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Buchrezension: Thyssen im 20. Jahrhundert – Band 6: “Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit. Die Brüder Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza”, von Felix de Taillez, erschienen im Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2017 (scroll down for English version)

Die offizielle Geschichte zum Zweiten Weltkrieg, die in der Vergangenheit vom Thyssen Komplex herausgegeben wurde, war dass Fritz Thyssen die Nazis eine Zeit lang unterstützt hatte, er aber gegen den Krieg gewesen sei und daher aus Deutschland floh, festgenommen wurde und in ein Konzentrationslager kam. Von seinem Bruder Heinrich wurde gesagt, er sei ein Ungar gewesen und in der Schweiz wohnhaft, sodass überhaupt keine Verbindung zu Deutschland oder gar zum Nationalsozialismus bestanden hätte. Nachdem wir in unserem Buch „Die Thyssen-Dynastie“ (2008) aufgezeigt hatten, dass dies nicht der Wahrheit entspricht, lancierte die Fritz Thyssen Stiftung als Antwort eine akademische Reihe, in die sich dieser Band eingliedert. Er befasst sich vor allem mit Berichterstattungen über die Thyssens in verschiedenen Zeitungen und ist der längste der Serie, mit 546 Seiten, weshalb sich diese Besprechung auf 20 Seiten erstreckt. Das Buch setzt die allgemeine Tonlage der Reihe fort, nachdem die einzelnen Autoren zwar Informationen veröffentlichen, die den alten Thyssen Mythen klar widersprechen, diese Mythen jedoch nichtsdestrotrotz weiter aufrecht erhalten werden.

 

Wie wir sehen werden würde Felix de Taillez diese Haltung als „vollkommen verständlich“ qualifizieren, da die Thyssens und die Thyssen Unternehmen „einen guten Ruf zu verteidigen“ haben. (1997 fusionierte die Thyssen AG mit der Krupp AG zur Einheit thyssenkrupp, welche sich gegenwärtig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet). Das bevorzugte Mittel von de Taillez, um berechtigte Kritikpunkte zu vermeiden ist es, etwas als „bemerkenswert“ zu bezeichnen. Er verwendet diesen Ausdruck ausgesprochen oft, was ein äusserst gestelltes Bild ergibt. „Bemerkenswert“ ist ein vager Ausdruck, den man in einer akademischen Arbeit nicht in dieser hohen Frequenz erwartet. Es scheint, als würde de Taillez so eine Atmosphäre von „Spin“ erschaffen, welche Menschen ohne Vorkenntnis des Themas umgarnt. Dies birgt die Gefahr seine ansonsten exzellente historische Arbeit in ein Werk der Public Relations zu verwandeln.

 

Für die Allgemeinheit sieht es so aus, als würde Felix de Taillez diese beiden Gesichter der Medaille äußerst gut zuwege bringen und es erstaunt nicht, dass er es zu einer verantwortungsvollen Position als Referent der Präsidentin der Universität der Bundeswehr in München gebracht hat, die für die Ausbildung des deutschen Offizier-Korps zuständig ist. Aber es gibt Unstimmigkeiten in seiner Buchpräsentation und da seine Thesen jetzt mit der deutschen Staatsräson in Einklang stehen sollten, gibt dies Anlass zur Sorge. So verspricht seine Online Präsenz an der Ludwig-Maximillians-Universität:

 

„(Dieses Projekt) wird die Brüder Fritz und Heinrich Thyssen als EINHEIT GERADEZU KOMPLEMENTÄRER GEGENFIGUREN interpretieren, DENN DER SCHEINBAR UNPOLITISCHE HEINRICH AGIERTE, WENN AUCH VERDECKT, MINDESTENS SO NACHHALTIG POLITISCH wie Fritz. Mediale Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit erscheinen in dieser Perpektive als ABGESTIMMTE STRATEGIE POLITISCHEN HANDELNS“.

 

Diese Aussage scheint eine willkommene, neuartige Ehrlichkeit zu versprechen und doch erstaunt sie gleichzeitig, denn sie erscheint nicht im Buch selbst und ist tatsächlich gar nicht repräsentativ für dessen Ausarbeitungen. Im Band selbst wird Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Medienabstinenz tenorartig weiterhin damit erklärt, dass er im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren in jungen Jahren in London schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht und sich danach mit seiner Heirat 1906 als unpolitischer, ungarischer Adeliger aus dem öffentlichen (v.a. dem deutschen!) Leben komplett zurückgezogen habe.

