sie schreibt: „Unklar blieb auch, welche Rolle Margit Batthyany dabei zukam, als es zwei Hauptverdächtigen (Oldenburg und Podezin), gelang, sich der Befragung durch die österreichischen Behörden zu entziehen und so letzlich einer möglichen Bestrafung zu entgehen“.
Simone Derix behauptet auch, Franz Podezin sei in der Sache befragt worden. Dies ist unwahr. Podezin ist nie über seine angebliche Verstrickung in das Rechnitz Massaker befragt worden.
Derix praktiziert also nicht nur eine gravierende Entlastung zugunsten der Thyssen Familie, ihre Publikation bleibt auch hinter der gegenwärtigen Forschungslage zurück und ist in einem fundamentalen Punkt unwahr.
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Margit Batthyany-Thyssen und ihr Mann Ivan Batthyany lebten von 1948 bis 1954 auf einem Gut, das sie in Uruguay gekauft hatten. Was aus Podezin’s und Oldenburg’s Reiseplänen wurde ist weniger klar.
Simone Derix erklärt, dass Hans Joachim Oldenburg ab 1950 auf dem Gut Obringhoven arbeitete, welches Thyssengas gehörte, ein Fakt, der noch nie zuvor erwähnt worden ist. Dies ist ein seltener, kostbarer Beitrag von Derix zum Fall Rechnitz.
Dies zeigt auch, dass die Thyssens kein Problem damit hatten, diesen Gutsverwalter, der vor einem österreichischen Gericht angeklagt worden war, an Kriegsverbrechen teilgenommen zu haben, wieder zu beschäftigen. Die Thyssens gaben damit Hans-Joachim Oldenburg nicht nur eine Arbeitsstelle, sondern, so scheint es, auch Schutz vor weiteren Ermittlungen gegen ihn.
Doch Derix versäumt es, diesen Hintergrund kritisch zu beleuchten
Soweit es Podezin angeht, so schreibt Stefan Klemp vom Simon Wiesenthal Zentrum, er sei als Agent für die Westmächte in Ost-Deutschland untergetaucht. Podezin wurde anscheinend in der sowjetischen Besatzungszone wegen seiner Aktivitäten für die alliierten Geheimdienste verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings nach 11 Jahren frei gelassen. Er siedelte dann nach West-Deutschland über, wo er sich als Versicherungskaufmann in Kiel niederließ.
1958 wurde die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gegründet. Diese eröffnete 1963 ein Mordermittlungsverfahren gegen Franz Podezin und Hans-Joachim Oldenburg. Ein Brief vom 18.02.1963 macht klar, dass der Staatsanwalt wusste, dass Podezin so stark belastet war, dass seine Verhaftung von Nöten war. Und dennoch verzögerte er das Verfahren. Oldenburg wurde seinerseits am 26.03.1963 von der Zentralstelle in Dortmund befragt.
Als die Polizei schließlich versuchte, am 10. Mai Podezin zu verhaften, war dieser nach Dänemark geflohen. Kurt Griese, ein früherer SS-Hauptscharführer und nunmehr Regierungskriminalermittler, blockierte nun das Verfahren weiter, so Klemp, sodass es Podezin möglich war, in die Schweiz auszureisen. Von dort erpresste er Margit Batthyany, ihm bei der Flucht nach Südafrika behilflich zu sein. Dort arbeitete er für Hytec, eine Firma mit Geschäftsverbindungen zur Thyssen AG, wie Stefan Klemp ermittelte.
Sacha Batthyany schreibt: „Ob Tante Margit (Podezin) in den Sechzigerjahren zur Flucht verhalf und ihm auch noch einen Job vermittelte in Südafrika?“. Aber das Thema wird von Simone Derix außen vor gelassen.
Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung zusätzlich zu unserem Artikel 2007 berichtete, wurde gegen Margit Batthyany nie Anklage erhoben, obwohl einer der deutschen Ermittler 1963 dem österreichischen Justizministerium anzeigte, dass sie verdächtigt wurde, den beiden Rechnitz Mördern zur Flucht verholfen zu haben. Warum wurde gegen sie nie Anklage erhoben? Derix erwähnt diesen Punkt nicht und liefert daher keine Erklärungen.
Laut Eva Holpfer wurde das Verfahren gegen Hans Joachim Oldenburg auf Anweisung des Staatsanwalts am 21.09.1965 wegen Mangels an Beweisen eingestellt.
Mit den 1960er Jahren war Margit Batthyany zurück an der Rennbahn und nahm z.B. beim österrechischen Derby in Wien die Trophäe für Settebello entgegen, den sie gezüchtet hatte. Sie kehrte auch regelmäßig nach Rechnitz zurück (wo sie 1989 starb), v.a. zur Jagdsaison, und machte sich durch die Übergabe von Land und anderen Geschenken an Ortsansässige beliebt, wie uns von Rechnitzer Bürgern berichtet und von Sacha Batthyany bestätigt wurde.
1970 wurde Margit Batthyany-Thyssen die Schweizer Staatsbürgerschaft zuerkannt, um die sie sich seit Ende des Krieges bemüht hatte. Im selben Jahr begann Horst Littmann vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge in Rechnitz zu graben, musste allerdings aufhören, da die Genehmigung seitens des österreichischen Innenministeriums ausblieb.
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In den 1980er Jahren initiierte der Antifaschist Hans Anthofer den ersten Rechnitzer Gedenkort für die jüdischen Opfer. Doch in den frühen 1990er Jahren wurde der jüdische Friedhof in Rechnitz immer noch vandalisiert und laut Eva Schwarzmayer gab es selbst bei der Gedenkveranstaltung 2005 noch Personen des öffentlichen Lebens, die sagten, es sei nicht sicher ob das Massaker am Kreuzstadl wirklich stattgefunden habe.
2012 dann wurde der Gedenkort zu einem Museum ausgebaut und vom österreichischen Präsident Heinz Fischer eröffnet. Dieser teilte den Anwesenden mit, dass „weiterhin alles unternommen werden wird, um die Leichen der Opfer zu finden“.
Die Refugius Gedenkinitiative hat davon gesprochen, dass sich die Einstellung in Rechnitz verändert habe. Gleichzeitig prangert sie auf einer der Informationstafeln des Museums an, dass „die aktive Erinnerungs- und Gedenkarbeit noch immer keinen gesellschaftlichen Konsens (findet)“.
Was auffällt ist, dass, im Widerspruch zu ihren zum Ausdruck gebrachten Absichten zur Aufarbeitung der Geschichte und Ehrung der Opfer (siehe Fußnote), offensichtlich keiner der Thyssens bisher jemals an einer der Gedenkveranstaltungen in Rechnitz teilgenommen hat.
Das Amt der Burgenländischen Landesregierung hat uns mitgeteilt, dass „Die Familien Thyssen bzw. Batthyany….im Burgenland (und Österreich-weit) im Bereich Erinnerungskultur und Aufarbeitung der Vergangenheit überhaupt keine Rolle (spielen)“.
Warum tun sie dies nicht?
Sacha Batthyany hat berichtet, dass er von Familienmitgliedern Drohungen erhalten hat, als er versuchte, die Geschichte der Familie während der Nazi Ära zu durchleuchten.
Was die Einwohner von Rechnitz angeht, so sind sie verständlicherweise gespalten zum Thema. Es wäre seltsam wenn es anders wäre.
Aber bei den Thyssens existiert eine solche Fragmentierung nicht. Sie scheinen einheitlich ungerührt und unengagiert zu sein. Dies dürfte jetzt noch dadurch verstärkt werden, dass sie wohl annehmen, die Akademiker, die sie beauftragt haben, hätten Schlüsse gezogen, die sie schuldfrei erscheinen lassen.
Aber in Wahrheit sind sie nicht schuldfrei und es ist jetzt an der Zeit für die Thyssens, klare Aussagen zu machen, auf welcher Seite der Grenze zwischen Faschismus und Anti-Faschismus sie stehen.
Nur wenn die Thyssens (und die Batthyanys als ihre örtlichen Repräsentanten) ihre Leitbildfunktion wahrnehmen, kann die Erinnerungskultur um das Rechnitz Massaker darauf hoffen, in der breiten Öffentlichkeit einvernehmlicher zu werden.
Indem sie die nächste Gedenkveranstaltung Ende März 2018 in Rechnitz besuchen – und dies auch in den Medien berichtet wird – können Mitglieder der Thyssen Dynastie in dieser Hinsicht eine wirklich öffentliche Aussage tätigen und ihrer geschichtlichen Verantwortung transparent und effektiv nachkommen.
Nach all den Ausflüchten der Vergangenheit hält es die informierte Öffentlichkeit jetzt für dringend angebracht, dass diese Familien endlich ihren Beitrag zur Heilung des Falles Rechnitz leisten und WIRKLICHE Solidarität zeigen bei der Ehrung der Toten und Versehrten dieser katastrophalen Ereignisse.
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Fußnote: Die folgenden Statements wurden bisher abgegeben:
1) Francesca Habsburg, nee Thyssen-Bornemisza, in der Sendung „Titel, Thesen, Temperamente“ (Oktober 2007): „Ich unterstütze es, wenn die Familie selbst die damaligen Geschehnisse aufarbeitet. Die Ergebnisse dieser Recherchen sollen transparent und öffentlich zugänglich sein“.
2) Offizielle Webseite der Familie Batthyany: „Seit unserem Erfahren der Geschehnisse in den letzten Jahren sind wir zutiefst bestürzt und ergriffen……Viele Fragen stellen sich uns. Auf sie wissen wir keine Antworten…….Wir hoffen, dass das Gedenken an diese Opfer immer mehr gepflegt wird und das Grab der Ermordeten von Rechnitz, das bis heute unentdeckt geblieben ist, eines Tages gefunden wird“.
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Margit Batthyany-Thyssen, Tochter von Heinrich Thyssen-Bornemisza, nimmt Preise für Gewinner aus den Rennställen der Thyssens aus der Hand von nationalsozialistischen Funktionsträgern beim Großen Preis von Wien 1942 in Empfang und legitimiert so das Nazi Regime im Namen sowohl der Thyssens als auch der Batthyanys (photo Menzendorf, Berlin; copyright Archiv von David R L Litchfield).
