Rechnitz Revisited I

Neben der Publikation unseres Buches „Die Thyssen-Dynastie. Die Wahrheit hinter dem Mythos“ gibt es ein besonderes Ereignis, das sowohl symbolisch als auch real die Thyssens, sowohl als Unternehmen wie auch privat, dazu gebracht hat, ihre Geschichte umzuschreiben. Und zwar das sogenannte Massaker von Rechnitz, wie es jetzt genannt wird, also der Mord an hundert achtzig ungarischen, jüdischen Zwangsarbeitern nach einem Fest, welches Margit Batthyany-Thyssen im März 1945 unter anderem für SS-Offiziere gab, welche im Thyssen-finanzierten Schloss Rechnitz im Burgenland untergebracht waren; nicht nur das Ereignis selbst, sondern ein Artikel, den wir im Oktober 2007 über die Rolle Margit Thyssens bei diesem Verbrechen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieben.

Als die FAZ den Artikel veröffentlichte stritten manche Akademiker, wie Professor Wolfgang Benz von der Universität Berlin, das ganze Ereignis ab, während Manfred Rasch, der Archivleiter der ThyssenKrupp AG uns später als sensationsorientierte Journalisten abtat, die die Rolle der Thyssens mit Hilfe von „Sex and Crime“ Journalismus aufgebauscht hätten. Dies machte uns aber nur noch entschlossener, die Anschuldigungen zu widerlegen, wir hätten gelogen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, die nicht nur das Schloss besaßen, welches sie während des Krieges mit Geldern aus Thyssen Unternehmen finanzierten, sondern auch das umliegende Landgut und damit einen bedeutenden Teil des Städtchens.

Nun hatte der Bericht über die Beteiligung der Thyssens sich in der europäischen Presse verbreitet, dies natürlich auch online, und als die ThyssenKrupp AG (für die Unternehmen) und die Thyssen Bornemisza Gruppe (für die Familie) sich bewusst wurden, dass eine größere Kampagne der Schadensbegrenzung von Nöten sein würde, wurde ein Team von Akademikern beauftragt, nicht nur das Massaker von Rechnitz aufzuarbeiten, sondern die gesamte unternehmerische und Familiengeschichte (oder zumindest die bis zu einem passend flexiblen Zeitpunkt), und zu versuchen über die Fritz Thyssen Stiftung einen akademisch anerkannten historischen Präzedenzfall zu etablieren.

Doch obwohl es in den Büchern der Serie „Thyssen im 20. Jahrhundert – Familie, Unternehmen, Öffentlichkeit“ bisher schon mehrere Gelegenheiten gab, eine entsprechend reingewaschene Version der Geschichte des Massakers von Rechnitz aufzunehmen, ist dies nicht geschehen.

Dann wurden wir vor nicht all zu langer Zeit darauf aufmerksam, dass im Mai 2014 eine nicht sehr publik gemachte Veranstaltung an der Universität von München stattgefunden hat, nämlich eine zweitätige Konferenz unter dem Titel „Rechnitz Revisited“, welche von der vielseitigen und omnipräsenten „Nachwuchsgruppenleiterin“ Dr Simone Derix veranstaltet wurde. Als uns bewusst wurde, dass das Thema der Konferenz das Massaker von Rechnitz war und sie von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert worden war, wurde alles klar.

Es war offensichtlich eine Entscheidung gefällt worden, dass, solange das Thema Rechnitz so kontrovers und die Beteiligung der Thyssens so offensichtlich waren, es viel zu gefährlich war, „wissenschaftlich“ belegte Aussagen zu treffen, die ihre Beteiligung oder die Genauigkeit der Fakten in unserem Buch (und in unserem FAZ Artikel) anfochten. Fakten wie zum Beispiel die Details, dass Heinrich Thyssen über seine August Thyssen Bank einen RM 400,000 Kredit als „Beihilfe Rechnitz“ gewährt hatte, zu einer Zeit, als das Schloss bereits von der SS requiriert war, oder die jährliche Grundzahlung an Margit von RM 30,000 und „wandelbaren“ RM 18,000 zur Schlossunterhaltung, während das Gut „von Thyssengas weiterhin betreut“ wurde (damals Thyssensche Gas- und Wasserwerke) (siehe auch hier).