Auszug aus den Mitschriften der Vorstandssitzungen der Thyssen-Bornemisza Gruppe (1939-1944) in Lugano, Flims, Davos bzw. Zürich unter Mitwirkung von Heinrich Thyssen-Bornemisza, Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Wilhelm Roelen (Generalbevollmächtigter) und Heinrich Lübke (Direktor der August Thyssen Bank Berlin). Diese Seite zeigt, dass während des Zweiten Weltkriegs die Heinrich Thyssen-Bornemisza, dem Vater von Margit Batthyany-Thyssen, gehörende Firma Thyssensche Gas- und Wasserwerke (Thyssengas) im Umland des Sitzes des Thyssen-Bornemisza Schlosses Rechnitz / Burgenland (Österreich) Bergbauinteressen ausschöpfte (photo copyright Archiv David R L Litchfield)
Insgesamt scheinen mindestens 800 Juden in der Endphase des Zweiten Weltkriegs in Rechnitz (Österreich), dem Sitz des Thyssen-Bornemisza Schlosses und Wohnsitz von Margit Batthyany-Thyssen, umgebracht worden zu sein. Das sogenannte “Rechnitz Massaker” in der Nacht vom 24./25. März 1945 ist in Wirklichkeit nur eines von mehreren solcher mörderischen Geschehnisse an diesem Ort zu jener Zeit.
“Die Thyssens. Familie und Vermögen” ist Band 4 der Serie “Familie – Unternehmen – Öffentlichkeit. Thyssen im 20. Jahrhundert”, gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung Köln und veröffentlicht im Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn. Sieben Seiten des 500-Seiten starken Buches befassen sich mit dem Leben der Batthyany-Thyssens in Rechnitz während des Zweiten Weltkriegs und im Besonderen mit ihrer Verstrickung in das sogenannte “Rechnitz Massaker” (photo copyright Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn). Dieses Buch ist eine Kurzfassung der Habilitationsschrift von Simone Derix und wird als solche von deutschen Akademikern als Fakt aufgenommen werden, eine Qualifizierung, gegen die wir eindringlich Einwand erheben.
Simone Derix, Autorin des Buches “Die Thyssens. Familie und Vermögen”, eine von zehn Akademikern, die von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurden, um die Geschichte der Thyssens umzuschreiben. Sie fährt fort mit einer Behandlung der Thematik, die kontroverse Punkte weiss zu waschen bzw. abzumildern scheint (photo copyright Historisches Kolleg, Munich). Das “Historische Kolleg”, wo Simone Derix ihr Buch präsentiert hat, wird übrigens selbst teilweise gefördert von ….. der Fritz Thyssen Stiftung (!)
Das Kreuzstadl Mahnmal in Rechnitz für die jüdischen Opfer des Zweiten Weltkriegs wurde 2012 erweitert und vom österreichischen Präsidenten eröffnet. Große Informationstafeln enthalten unter anderem die Information, dass Margit Batthyany nie vor Gericht Aussagen zum Rechnitz Massaker vom 24./25. März 1945 machen musste. Und dies obwohl deutsche Ermittler 1963 dem österreichischen Justizministerium mitteilten, dass sie unter Verdacht stand, den zwei Hauptbeschuldigten, Franz Podezin und Joachim Oldenburg, zur Flucht verholfen zu haben (photo copyright: übersmeer blog)
Das österreichische Staatsoberhaupt Heinz Fischer, der das Rechnitzer Kreuzstadl Museum 2012 eröffnet hat, versicherte den Anwesenden, dass die Republik Österreich weiterhin alles daran gibt, die Gräber der 1945 in Rechnitz ermordeten Juden zu finden. Doch verschiedene österreichische Stellen haben auch angemerkt, dass der Erinnerungsprozess immer noch keinen breiten Konsens findet und dass insbesondere die Familien Thyssen und Batthyany von einer positiven, pro-aktiven Beteiligung am Prozess der Aufarbeitung und Heilung Abstand zu nehmen scheinen (photo copyright Infotronik Austria)
Jedes Jahr Ende März findet am Rechnitzer Kreuzstadl Museum eine Gedenkveranstaltung statt, die vom Gedenkverein Refugius organisiert wird. Während diese Gedenkveranstaltung vom früheren Bürgermeister, Engelbert Kenyeri, besonders positiv gefördert wurde und immer mehr Rechnitzer Bürger daran teilnehmen, hat bisher kein einziges Mitglied, weder der Familie Thyssen noch der Familie Batthyany öffentlich daran teilgenommen. Dies obwohl sie nach Erscheinen unserer Publikationen und der Aufführung des sich daraus ableitenden Theaterstücks “Rechnitz. Der Würgeengel” von Elfriede Jelinek glühende Absichtserklärungen abgegeben hatten (photo copyright Infotronik Austria)
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Thursday, September 29th, 2016
Was uns am Sachverhalt des Rechnitz Massakers immer besonders abgestoßen hat, ist dass während die Opfer Ungarn waren, die Thyssens, von deren Schloss aus das Massaker gestartet wurde, andererseits sich nicht nur einmal, sondern zweimal auf eine adoptierte ungarische Staatsbürgerschaft des Heinrich Thyssen-Bornemisza verlassen haben, um ihr deutsches Vermögen nach dem jeweiligen Krieg zu retten. Ein Vermögen, welches es den Thyssens erlaubt hat, ihr öffentliches Image mit eiserner Hand zu wahren. Ein Vermögen, von dem auch Sacha Batthyany profitiert hat. Es ist demnach vielleicht nicht allzu verwunderlich, dass die ungarische Reaktion auf Sacha Batthyany’s Buch kritischer ausfällt als die im Westen Europas.
Ende August bezog sich der Könyves Blog im Artikel „Bereits im April wurde Sacha Batthyany’s Buch Angegriffen“ auf unsere Position und Eva Kovacz vom Wiesenthal Institut für Holocaust Studien in Wien beschrieb sehr interessante neue Aspekte unter dem Titel „Die Österreicher Haben Holocaust Gedenkstätten Vor Allem Über Uns“. Dann erschien „Wir Ziehen Die Opfer Vor“ von Peter Kövesdi auf Vasarnapi Hirek und Ban Zoltan Andras auf Unikornis bezeichnete Sacha Batthyany als verwöhnten Yuppie und sein Buch als plumpen literarischen Versuch voller Flachheiten. Und nun hat Julia Szaszi auf Szervuszausztria.hu einen exzellenten Artikel veröffentlicht, aus dem wir hiermit zitieren (Nota Bene: Alle Übersetzungen aus dem Ungarischen basieren auf Google Translate Service!):
http://szervuszausztria.hu/blog/blogpost/ausztriai-hatter-sascha-batthyany-konyvehez
„Andreas Lehner, Vorstandsmitglied des Vereins Refugius sagt: „Wir werden nicht ruhen, bis die Gräber gefunden sind und die Opfer würdig begraben werden können“. (Es hat viele positive Entwicklungen in Rechnitz gegeben)…… Die Einwohner von Rechnitz waren früher misstrauisch gegenüber Fremden…..Der Wendepunkt kam mit einem englischen Autor, David R. L. Litchfield. 2008 (Deutsche Ausgabe) wurde sein Buch „Die Thyssen-Dynastie“ veröffentlicht. Es ist voller Fakten über die Geschichte der Thyssens, wobei mehrere beunruhigende Parallelen zum Fall Rechnitz auffallen. Es lenkte einen Scheinwerfer auf diese reiche Dynastie, wie sie noch niemals zuvor in Österreich beschrieben worden war. Das Buch enthält viele Interviews mit Zeitzeugen…..Der englische Autor lehnte die Theorie ab, dass das Rechnitzer Schloss von den Russen zerstört wurde und verficht stattdessen die Meinung, dass es von den fliehenden Deutschen in Brand gesetzt wurde, um belastende Beweise zu vernichten……
Die Sowjets fanden die Gräber der jüdischen Opfer sehr bald. Insgesamt 21 Gräber mit jeweils 10-12 Leichen, die Spuren von Folter aufwiesen. Eine zweite Exhumierung geschah 1946 im Rahmen von Gerichtsprozessen. Eine Lageskizze wurde bei der zuständigen Staatsanwaltschaft hinterlegt, verschwand dann aber unter mysteriösen Umständen. Andreas Lehner von Refugius erklärt all dies damit, dass die Sowjets die eigenen Toten suchten und als sie sahen, dass die Gräber keine Russen enthielten, an dem Fall nicht mehr interessiert waren. Das ist natürlich keine Erklärung für das Verschwinden der Karte. Aber es könnte sein, dass sie zusammen mit Tausenden von anderen Dokumenten 1955 von der Armeepatrouille mitgenommen wurde, als die sowjetischen Besatzer Österreich verließen. Unter dieser Annahme hat sich jetzt anscheinend eine neue Gruppe von österreichischen Historikern gebildet, die in russischen Archiven nach dieser Karte forschen will. Es wird natürlich nicht einfach sein, dieses eine Dokument unter Millionen von Akten zu finden……
Technische Methoden der Grabung sind über die Jahre immer besser geworden….Natürlich wäre es einfacher gewesen, Informationen über die Lage der Gräber von den Verantwortlichen zu erhalten. Aber ebenso wie Franz Podezin und Joachim Oldenburg waren auch Margit Batthyany-(Thyssen-Bornemisza) und ihr Mann, Graf Ivan Batthyany vor der Ankunft der Roten Armee geflohen. Nach dem sowjetische Rückzug kamen sie nach Rechnitz zurück, wo sie u.a. der Jagd huldigten. Nach Ihrem Tod 1985 und 1989 erlaubte ihnen die bei Güssing ansässige Familie Batthyany nicht, in der Familienkrypta bei gesetzt zu werden…….
Der Bürgermeister von Rechnitz, Engelbert Kenyeri, sagt dass das Rechnitz Massaker einer ansonsten makellosen Geschichte der österreichisch-ungarischen Batthyany Dynastie einen negativen Aspekt hinzu fügt, und dabei sei es besonders tragisch, dass sie ja nur indirekt, durch die Heirat von Ivan Batthyany mit Margit Thyssen-Bornemisza, involviert sei……..Josef Hotwagner, der Historiker des Dorfes, der vor einigen Jahren starb, hatte die Kriegsjahre in Rechnitz erlebt und auch danach sehr viele Gespräche mit Einwohnern geführt, die Informationen hatten……Und heute gibt es Ortsansässige wie Andrea Hütler, eine Lehrerin die mit ihren 14-jährigen Schülern den Fall im Geschichtsunterricht bearbeitet und ein Projekt ausgearbeitet hat, welches mit dem Fred Sinowatz Preis ausgezeichnet wurde“…….
(die Schüler besuchten auch Gabor Vadasz in Budapest, den Sohn von Geza Vadasz und Neffen von Arpad Vadasz, die beide in Rechnitz ermordet wurden. Gabor bemüht sich seit Jahren verzweifelt, die Gräber ausfindig zu machen. Laut einem Artikel von Judith Gergaly hat er auch an hohe österreichische Politiker und an den Papst in dieser Sache mit der Bitte um Hilfe geschrieben).
“……..Die Gedenkstätte Rechnitz, die mit einer simplen Gedenktafel begann, wurde 2012 zu einem größeren Informationszentrum ausgebaut, welches vom österreichischen Staatsoberhaupt Heinz Fischer eröffnet wurde……Menschen, die in anderen Fällen von unauffindbaren Massengräbern involviert waren berichten davon, wie schwierig es ist, die Hürden von Verhandlungen, Schlichtung und finanziellen Aspekten zu überwinden, sodass die Fälle oft viele Jahre benötigen, um zu einem Abschluss zu kommen. Refugius möchte nur ungern solche unangenehmen Verwaltungen unternehmen, selbst wenn sie schließlich dazu führen können, dass die Gräber der Rechnitzer Opfer auf den ehemaligen Batthyanyschen Ländereien gefunden werden.“ (Ende des Auszugs aus dem Artikel auf Szervuszausztria.hu).
http://szervuszausztria.hu/blog/blogpost/ausztriai-hatter-sascha-batthyany-konyvehez
Wir finden die ungarische Reaktion und Bewertung unserer Arbeit (und insbesondere den Artikel von Julia Szaszi, die auch Wiener Korrespondentin der größten ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag ist) beruhigend und hoffen, dass die Artikel der ungarischen Kommentatoren viele positive Resultate für den Fall Rechnitz erbringen werden.
Sollte Sacha Batthyany, dessen Buch sieben Jahre nach seinem Zeitungsartikel 2009 keinerlei Neuigkeiten zum Fall Rechnitz enthält (im Gegenteil, aus irgendeinem Grund hat er z.B. die Beweise zur Deckung von Franz Podezin und Joachim Oldenburg durch Margit Batthyany-Thyssen in der Buchversion ausgelassen) und stattdessen die Aufmerksamkeit weg von Rechnitz und hin zu einer komplett neuen Geschichte lenkt, vielleicht seine frenetische Vortragstour unterbrechen und sich auf diese, eher schwierige Aufgabe einlassen? Er könnte damit sicherlich den Namen seiner Familie in viel eindrucksvollerer Weise pflegen, als es ihm durch die Weiterführung seiner Werbeanstrengungen für sein selbstgerechtes Buch möglich sein dürfte, von dem er selbst zugibt, dass es eher fiktional ist.
Nach dem Artikel von Ficsor Benedek in Magyar Nemzet zu urteilen scheint es allerdings so, dass Sacha Batthyany sich neuerdings als Opfer des Thyssenschen Verhaltens neu erfindet, anstatt den Schuldanteil seiner eigenen Familie ein zu gestehen.
Dies ist nun eine ideale, historische Gelegenheit für die Thyssens, ihre Schuld öffentlich an zu erkennen und sich an der Lösung des Falles Rechnitz zu beteiligen, damit die Wunden heilen können, sowohl dessen, was den ungarischen Opfern und ihren Familie angetan wurde, als auch die der Menschen in Rechnitz. |
Julia Szaszi, ehemalige Wien-Korrespondentin der großen ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag, hat in Rechnitz Interviews geführt und bereits mehrere Male in der ungarischen Presse über den Fall Rechnitz berichtet. Auf der Internet-Platform Szervuszausztria.hu schreibt sie auf Ungarisch über Österreich. |
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Sunday, November 8th, 2015
Nach all den Ausweichmanövern um die Geschäftemacherei mit dem Tod und dem Elend anderer Menschen schauen wir jetzt auf die „glitzernde“ Seite der Medaille, nämlich die sogenannten Kunstbemühungen der Thyssen Familie. Diese hatten mehr mir Kapitalflucht, der Umgehung von Devisenkontrollen und Steuervermeidung (Kunstsammlungen werden von Gramlich als „probates, da schwer zu kontrollierendes Mittel, um Steuerforderungen zu mindern“ beschrieben), kurzfristiger Spekulation, Kapitalschutz und Profitmaximierung, als mit einer ernsthaften Beschäftigung mit oder gar Erschaffung von Kunst zu tun.
Bezeichnenderweise ist bisher keine einzige Rezension dieses dritten Bands in der Serie „Thyssen im 20. Jahrhundert: Die Thyssens als Kunstsammler“ ermittelbar, welcher wiederum nichts anderes darstellt, als die verkürzte Form (mit fast 400 Seiten!) einer Doktorarbeit, diesmal an der Universität von München. Nicht eine einzige Erwähnung irgendwo, dass dieser Student der Geschichte, Germanistik und Musik vielleicht nicht genau weiss, wovon er schreibt, da er keine vorherige Kenntnis der Kunstgeschichte zu haben scheint oder irgendein ersichtliches persönliches Talent für die bildenden Künste. Oder darüber, dass viel zu viel von der Kunst, die die Thyssens erwarben, Plunder war. Oder dass die Thyssens behaupteten, Ungarn zu sein, wenn sie etwas von Ungarn wollten, Schweizer wenn sie etwas von der Schweiz wollten, und Niederländer wenn sie etwas von den Niederlanden wollten.
Prinzipiell scheint die hauptsächliche Aussage dieses Buches folgende zu sein: lang anhaltend zu täuschen ist die höchste Leistung überhaupt, und so lange einer reich und mächtig und unmoralisch genug ist, um sein ganzes Leben lang zu täuschen, dann wird es ihm gut ergehen. Nicht zuletzt deshalb, weil er genug Geld in einem Legat hinterlassen kann, damit an seinem Ruf weiterpoliert werden und eine anhaltende Mythologisierung auch nach seinem Ableben vonstatten gehen kann. Und falls die Person noch das zusätzliche Glück hat, auf ihrem Weg vom Unglück anderer zu profitieren, um so besser – so wie es in diesem Buch von Heinrich Thyssen-Bornemisza im Falle der jüdischen Sammlungen von Herbert Gutmann und Max Alsberg beschrieben wird und von Fritz Thyssen im Falle derer von Julius Kien und Maximilian von Goldschmidt-Rothschild.
Aber: findet irgend jemand diese Aussage akzeptabel?!
Seltsamerweise enthält dieses Buch auch einige sehr negative Bewertungen des wahren Charakters einiger Thyssens. Fritz Thyssen wird (in einem Zitat von Christian Nebenhay) als „wenig imponierend“ und „nichtssagend“ beschrieben. Von seinem Bruder Heinrich Thyssen-Bornemisza wird gesagt, er sei „sehr schwierig“, „unangenehm“, „geizig“ gewesen, habe „vereinbarte Zahlungsmodalitäten (…) nicht immer einhalten (wollen)“ und habe „offensichtlich wenig Verständnis für die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen aufbringen (können), die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm befanden“. Von Amelie Thyssen wird gesagt, sie habe sich „um eine autorisierte Biographie über ihren Ehemann (bemüht). Die Vorgänge um Thyssens Abkehr vom Nationalsozialismus sollten darin eine größere Rolle spielen, für die eine Verzerrung der Überlieferung in Kauf genommen worden wäre“. Auch habe sie über den genauen Zeitpunkt von Kunstkäufen die Unwahrheit gesagt, um Steuern zu sparen.
Zum Glück kannten wir keine Thyssens aus dieser zweiten Generation. Dafür kannten wir aber Heini Thyssen, den letzten direkten männlichen Nachfahren August Thyssen’s, und das sehr gut. Über ca. 25 Jahre hinweg (Litchfield länger als Schmitz) hatten wir das Glück, alles in allem viele Monate in seiner Gesellschaft zu verbringen. Wir mochten und vermissen ihn beide sehr. Er war ein großartiger Mann mit einem wunderbaren Sinn für Humor und einer sprühenden Intelligenz. Das Erstaunlichste an ihm, angesichts des allgemeinen Überlegenheitsgefühls der Familie, war, dass er selbst überhaupt nicht arrogant war.
Heini Thyssen beschrieb uns gegenüber den Kunsthandel als „das schmutzigste Geschäft der Welt“. Er wusste genauestens Bescheid über die Geheimniskrämereien der Händler, die Hyperbeln der Auktionshäuser und die Unaufrichtigkeiten der Experten. Es war eine rauhe See, die er mit der richtigen Kombination von Vorsicht und Wagemut navigierte, um erfolgreich zu sein. Aber er nutzte natürlich den Kunsthandel auch gnadenlos aus, um sich ein neues Image zu verleihen. Im Gegensatz zu seinem Vater und Onkel, war er damit so unglaublich erfolgreich, eben weil er so ein sympathischer Mensch war.
Aber Heini Thyssen war deshalb noch lange kein tugendhafter Mensch. Er täuschte weiterhin über seine Nationalität, den Ursprung und die Größe seines Vermögens, seine Verantwortung und seine Ergebenheit, genauso wie sein Vater, sein Onkel, seine Tante (und bis zu einem gewissen Grad auch sein Großvater) es getan hatten. Und jetzt fährt diese akademische Serie damit fort, die selben alten Mythen zu verbreiten, die immer schon, seit der Gründung des modernen deutschen Nationalstaats, nötig waren, um die Spuren dieser Räuberbarone zu verwischen. Die Größe und der angebliche Wert der Thyssen-Bornemisza Sammlung brachten auch viele aus dem Kunstbetrieb und der allgemeinen Öffentlichkeit dazu, sein Verhalten zu akzeptieren.