Das hinderte die Personen, die für den Inhalt der Konferenz verantwortlich waren, jedoch nicht daran, es dennoch zu versuchen und während unser Buch und unser Artikel mit keinem Wort erwähnt wurden, so wurden doch einige, allzu offensichtliche Andeutungen gemacht, nämlich an „überzeichnete mediale Darstellung“; sexbesessene Schlossherrin; skandalisierende Medienberichte; überzeichnete Fokussierung auf einzelne Personen, insbesondere Margit Batthyany-Thyssen; die große Diskrepanz zwischen den phantasievollen Berichten und der historischen Rekonstruktion des Geschehens; Phantasien und spekulative Projektionsfläche“.

Die Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, um das Konzept voran zu treiben, dass das Geschehene auf keinen Fall in die Verantwortlichkeit der ehrenwerten Thyssens und Batthyanys fallen kann, sondern dass jede Schuld an dem Verbrechen sicher bei den weniger privilegierten Teilen der Bevölkerung zu verorten ist. Es ist eine Strategie, die in der Reihe „Thyssen im 20. Jahrhundert“ ebenso praktiziert wird, und die mittlerweile den Lesern unserer Rezensionen dieser Bücher bekannt sein dürfte.

Im Grunde schien das bewusste Format dieser Konferenz nicht zu sein, spezifische Fragen zu beantworten oder irgendeine Form einer verbindlichen Aussage zu treffen. Vielmehr sollte ein akademisches „work in progress“ etabliert werden. Es ist eine Verfahrensweise, welche auch das österreichische Innenministerium seit Jahren angewandt hat, um einen Wall aufzubauen, hinter dem unangenehme Dinge versteckt werden können wie z.B. die Frage, wo die Toten des Massakers von Rechnitz begraben sind.

Zur Konferenz wurden eine Reihe von Akademikern eingeladen, die von der Fritz Thyssen Stiftung autorisiert wurden – allen voran Eleonore Lappin-Eppel und Claudia Kuretsidis-Haider – ausserdem Sacha Batthyany, ein Journalist, dessen Familie ursprünglich sowohl das Städtchen wie auch das Schloss besaßen und von ihrer Verbindung mit den Thyssens profitierten, und die auch ein gewisses Ausmaß an Macht und Einfluss in der Gegend behalten haben. Sacha Batthyany hatte einen ernsthaften Interessenkonflikt, gab jedoch der Veranstaltung einen gewissen noblen Status und half dabei, die Aufmerksamkeit von den Thyssens weg zu lenken und auch von seiner eigenen, anscheinend schuldfreien Familie; von der einige Mitglieder (so hatte er uns einmal gesagt) weiterhin an „jüdische Verschwörungen“ im Zusammenhang mit dem ungelösten Fall glauben.

Es ist anzunehmen, dass die Fritz Thyssen Stiftung diese Konferenz nun alle paar Jahre wiederholen wird bis ihre Version der Geschehnisse, welche jedwede Erwähnung der Beteiligung der Thyssen Familie am Rechnitzer Verbrechen ausschließt, akzeptiert worden ist.

Oder bis zum unwahrscheinlich Fall dass erkannt wird, dass ihre akademischen Verleugnungen nicht überzeugen und nur unsere Bestimmtheit vergrößern, dafür zu sorgen, dass die Thyssens, die persönlich übrigens nie die Genauigkeit unserer Fakten bestritten oder uns der Übertreibung bezichtigt haben, den ihnen gebührenden Grad an Verantwortung und Schuld übernehmen.

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