Von der überaus wichtigen Thyssen-eigenen, niederländischen Bank voor Handel en Scheepvaart, z.B., wird immer und immer wieder behauptet, sie sei 1918 gegründet worden, obwohl das wirkliche Datum mit höchster Wahrscheinlichkeit 1910 war. Dies ist wichtig, denn die Bank war das wichtigste offshore-Instrument, welches die Thyssens nutzten, um ihre deutschen Vermögenswerte zu tarnen und ihren Konzern, sowie ihr Privatvermögen, nach dem ersten verlorenen Krieg vor einer allierten Übernahme zu schützen. Aber diese Information ist heikel, denn sie bedeutet gleichzeitig eine massive Untreue der Thyssens Deutschland gegenüber, dem Land das die einzige ursprüngliche Quelle ihres Reichtums ist, war, und immer sein wird.
Und auch hier wird wieder von Heinrich und Heini Thyssen behauptet, sie seien ungarische Staatsangehörige gewesen, vermutlich weil dies entschuldigen soll, dass sie trotz ihrer massiven Unterstützung der Kriegsmaschinerie der Nazis, die einige der verheerendsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit ermöglichte, auch nach dem zweiten verlorenen Krieg der alliierten Vergeltung entgingen. In Wirklichkeit war Heinrich Thyssen-Bornemiszas ungarische Nationalität höchst fragwürdig, aus folgenden Gründen: weil er sie ursprünglich „gekauft“ hatte, weil sie nicht durch regelmäßige Besuche in dem Land, das er wieder verlassen hatte, aufrecht erhalten wurde, weil Verlängerungen durch gesponsorte Freunde und Verwandte arrangiert wurden, die in diplomatischen Einrichtungen arbeiteten und weil Heinrich seine deutsche Nationalität aufrecht erhielt. Im Falle von Heini Thyssen war dessen Status vollständig davon abhängig, dass sein Stiefvater in der ungarischen Botschaft in Bern arbeitete und ihm die nötigen Ausweispapiere besorgte (eine von uns als Ersten etablierte Tatsache, die nun aber von der „Nachwuchsgruppenleiterin“ Simone Derix in ihrem Buch über das Vermögen und die Identität der Thyssens so dargestellt wird, als sei es ihre eigene “akademische” Erkenntnis; die entsprechende Habilitationsschrift (!) ist bereits intern verfügbar. Seltsamerweise wird ihr Buch, obwohl es Band 4 in der Serie ist, erst nach Band 5 erscheinen). Diese ungarischen Nationalitäten als legitim zu bezeichnen ist absolut falsch. Und es ist ein sehr wichtiger Punkt.
Als Philip Hendy von der Nationalgalerie in London 1961 eine Ausstellung mit Bildern aus Heini Thyssens Sammlung organisierte, sagte ihm Heini anscheinend, er könne unmöglich im selben Jahr ausstellen wie Emil Bührle und fügte hinzu: „Wissen Sie, Bührle was ein echter deutscher ‘Rüstungsmagnat’, der später Schweizer wurde, es wäre also für mich sehr schlecht, (…) mit deutschen Waffen in Verbindung gebracht zu werden (…)“. Aber der Grund für seine Sorgen war nicht, wie es dieses Buch zu vermitteln scheint, dass Heini Thyssen nichts mit deutschen Waffen zu tun hatte, sondern eben gerade dass er damit zu tun hatte! Da diese anteilige Quelle des Thyssen-Vermögens nun von Alexander Donges und Thomas Urban bereits zugegeben wurde, ist es höchst fragwürdig, dass Johannes Gramlich in seiner Arbeit nicht auf diese Tatsache hinweist.
Dann wiederum gibt es in diesem Werk neue Zugeständnisse, wie z.B. die Tatsache, dass August Thyssen und Auguste Rodin keine enge Freundschaft hatten, wie es in den bisherigen wichtigen Büchern verbreitet wurde, sondern dass ihre Beziehung vielmehr – wegen Streitereien um Geld, einer Nützlichkeitspolitik der Öffentlichkeit gegenüber und künstlerischem Unverständnis – schlecht war. Das einzige Problem mit diesen Erläuterungen ist, dass wiederum wir die Ersten waren, die diese Realität erkannt und beschrieben haben. Nun jedoch begeht dieses Buch einen schamlosen Plagiarismus an unseren Forschungsanstrengungen und, indem vorgegeben wird, wir gehörten nicht zum „akademischen“ Kreis, werden die „akademischen Meriten“ dafür, die Ersten zu sein, dies zu veröffentlichen, von den Plagiierenden sich selbst zugeschrieben.
Eine weitere unserer Enthüllungen, welche in diesem Buch bestätigt wird, ist dass die Ausstellung der Sammlung von Heinrich Thysssen-Bornemisza in München im Jahr 1930 ein Desaster war, weil so viele der gezeigten Werke als Täuschungen bloßgestellt wurden. Luitpold Dussler im Bayerischen Kurier und in der Zeitschrift „Kunstwart“; Wilhelm Pinder in der Kunstwissenschaftlichen Gesellschaft München; Rudolf Berliner; Leo Planiscig; Armand Lowengard von Duveen Brothers und Hans Tietze gaben alle negative Kommentare über die Sammlung des Barons ab: „teures Hobby“, „eindeutig falsche Zuschreibungen“, „mehr als 100 Fälschungen, verfälschte Bilder und unmögliche Künstlernamen“, „Thyssen-Bornemisza könne die Hälfte der Ausstellungsobjekte wegwerfen“, „400 Bilder, von denen Sie keines heutzutage kaufen sollten“, „rückwärtsgewandtes Sammlungsprogramm“, „abstoßende Benennungen“, „irreführend“, „Atelierabfälle“, etc. etc. etc. Der Baron konterte, indem er insbesondere die rechts-gerichtete (!) Presse dazu antreiben ließ, positive Artikel über seine sogenannten kunstsinnigen Bestrebungen, sein patriotisches Handeln und seine philanthropische Großzügigkeit zu veröffentlichen, eine Einstellung dem Allgemeinwohl gegenüber, die allerdings nicht auf Tatsachen beruhte, sondern einzig und allein auf Thyssen-finanzierter Öffentlichkeitsarbeit.
Das Buch befasst sich fast überhaupt nicht mit den Kunstaktivitäten von Heini Thyssen, was verwunderlich ist, da er doch bei weitem der wichtigste Sammler in dieser Dynastie war. Statt dessen wird eine Menge Information weiter gegeben, die absolut nichts mit Kunst zu tun hat, wie z.B. die Tatsache, dass Fritz Thyssen das Gut Schloss Puchhof kaufte und es von Willi Grünberg verwalten ließ. In Gramlichs Worten: „Laut eines nachträglichen Gutachtens war die Bewirtschaftung des Guts unter Fritz Thyssen auf hohe Bareinnahmen ohne Rücksicht auf Substanzerhaltung oder -verbesserung angelegt, was zu einem Niedergang der Verwertbarkeit von Grund und Boden in der Zeit danach geführt habe. Nach dem Urteil des Spruchkammerverfahrens waren die Raubbau-Methoden allerdings vor allem auf Grünberg selbst zurückzuführen, der damit Tantiemen zu generieren trachtete.“ Anscheinend habe Grünberg auch während des Kriegs auf Gut Puchhof über 100 Kriegsgefangene malträtiert, aber nach einer kurzen Zeit der Untersuchung nach dem Krieg wurde er auf Geheiss von Fritz Thyssen wieder in seiner Position bestätigt. Dies gibt einen guten Eindruck davon, wie untauglich die Denazifizierungsprozedere waren, aber auch wie Thyssens Einstellung zu Menschenrechten und zur Ungültigkeit allgemeiner Gesetze für Menschen seines Standes war.
Man fragt sich auch, wieso betont wird, Fritz Thyssen habe die größte Länderei in Bayern 1938, für überteuerte 2 Millionen RM, speziell für seine Tochter Anita Zichy-Thyssen und den Schwiegersohn Gabor Zichy gekauft, obwohl uns Heini Thyssen und seine Cousine Barbara Stengel ganz eindrücklich erklärten, die Zichy-Thyssens seien mit Hermann Görings Hilfe, für den Anita als Privatsekretärin gearbeitet hatte, 1938 nach Argentinien ausgewandert, und zwar an Bord eines Schiffes der deutschen Marine. Nachdem der alte Mythos wieder aufgekocht wird, wonach Anitas Familie bei ihren Eltern war, als diese am Vorabend des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland flohen, macht das Buch nun die zusätzliche „Enthüllung“, Anita und ihre Familie seien im Februar 1940 in Argentinien angekommen. Dies ohne jedoch zu erklären, wo die Personen in der Zwischenzeit gewesen sein sollen, während Fritz und Amelie Thyssen von der Gestapo nach Deutschland zurück gebracht wurden. Dabei ist “Februar 1940” genau das Datum, an dem Fritz und Amelie, von denen Anita später erben würde, ihre deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, eine Tatsache, die später sehr wichtig dafür war, dass es ihnen möglich sein sollte, ihre deutschen Vermögenswerte zurück zu erlangen.
Die defensive Haltung dieses Buches zeigt sich auch daran, dass von Eduard von der Heydt, einem weiteren Nazi Bankier, Kriegsprofiteur und Kunstinvestment-Berater der Thyssens gesagt wird, „abseits aller Proteste und Unmutsregungen (…), blieb eine positiv konnotierte Verwurzelung und Präsenz in der Region (Ruhr), die bis heute unübersehbar ist“. Dies muss unter anderem darauf Bezug nehmen – spricht dies aber aus irgend einem Grund nicht an – dass einige Deutsche, denen die Rolle von der Heydts als Nazi Bankier aufstößt, dafür gesorgt haben, dass der Name des Wuppertal-Elberfelder Kulturpreises, wo sich auch das von der Heydt Museum befindet, von „Eduard von der Heydt Preis“ auf „Von der Heydt Preis“ abgeändert wurde. Es scheint hier aber so zu sein, dass ein Willi Grünberg als Fußsoldat die schlechteren Karten bekommt, während dem reichen Kosmopolit Eduard von der Heydt eine Art diplomatische Immunität zuerkannt wird. Ebenso wie in Buch 2 dieser Serie (über Zwangsarbeit) Meister und Manager an den Pranger gestellt werden, während man die Thyssens weitestgehend frei spricht. Es bleibt eine verzerrende Art, die Geschichte des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, die so nicht mehr geschehen dürfte.
Während dessen ist es aber Johannes Gramlich erlaubt, zu berichten, dass Fritz Thyssen in Anbetracht in seinen Augen revolutionärer Umtriebe, 1931 seine Sammlung in die Schweiz überführen ließ, um sie im Sommer 1933 wieder nach Deutschland zurück bringen zu lassen – als ob es überhaupt ein noch stärkeres Anzeichen dafür geben könnte, wie sehr ihn die Machterlangung Adolf Hitlers zufrieden stellte.
Während der gleichen Periode köderte Heinrich, nach der katastrophalen Ausstellung 1930 in München, das Museum in Düsseldorf mit einem unverbindlichen In-Aussicht-Stellen einer Leihgabe seiner Sammlung. Es wird auch gesagt, er habe den Bau eines „August Thyssen Hauses“ in Düsseldorf geplant, in dem er seine Sammlung permanent unterbringen wollte. In Anbetracht der Tatsache, jedoch, das Heinrich Thyssen-Bornemisza nun wirklich Zeit seines Lebens und selbst für die Zeit danach noch alles unternommen hat, um niemals als Deutscher betrachtet zu werden, ist es seltsam, dass Johannes Gramlich dieses Vorhaben nicht genauer einordnet, z.B. als offensichtlich vorgetäuschter Plan oder andererseits als Beweis, dass Heinrichs aller tiefstes Zugehörigkeitsgefühl eben doch teutonisch geprägt war. Wegen der schlechten Qualität von Heinrichs Kunstkäufen gab es zwar eigentlich gar nicht wirklich eine Sammlung, die man im Museum in Düsseldorf hätte ausstellen können, aber dies hinderte dessen Direktor Dr Karl Koetschau nicht daran, sich über Jahre hinweg für sie zu engagieren. Er war enttäuscht vom Verhalten des Barons, ihn so lange hinzuhalten und die Episode bewegt sogar Johannes Gramlich dazu, negativ zu kommentieren: „Ohne Dank und Gegenleistung, die (der Baron) erst auf ausdrückliche Bitte erbrachte, nahm er trotzdem sämtliche Annehmlichkeiten in Anspruch“.
Gramlich schreibt, die Sammlung Schloss Rohoncz sei „ab 1934“ in Lugano untergebracht worden, unterlässt es aber immer noch, die genauen Zeitabläufe und logistischen Verfahren zu beschreiben, die zur Überführung von 500 Bildern in die Schweiz beigetragen haben sollen. Es ist eine Unterlassung für die es keinerlei Entschuldigung geben kann. Man sollte auch bedenken, dass 1934 das Jahr war, in dem die Schweiz ihr Bankgeheimnis verankerte, was wohl der ausschlaggebende Grund dafür gewesen sein dürfte, dass Heinrich Lugano als endgültigen Sitz seiner „Kunstsammlung“ wählte.
Die vielen, unangenehmen Auslassungen in diesem Buch sind aufschlussreich, v.a. wenn von Heini Thyssen gesagt wird, er habe eine Büste von sich anfertigen lassen, die der Künstler Nison Tregor ausführte. Dass er jedoch auch eine von Arno Breker, Hitlers bevorzugtem Bildhauer anfertigen ließ, wird nicht erwähnt. Die Aussparungen werden allerdings absolut inakzeptabel, wenn zwar vom Rennstall Erlenhof geschrieben wird, dessen „Arisierung“ (1933, von Oppenheimer zu Thyssen-Bornemisza) jedoch nicht erwähnt wird. Und ganz extrem abstoßend im Falle von Heinrichs Tochter Margit Batthyany-Thyssen, deren Beteiligung, zusammen mit ihren SS-Liebhabern, an der Greueltat an 180 jüdischen Zwangsarbeitern im März 1945 am SS-requirierten, aber Thyssen-finanzierten Schloss Rechnitz, unerwähnt bleibt. Beide Fälle werden weiterhin totgeschwiegen, was an die Art der Holocaustleugnungen eines David Irving erinnert.
Auch ist erstaunlich, dass der Autor ein starkes Bedürfnis zu haben scheint, die Frage der Finanzierung von Heinrich Thyssen’s Sammlung zu mystifizieren, obwohl Heini Thyssen uns sehr klar erklärte, dass sein Vater dies über einen Kredit tat, den er bei seiner eigenen Bank voor Handel en Scheepvaart aufnahm. Es ist ein ganz einfaches Prinzip, aber Johannes Gramlich erklärt es so umständlich, dass man denken muss, er täte dies, um es so aussehen zu lassen, als habe Thyssen Geld in einem goldenen Topf ähnlich dem heiligen Gral gehabt, der nichts mit den Thyssen Unternehmungen zu tun hatte und statt dessen beweist, dass Heinrich tatsächlich von einer alten, aristokratischen Linie entstammte, so wie er es sich wünschte (und in seinem Kopf der festen Überzeugung war, dass es der Realität entsprach!).
Es wird auch die gleichsam unwahrscheinliche Behauptung aufgestellt, alle Details jedes einzelnen der Tausende von Thyssens erstandenen Kunstwerke seien durch „das Team“ in eine riesige Datenbank eingeben worden, die ein raffiniertes Netzwerk von Informationen und Querverweisen enthält. Und dennoch werden in diesem Buch nur eine Handvoll von Bildinhalten tatsächlich erwähnt oder beschrieben. Der Leser fragt sich also immer wieder, wieso für ein Thema, das so eine große Bedeutung im Leben der Thyssens hatte, so ein unerleuchteter Mann beauftragt wurde, und nicht ein erfahrener Kunsthistoriker. Ist es deshalb, weil es einfacher ist, solch einen Mann Aussagen tätigen zu lassen wie z.B.: „Persönliche Unterlagen wurden bei der Beschlagnahme von Fritz Thyssens Vermögen durch die Nationalsozialisten im Oktober 1939 vernichtet, geschäftliche Dokumente fielen vor allem den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer“, weil die Organisation die wahren Details des Lebens von Fritz und Amelie Thyssen während des Kriegs nicht preisgeben will? (ein kleiner Tipp: die bösen Nazis sperrten sie in Konzentrationslager und warfen die Schlüssel weg ist definitiv nicht das, was geschah). Oder weil er bereit ist, zu schreiben: „Der auf Kunst bezogene Schriftverkehr von Hans Heinrich (…) ist ab 1960 systematisch überliefert“ und „Wer federführend für die Bewegungen in den Sammlungsbeständen der 1950er Jahre verantwortlich war, ist mangels Quellen nicht sicher zu sagen“, da es sonst schwierig zu erklären wäre, wie ein Mann, dessen Besitz bis 1955 enteignet gewesen sein soll, davor teure Kunst kaufen und damit handeln konnte?
Wurde Dr Gramlich beauftragt weil ein Mann mit so wenig Erfahrung, von „APC“ als einem „amerikanischen Unternehmen“ schreiben kann, mit dem Heini Thyssens Firma Verhandlungen geführt habe, da er nicht weiss, dass sich hinter dem Kürzel der „Alien Property Custodian“ (also der Treuhänder für ausländisches Eigentum) verbirgt? Oder weil er immer und immer wieder die unglaubliche Qualität der Thyssen Sammlungen anpreist, obwohl klar zu werden scheint, dass viele der Bilder, inklusive Heinrich’s „Vermeer“ und „Dürer“ und Fritz’s „Rembrandt“ und „Fragonard“ gefälscht waren? Die Lost Art Koordinierungssstelle in Magdeburg beschreibt diesen Fragonard übrigens als seit Juni 1945 aus Marburg verschollen, aber Gramlich sagt, das Bild sei bis 1965 in der Sammlung Fritz Thyssen in München gewesen und erst seitdem, nachdem es “nur noch mit 3,000 DM (bewertet wurde) da (… seine) Originalität für fragwürdig (erachtet wurde)”, verschollen.
An einer Stelle schreibt Gramlich über zwei Bilder von Albrecht Dürer in der Sammlung Thyssen-Bornemisza, ohne jedoch ihre Titel zu verraten. Er beschreibt, dass das eine von Heini Thyssen 1948 verkauft wurde. Es ging an den Amerikanischen Sammler Samuel H Kress und schließlich an die Nationalgalerie in Washington. Was Gramlich nicht sagt, ist dass dies „Madonna mit Kind“ war. Das andere Bild ist in der Sammlung Thyssen-Bornemisza verblieben und kann heute noch im Thyssen-Bornemisza Museum in Madrid unter dem Titel „Jesus unter den Schriftgelehrten“ bestaunt werden. Es hat allerdings eine äusserst negative Beurteilung durch den bekannten Dürer-Experten Dr Thomas Schauerte erhalten; Johannes Gramlich, jedoch, lässt seine Leser darüber im Dunkeln.
Die Wahrheit in all dem ist, dass egal wie viele Bücher und Artikel noch darüber geschrieben werden (und es waren bisher schon viele), die behaupten, Heini Thyssen habe Werke des deutschen Expressionismus gekauft, weil er zeigen wollte, wie sehr er gegen die Nazis war, dies nach Ende der Nazi-Periode überhaupt nicht möglich und auch noch nicht einmal glaubhaft ist. Es ist Unfug, zu behaupten, August Thyssen habe Kaiser Wilhelm II als „ein Unglück für unser Volk“ betrachtet, denn er hatte sein Bildnis an der Wand hängen und kaufte sich 1916 mit der einzigen Absicht in den U-Boot-Bauer Bremer Vulkan ein, noch mehr vom Krieg des Kaisers zu profitieren. Und es ist auch nicht glaubhaft, angesichts des tief empfundenen Anti-Semitismus des Fritz Thyssen, zu sagen, er habe Jakob Goldschmidt 1934 geholfen, einen Teil seiner Kunstsammlung ausser Landes zu bringen, weil er solch ein treuer Freund dieses jüdischen Mannes gewesen sei. Fritz Thyssen half Jakob Goldschmidt obwohl er Jude war und nur deshalb, weil dieser ein unglaublich gut vernetzter und daher ein unabdingbarer Partner im internationalen Bankverkehr war – der seinerseits nach dem zweiten Weltkrieg den Thyssens half, der vollumfänglichen alliierten Vergeltung zu entgehen.
Alles, was die Thyssens je mit Kunst getan haben – und dieses Buch bestätigt dies, obwohl es eigentlich versucht, das Gegenteil zu tun – war es, die Kunst zu benutzen, um nicht nur ihre zu versteuernden Vermögenswerte zu tarnen, sondern auch sich selbst. Sie haben die Kunst benutzt, um die fragwürdige Teil-Quelle ihres Reichtums zu verschleiern, sowie die Tatsache, dass sie Emporkömmlinge waren. Genauso wie Professor Manfred Rasch kein unabhängiger Historiker ist, sondern nichts weiter als eine Thyssensche Archivkraft (die Art, wie er seine „akademischen“ Mitarbeiter dazu benutzt, um verächtliche Bemerkungen über unsere Arbeit zu plazieren ist sehr unprofessionell), so waren und sind die Thyssens weder „Autodidakten“ noch „Kunstkenner“, und werden es nie sein. Der Grund dafür ist, dass Kunst sich nicht auf der Unterschriftenlinie eines Überweisungsauftrags abspielt und in ihrer wahren Essenz das genaue Gegenteil von praktisch allem ist, wofür die Thyssens, mit ein paar Ausnahmen, jemals gestanden haben.
Wie es Max Friedländer zusammenfasste, war ihre Einstellung die der „eitlen Begierde“, des „gesellschaftlichen Ehrgeizes“, der „Spekulation auf Wertsteigerung“……des Wunsches “seinen Besitz zur Schau zu stellen“…..“dass die Bewunderung, die (die) Kunstwerke in den Gästen, den Besuchern erweckten, auf (den Sammler), als auf den glücklichen Eigentümer, auf den kultivierten Kunstfreund, zurückstrahlte“. Entgegen der besten Bemühungen der Thyssen Machinerie eine zuträgliche, akademische Auseinandersetzung mit den Thyssenschen Kunstsammlungsbestrebungen zu präsentieren, haben die Beteuerungen sowohl der ästhetischen Qualität, als auch des Anlagewerts ihrer „Kunstsammlungen“, die hier so ekelerregend oft geäussert werden, angesichts der unendlich unmoralischen Standards der betroffenen Personen keinerlei Relevanz. Das Einzige was zählt, ist dass das Ausmaß des Thyssenschen industriellen Vermögens so gigantisch war, dass die reflektierende Fläche für den persönlichen Schein der Eigentümer, wie den ihrer Kunst endlos groß war. Und deshalb scheiterte ihre geplante Tarnung durch Kultur was v.a. die Thyssens der zweiten Generation als Philister bloßstellte. |
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Johannes Gramlich |
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Saturday, October 24th, 2015
Wenn es ein Thema in dieser Serie von akademischen Abhandlungen über die Firmen, politischen Ansichten, den persönlichen Reichtum, die Beziehungen zur Öffentlichkeit und die Kunstsammlung(en) der Thyssens gibt, bei dem Feingefühl und Offenheit gefragt gewesen wären, dann ist es dieses eine. In der Tat spiegeln die ensetzlichen Bedingungen, unter denen Ausländer (Sowjetische Staatsangehörige, Franzosen, Niederländer, Belgier, etc.) während des zweiten Weltkriegs in Thyssen Unternehmungen, und der Produktion von Waffen und Munition im Besonderen, arbeiten mussten deutlich die unmenschlichen Auswüchse des Nationalsozialismus wider. Die Rezension fällt ob des wichtigen Themas etwas länger aus.
30 Jahre nach Ulrich Herberts bahnbrechenden Arbeiten zur Zwangsarbeit und sieben Jahre nach Erscheinen unseres Buches blieb die Thyssen Familie bis jetzt eine von sehr wenigen, die sich beharrlich weigerten, diesen Teil ihrer Geschichte offen anzusprechen. Stattdessen hat sie immer behauptet, weitgehenst unbeteiligt an der Herstellung von Waffen und Munition und der Verwendung von Zwangsarbeitern gewesen zu sein. Sie behauptete auch, Hitler nicht unterstützt zu haben, oder ihre Unterstützung nach einer gewissen Zeit eingestellt zu haben. Sie ging sogar so weit, sich selbst auf eine Stufe mit den Verfolgten des Regimes zu stellen, in dem sie behauptete, selbst auch verfolgt und enteignet worden zu sein.
Ausserdem behauptete der Thyssen-Bornemisza Zweig der Familie, ungarischer Nationalität zu sein, und mit Deutschland überhaupt nichts zu tun zu haben. Aber dies waren alles falsche Behauptungen, die darauf ausgerichtet waren, die Aufmerksamkeit von den Fakten abzulenken. Und makabrer Weise war es gerade diese „kosmopolitische“ Seite der Dynastie, die die Nazis ganz besonders unterstützt hat, durch Finanz- und Bankgeschäfte, durch die Produktion von U-Booten und V-Waffen-Teilen, und durch eine persönliche Verbindung mit der SS und hoch-rangingen Nationalsozialisten. Über 1.000 KZ-Häftlinge starben in Bremen beim Bau des „Valentin“ Bunkers, in dem Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Bremer Vulkan Werft eine Steigerung der Produktion auf 14 U-Boote pro Monat plante, um im Angesicht Hitler’s drohender Niederlage einen verzweifelten deutschen Endsieg zu erringen.
Angesichts ihrer weitgreifenden industriellen und finanziellen Macht und Sonderstellung hatten Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza eine überwältigende Verantwortung, sich ihren Mitbürgern gegenüber respektvoll zu verhalten. Wir glauben, dass sie in dieser Stellung aufgrund ihrer unerschöpflichen Gier, ihres finanziellen Opportunismus und ihrer unmoralischen Arroganz scheiterten. Von allen Thyssen-Erben ist jetzt anscheinend nur einer, nämlich GEORG THYSSEN-BORNEMISZA, bereit, die Verantwortung einzugestehen, indem er dieses Projekt unterstützt. Aber diese kläglichen 170 Seiten mit unvollständigem Register (nur Personen, nicht Unternehmen, was die Analyse so schwierig macht) sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein in der Korrektur des offiziellen Bildes und halten einer internationalen Begutachtung nicht Stand.
Thomas Urban akzeptiert die Zulässigkeit unserer Biografie nicht und meint immer noch behaupten zu müssen, dass das Thema Zwangsarbeit in den Darstellungen zur Thyssen-Geschichte bis Anfang des 21. Jahrhunderts „unberücksichtigt“ blieb. In Wahrheit scheint es, dass das Thema mit Absicht unterdrückt wurde, so weit dies möglich war, um unerwünschte Aufmerksamkeit und mögliche Schadenersatzforderungen abzuwenden. Es ist auch der Grund, weshalb die Thyssen-Bornemisza Seite der Familie bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unseres Buches von der akademischen Forschung ferngehalten wurde (was Dr Urban als „verwunderlich“ beschreibt).
Als Michael Kanther speziell für die August Thyssen Hütte 1991 über Zwangsarbeit schrieb konnte er anscheinend bis 2004 nicht publizieren, und dann in den “Duisburger Forschungen”. Und zehn Jahre später werden aus der großen Fülle von Thyssen Unternehmungen nur einige wenige als schuldig preisgegeben, nämlich die Werften Bremer Vulkan und Flensburger Schiffsbaugesellschaft, das Kohlebergwerk Walsum und die August Thyssen Hütte.
Die Press- und Walzwerk AG Reisholz und die Oberbilker Stahlwerke werden nur flüchtig erwähnt, aber nicht die Beteiligung an der Produktion von V-Waffen oder eine Zusammenarbeit mit der MABAG (Maschinen- und Apparatebau AG) Nordhausen, wo Heinrich’s Sohn Stephan Thyssen-Bornemisza mit der SS zusammen arbeitete und 20,000 KZ-Häftlinge ums Leben kamen. Eine interessante Information ist jedoch, dass der technische Direktor der Press- und Walzwerk AG Reisholz, Wilhelm Martin, „in seiner Eigenschaft als ‘Abwehrbeauftragter’ einen ‘politischen Stoßtrupp’ aus Betriebsangehörigen eingerichtet“ haben soll, „der im Falle möglicher Unruhen in der Belegschaft, mit so genannten Totschlägern bewaffnet, zum Einsatz kommen sollte“ – anscheinend der einzig bekannte Fall einer solchen Einrichtung in der gesamten Nazi-Rüstungswirtschaft. Es ist ein erstaunliches Eingeständnis.
Als deutsche Arbeiter in den Krieg zogen wurden sie durch insgesamt 14 Millionen Zwangsarbeiter, ersetzt, darunter auch Frauen und Kinder und in Thyssen Unternehmen arbeiteten diese in Verhältnissen zwischen einem Drittel und einem erstaunlichen zwei Drittel (in der Zeche Walsum, wie wir als Erste berichteten) der Gesamtbelegschaft. In Anbetracht der Größe der Thyssen Konzerne müssten dort insgesamt bis zu mehrere zehntausend Zwangsarbeiter gearbeitet haben, aber Dr Urban versucht noch nicht einmal, eine ungefähre Gesamtziffer zu ermitteln. Stattdessen wird das jämmerliche Schwarze-Peter-Spiel mit Krupp weiter geführt, wonach die Bezeichnung „Zwangsarbeiter“, die durchweg in diesem Buch benutzt wird, plötzlich zu „Sklavenarbeiter“ wird, sobald der Name Krupp fällt. Währenddessen verliert sich die jetzt angeführte Tatsache, dass bei Thyssen in Hamborn viel größere Mengen an Granatstahl hergestellt wurden als bei Krupp in Rheinhausen im Kleingedruckten.
In der August Thyssen Hütte und dem Thyssen Werk Mülheim, die mehr zum Einflussbereich Fritz Thyssen’s gehörten, dessen Macht durch seine privilegierte Haft während des Krieges nicht so vollständig eingeschränkt war wie diese offiziellen Thyssen Veröffentlichungen es uns immer noch weismachen wollen, heisst es, habe es eine „hohe Sterblichkeit“ bei sowjetischen Kriegsgefangenen gegeben. Aber die von Dr Urban erwähnten Zahlen übersteigen nie acht oder weniger für die wenigen Zwischenfälle, die er beschreibt.
Wegen der Rassenideologie wurden sowjetische Kriegsgefangene, von KZ-Häftlingen abgesehen, am schlechtesten behandelt, bis zu einem Punkt, wo diese in Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Bremer Vulkan Werft, aus Furcht vor Sabotage, so Dr Urban, zunächst in einem Stacheldrahtkäfig festgehalten wurden, wo andere sie „wie die Affen (im Zoo anguckten)“. (Diese Information kam von einem Schulprojekt in Bremen aus dem Jahr 1980 und wurde von Dr Rolf Keller von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten in Celle an Dr Urban weiter gegeben). Aber trotz solcher verstörender Ausprägungen eines extremen Rassismus hatten Gesten der Humanität von seiten der Ortsansäßigen gegenüber den Gefangenen stattgefunden, wie unsere Lektorin beim Asso Verlag Oberhausen, Ulli Langenbrinck, uns vor Jahren schilderte, aus dem einfachen Grund, dass sie unter gefährlichen Bedingungen (z.B. in Kohlegruben und an Hochöfen) zusammen arbeiten mussten und es daher besser war, rücksichtsvoll gegenüber Menschen zu sein, von denen das eigene Leben abhängen konnte.
Leider bringt es Thomas Urban fertig, zu suggerieren, solche Erinnerungen könnten nichts weiter als Spiegelungen nachträglicher Dienlichkeit sein und man fragt sich, ob er jemals nachgedacht hat, wie es wohl gewesen sein musste, unter Bedingungen zu arbeiten, wo die rassische, ideologische und nationale Diskriminierung die sowieso schon schwierigen Arbeitsverhältnisse nochmals erheblich erschwerten. Bedingungen, die wegen größenwahnsinnigen Politikern und gleichsam größenwahnsinnigen Industriellen existierten und von denen die Menschen vor Ort genau wussten, dass sie kontra-produktiv waren. Sicherlich brauchte es nicht den Anblick von KZ-Häftlingen, um demoralisiert zu sein – Dr Urban sagt, dies sei in jener Zeit behauptet worden – von denen anscheinend „75“ beim Bremer Vulkan selbst verwendet wurden (was eine weitaus angenehmere Zahl ist als die 1,000 oben erwähnten Todesopfer). Die irrsinnige Situation, die man erlitt, wenn man ob des Schicksals der im fernen Feld stehenden eigenen „Herrenmenschen“ bangen musste, während die „untermenschlichen“ Feinde deren Waffen und Munition daheim produzierten muss schon verstörend genug gewesen sein, um Menschen zu demoralisieren – und zwar für beide Seiten!
Am anderen Ende der Skala werden die Thyssens, die in der Vergangenheit mit ihren geschichtlichen Aufzeichnungen „sparsam“ umgegangen sind, mit Glacéhandschuhen angefasst, was eine fortgesetzte Mentalität der Sympathie und Unterwürfigkeit bezeugt, die weit über alles geht, was man von einer sogenannten unabhängigen akademischen Beauftragung erwarten sollte. Selbst eine Rezensentin der Universität Duisburg-Essen, Jana Scholz, scheint zu hinterfragen, wieso das einzig Richtige nicht getan wurde, nämlich die Verantwortung eindeutig bei den Thyssens zu verorten. Statt dessen wird die Verwendung und Behandlung von Zwangsarbeitern Lagerführern, Vorarbeitern und Managern angelastet, Menschen wie Wilhelm Roelen und Robert Kabelac, und man fragt sich, was deren Familien wohl davon halten. Vor allem im Fall Roelen, da in der Ruhr eine Bewegung gegen die Erinnerung an ihn aufgekommen ist, nachdem nachgewiesen wurde, dass unter seiner Aufsicht mehr als 100 sowjetische Kriegsgefangene in der Zeche Walsum umgekommen sind. Signifikanter Weise sind keine Familienmitglieder dieser Manager befragt worden. Und auch keine Mitglieder der Thyssen Familie.
In einer anderen Rezension fragt sich Jens Thiel, der es als Experte in Medizinethik besser wissen müsste, allen Ernstes ob es sich heutzutage noch lohnt, mit Forschungen zum Thema Zwangsarbeit „wissenschaftliche Meriten“ zu ernten. Er preist die „nüchternen Beschreibungen“ in diesem Buch. Es ist aber absolut nicht nachvollziehbar, was nüchtern an der Beschreibung von hungernden Russen sein soll, die rohen Fisch essen, der durch Bomben getötet wurde, nachdem sie mitten im Winter in den eisigen Fluss gesprungen waren, um ihn einzusammeln. Oder an der Erinnerung von Ortsansässigen, wie sie als Kinder sahen, wie Leiterkarren aus einem Thyssen-Werk herausgefahren wurden, bei denen auf der Seite Beine und Arme heraushingen und sie sich beissend fragten, ob diese Menschen tot oder noch lebend waren.
Oder an der Beschreibung von Galgen, die vor dem Zehntweglager des Thyssen-Werks Mülheim aufgestellt wurden (welches von einem besonders sadistischen Vater-Sohn-Team von Kommandanten regiert wurde) und sowjetische Jugendliche dort für Diebstahl „in Anwesenheit eines Gestapo-Mannes und eines SS-Unteroffiziers“ in apokalyptischen Szenarien gehängt wurden – wiederum beobachtet von ortsansässigen Kindern. Alle drei Beschreibungen entstammen persönlichen Befragungen, die Dr Urban bei Zeitzeugen durchgeführt hat und die eines der wenigen rettenden Elemente dieses Buches sind. Er beschreibt auch andere Opfer, darunter Frauen, die in Thyssen-Werken erschossen wurden, z.B. wegen Diebstahls von Nahrungsmitteln.
Obwohl dieses Buch darauf nicht eingeht steht es ausser Frage, dass Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza mit den außerordentlichen Mitteln aus dem Schaffenswerk ihres genial-dementen Vaters äußerst privilegierte Lebensstile führten. Beide blickten rückwärts und sahen sich als feudale Oberherrn, die ihre ganz privaten Lehnsgüter regierten. Sie waren entschlossen, Arbeiterrechte konsequent zu bekämpfen, egal ob diese nun Deutsche oder Ausländer waren. Deshalb unterstützten sie den Faschismus, inklusive des Regimes von Admiral Horty in Ungarn. Deshalb finanzierten sie auch ihr SS-requiriertes Schloss Rechnitz im Burgenland, wo Heinrich’s Tochter Margit Batthyany während des Krieges ihr ganz eigenes Terror-Regime führte und in eine Greueltat an über 180 jüdischen Zwangsarbeiter im März 1945 verwickelt war, die bis zum heutigen Tag in keiner offiziellen Thyssen Publikation Erwähnung findet.
Die Thyssen Manager reichten diesen autokratischen Führungsstil nach unten weiter, während sie die gleichzeitigen Kriegsanforderungen der Sieges-wichtigen Plansolls und Gewinnerwartungen der Eigentümer zu erfüllen versuchten. Sie adressierten die Mahnung „Wenn Du nicht spurst, Farge (ein Arbeitserziehungslager in der Nähe von Bremen) ist dichtebei!“ sowohl an deutsche wie auch ausländische Arbeiter. Aber letztere waren immer mehr benachteiligt weil die Nazis das Führerprinzip durch alle Schichten hindurch anwendeten, sodass jeder Deutsche automatisch zum Boss seines nächsten ausländischen Arbeiters wurde. Ausländer mussten auch schwerere, gefährlichere Arbeiten verrichten und hatten schlechtere Rationen, Unterkünfte und Luftschutzvorkehrungen. Während eines großen Luftangriffs auf das Thyssen Werk in Hamborn am 22.01.1945 waren 115 der 145 Todesopfer Kriegsgefangene. Im Ausländerlager der Thyssen-Bornemisza Zeche in Walsum fanden ein Staatsarzt und ein Nazi-Funktionär bei ihrer Visite 1942 solch untragbaren hygienischen Zustände vor, dass sie das Thyssen Management beorderten, sofortige Abhilfe zu schaffen.
Die Ertragskraft der Thyssenschen Kriegsproduktion und speziell des Schiffbaus wird erwähnt, doch Thomas Urban sagt überprüfbare Zahlen seien „nicht verfügbar“. Aber einige dieser Zahlen sind in den Protokollen der Vorstandssitzungen enthalten, welche vierteljährlich in Flims, Davos, Lugano und Zurich stattfanden (nicht lapidar „in der Schweiz“ – mit anderen Worten Heinrich war nicht zu krank, um herum zu reisen, er wollte nur nicht mehr aus der Schweiz ausreisen; aus Gründen des Komforts, nicht weil er “anti-Nazi” war) mit vier Beteiligten (Baron Heinrich, Wilhelm Roelen, Heini Thyssen und Heinrich Lübke, dem Direktor der August Thyssen Bank Berlin – wobei die letzten zwei von Urban heruntergespielt werden). Und die Mitschriften wurden nicht von einem anonymen „Privatsekretär“ angefertigt sondern aller Wahrscheinlichkeit nach von Wilhelm Roelen, was erklärt, dass sich Kopien sowohl im Unternehmens- wie auch im Privatarchiv befinden. Wir sind sicher, dass sich auch noch weitere relevante Informationen zur Profitabilität im ThyssenKrupp Archiv wie auch im Archiv der Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen befinden, zum Beispiel im Nachlass von Dr Wilhelm Roelen, welche aber aus irgend einem Grund nicht veröffentlicht werden.
Es wird hier auch behauptet, dass „sich Thyssen-Unternehmen nach heutigem Kenntnisstand während der NS-Zeit (keine) ‘arisierte(n)’ Betriebe aneigneten“. Aber in Wirklichkeit wurde Heinrich’s Rennstall Erlenhof bei Bad Homburg für ihn im November 1933 von seinem Finanzinstrument Hollandsch Trust Kantoor aus dem Nachlass des Juden Moritz James Oppenheimer gekauft, der zuerst in den Konkurs getrieben und danach ermordet wurde. Eine sehr unangenehme Jahreszahl, wenn die offizielle Aussage immer war und immer noch ist, dass Heinrich Thyssen-Bornemisza ab 1932, also vor der Machtergreifung Hitlers, in der Schweiz lebte.
Der Autor versucht, einen Punkt zur Entlastung von Heinrich Thyssen-Bornemisza heraus zu arbeiten, indem er sagt, dieser sei nie bei Veranstaltungen in seinen Werken zugegen gewesen, wenn z.B. „Auszeichnungen durch das NS-Regime“ stattfanden. Aber während Heinrich nach 1938 die Schweiz nicht mehr verlassen haben mag so erzählte uns doch sein Sohn Heini, dass er 1942 für die Feierlichkeiten zum 100ten Geburtstag seines Großvaters nach Schloss Landsberg gereist war, an denen auch Nazi-Funktionäre teilnahmen (Bilder der Veranstaltung existieren). Danach konnte er ungehindert in die Schweiz zurückreisen. Aber dieser Vorfall bleibt hier unerwähnt, vermutlich weil man die unternehmerische Verstrickung Heini Thyssens während des Krieges nicht publik machen will.
Thomas Urban besitzt weiterhin die Kühnheit, zu unterstellen dass der Kontakt zwischen Heinrich Thyssen-Bornemisza und Hermann Göring „wohl auf den Pferdesport beschränkt“ gewesen sei und dass er „diesem Regime wohl nicht nur geografisch distanziert gegenüberstand“. Als ob Heinrich’s privilegierte Position in der Schweiz etwas sei, was in diesem Zusammenhang auch noch Bewunderung verdiene. Diese willkürliche Einschätzung durch einen deutschen Akademiker für diesen entscheidenden Punkt ist eine regelrecht obszöne Behauptung und tief abstoßend sowohl für die Erinnerung an die Opfer wie auch für alle Menschen, denen an der historischen Wahrheitsfindung gelegen ist.
Die Bankkontakte zwischen beiden Männer persönlich und mit dem Regime generell über Heinrich’s August Thyssen Bank in Berlin (welche später in der BHF-Bank aufging), seine Union Banking Corporation in New York und seine Bank voor Handel en Scheepvaart in Rotterdam und andere bleiben bisher in dieser Serie absolut unerwähnt. Wir nehmen an, das wird sich mit dem Buch von Simone Derix über das Vermögen und die Identität der Thyssens (Erscheinungsdatum 2016) oder mit Harald Wixforth’s Arbeit über die Thyssen Bornemisza Gruppe (Erscheinungsdatum unbekannt) ändern.
Man mag es als verständlich ansehen, dass die Thyssens in der Vergangenheit ihre Verbindungen zu Nazi Führern geleugnet und ihre Manager gleichfalls so argumentiert haben, um nach dem Krieg einer Vergeltung durch die Allierten zu entgehen, dass aber im Jahr 2014 ein solches akademisches Projekt immer noch in der selben Art über die wichtigsten Punkte der Aufarbeitung der Thyssen Geschichte hinweg geht ist unentschuldbar. Es ist ebenfalls unklar, wieso Dr Urban bei wichtigen Punkten so vage bleibt, wie z.B. bei der Frage der Entlohnung der Zwangsarbeit. Diese erwähnt er, gibt aber keinerlei Details, was unentschuldbar ist.
Immer und immer wieder erwähnt Dr Urban Probleme mit Quellen und dass es deshalb unmöglich sei, das Thema mit der nötigen Subtanz und Gewissheit zu behandeln. Seine Aussage dass „man in den Baustoffwerken (der Thyssens), zumal im Berliner Raum, durchaus einen höheren Anteil an Zwangsarbeitern vermuten“ kann ist inakzeptabel, zumal gesagt wird, die relevanten Archive seien „noch im Aufbau“, was 70 Jahre nach Kriegsende eine unglaubliche Aussage darstellt, auch wenn es eine ist, die wir bei unseren Arbeiten zum Thema Thyssen oft zu hören bekommen haben.
Als der Bremer Vulkan in den späten 1990er Jahren Pleite ging sahen weder die Thyssen Bornemisza Gruppe noch ThyssenKrupp eine Notwendigkeit, die Archive zu übernehmen. Statt dessen wurden diese einem „Freundeskreis“ („Wir Vulkanesen e.V.“) überlassen, der wichtige Akten, unter anderem Belegschaftsakten aus der Kriegszeit, welche auch Aufzeichnungen über Zwangsarbeiter enthielten, vernichtete – aus „Datenschutzgründen“ wie es hiess. Erst nach dieser Säuberung wurden die Akten dem Staatsarchiv Bremen überlassen. Auch die Überlieferungen der Zeche Walsum werden hier als „äusserst lückenhaft“ beschrieben, was angesichts der Tatsache, was für ein akribischer Technokrat Wilhelm Roelen war unwahrscheinlich, auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen, oder durch willkürliche Zerstörung belastender Beweise zu erklären ist
Und so fiel es einzelnen Zwangsarbeitern selbst zu, die den Mut hatten, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu treten (und welche von verschiedenen örtlichen deutschen Geschichtsprojekten – manchmal sogar in Schulen – aufgegriffen und tatsächlich unabhängig von irgendwelchen Thyssen Organen bearbeitet wurden), die eindringlichsten Portraits der Zwangsarbeit bei Thyssen zu zeichnen.
Als der Niederländer Klaas Touber 1988 an den Bremer Vulkan schrieb (dessen Ehrenvorsitzender Heini Thyssen war) und um DM 3,000 Schadenersatz für seine Zwangsarbeit im Krieg bat, wurde dies abgelehnt mit der Begründung man könne „keine konkreten Tatsachen erkennen (…), die für uns eine Schadenersatzverpflichtung begründen“. Es wurde ihm mitgeteilt, die Werft sei „wirtschaftlich angeschlagen“ und „wenn man ihn entschädigen würde, müsste man auch den vielen anderen Menschen, die damals mit Ihnen diese Zeit durchgemacht haben….Geldzahlungen zukommen lassen“, wozu man „finanziell nicht in der Lage“ wäre. Dies zu einem Zeitpunkt, als Heini Thyssen seine Kunstsammlung zum Kauf anbot und anklingen ließ, sie sei bis zu 2 Milliarden Dollar wert. Klaas Touber, der zu einem Zeitpunkt seiner Zwangsarbeit beim Bremer Vulkan auf 40 Kg abgemagert war, hatte Zeit seines Lebens ein psychisches Trauma behalten, was nicht zuletzt daher rührte, dass einer seiner Landsmänner, der ihm bei einem Streit in der Kantine zu Hilfe gekommen war, im KZ Neugamme ermordet wurde. (Die Informationen wurden Dr Urban zum Teil durch Dr Marcus Meyer, Leiter des Denkorts „Valentin“ Bunker der Bremer Landeszentrale für politische Bildung überlassen – Klaas Touber war sehr in der Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit engagiert – und zum Teil von ihm einer Veröffentlichung des Landesverbands der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten Bremen e.V. entnommen).
Das vielleicht erschütternste und gleichzeitig hoffnungsvollste Schicksal ist das des Weissrussen Wassilij Bojkatschow. Als er 12 Jahre alt war nahmen die Deutschen sein Dorf ein, wobei sowohl sein Vater wie auch sein Großvater ermordet wurden. Beim Thyssen Werk der Deutsche Röhrenwerke AG musste er die gefährlichste Arbeit verrichten nämlich nicht explodierte Bomben entschärfen. 1995 schrieb er seine Memoiren und reiste 1996 nach Mülheim, wo er den Bürgermeister und ortsansässige Menschen traf, die Geld für seinen Besuch und den seiner Frau gesammelt hatten. Er beschrieb viele traumatische Erlebnisse, erinnerte sich aber auch an „viele Bilder menschlichen Mitleids und Güte“. Es scheint, dass er noch nicht einmal um Schadenersatz warb. (Dr Urban hat diese Informationen aus dem Jahrbuch der Stadt Mülheim entnommen).
Im Jahr 2000 schrieb eine Ukrainerin, Jewdokija Sch., an das Staatsarchiv Bremen: „Die Arbeit (beim Bremer Vulkan) war sehr, sehr schwer – ich arbeitete als Schweißerin, 12 Stunden täglich, in Holzschuhen, ganz erschöpft vom Hunger! Ich war schon 1944 wie ein Gespenst!“.
Nach ihrem Zusammenschluss trat die ThyssenKrupp AG im Jahr 2000 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft bei, welche zur Entschädigung von Zwangsarbeitern finanziert wurde. Diesbezügliche Akten seien noch weitere 30 Jahre unter Verschluss und der akademischen Forschung nicht zugänglich, schreibt Dr Urban. Was er nicht erwähnt ist, dass es nicht bekannt ist, ob sich die Thyssen Bornemisza Gruppe jemals an einem Entschädigungsfond für Zwangsarbeiter beteiligt hat.
Interessanterweise befasst sich das nächste Buch der Serie mit den Kunstsammlungen der Thyssen Familie, welche das vordergründigste Instrument waren, mit dem sie ihr Schuldgefühl reinwaschen und ihre belastenden Kriegsverstrickungen hinter der Fassade einer kulturellen sogenannten Philanthropie verstecken konnten. Etwas was in den Boom-Jahren des deutschen Wirtschaftswunders und danach hervorragend funktionierte, als der Kunstmarkt von einem Höchstpreis zum nächsten emporschnellte und der Glanz der glamourösen Kunstwelt jegliche Sorge vor oder gar Erinnerung an die Quelle des Thyssen-Vermögens weg zu wischen schien. |
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Dr Thomas Urban, ein weiterer Thyssen-finanzierter Akademiker, diesmal von der Ruhr-Universität Bochum |
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