 

Dies ist die Version, welche auch die Familienmitglieder seit jeher propagiert haben. Erst kürzlich wieder ließ sich Francesca Habsburg née Thyssen-Bornemisza im Financial Times Weekend Magazine als österreichische Thronanwärterin und Enkelin eines „ungarischen Barons“ feiern. Was sicherlich angenehmer ist, als Heinrich Thyssen-Bornemisza korrekterweise als bürgerlichen, deutschen Waffenhersteller und Nazi Banker preisgeben zu müssen; besonders, wenn man sich, wie Habsburg-Thyssen, im schönen Schein der teuren Kunst sonnt, die die Familie, zumindest teilweise, mit den Profiten dieser verwerflichen Aktivitäten erstand.

 

Selbst der von Felix de Taillez für seine Arbeit gewählte Titel ist auffallend irreführend, suggeriert er doch, dass beide Brüder, und zwar als bürgerliche Mitglieder der Gesellschaft, gleichwertig und gewollt in der Öffentlichkeit verankert gewesen seien. Dabei sahen sich die ja gerade diese Thyssen Brüder gar nicht als Teil des Bürgertums. Auch befasst sich nur ein knappes Viertel des Werks mit Heinrich Thyssen-Bornemisza, und nur mit seiner ausdrücklich zugelassenen Sichtbarkeit in den exklusiven Teilöffentlichkeiten der Kunstsammlerei (welche von Johannes Gramlich bereits ausführlich erarbeitet wurde) und des Pferderennsports (welche wir in einem separaten Artikel nach dieser Rezension besprechen werden).

 

Wir nahmen an, de Taillez würde aufzeigen, wie es Heinrich Thyssen ansonsten gelang, sich aus Medienberichten konsequent herauszuhalten und was er dabei der öffentlichen Einsichtnahme zu entziehen suchte. Immerhin verfügt das neu gegründete Archiv der Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen in Duisburg über erstaunliche 840 laufende Meter bis zu dieser Serie (ausser von uns) unerschlossenen Materials zum Thema Thyssen-Bornemisza. Doch anstatt gründlich den Wind der Aufarbeitung durch die Bestände des Archivs der ThyssenKrupp AG und der neu hinzugekommenen Akten wehen zu lassen, wird die Öffentlichkeit wieder einmal mit Krümeln abgespeist.

 

In diesem Band wie in der ganzen Serie bleiben die polit-ökonomischen Handlungen v.a. des Heinrich Thyssen-Bornemisza weitgehend verschleiert, diesmal dem Thema entsprechend hinter der Aussage, die Brüder seien Opfer unausgewogener Berichterstattungen und Medienmechanismen wehrlos ausgesetzt gewesen. Felix de Taillez erwähnt Heinrich’s Beteiligung am Private Banking nicht, welches von Natur aus unter größter Diskretion abgewickelt wird. Er verschweigt seine Freunschaft mit Hermann Göring (ein Kunde der August-Thyssen-Bank) und erwähnt auch nicht die Benutzung der Bank durch die deutsche Spionageabwehr. Dadurch vermeidet er es, Informationen darüber zu geben, wie die Thyssens ihrerseits, und v.a. Heinrich, die Medien manipuliert und ihre Aktivitäten aus deren Spotlight herausgehalten haben.

 

* * *

 

Zu den aufschlussreichen Beschreibungen in Felix de Taillez’s Buch gehört die Aussage, dass Heinrich im Ruhrkampf 1923 sich „politisch auf die Seite von Fritz“ schlug, er „in gewisser Weise (…) sogar radikaler als sein Bruder (Fritz war), da er Verhandlungen mit der Besatzungsmacht grundsätzlich ablehnte“. „Hinter den Kulissen“, so heisst es, traf Heinrich „zusammen mit Weggefährten“, – die de Taillez unbenannt lässt – „die sich alle einer ‘vaterländischen Bewegung der Ruhr’ angeschlossen hatten, führende Militärs und Politiker in Berlin (…).“ Als „Finanzverwalter“ der „Ruhrschutz-Gemeinschaft“ habe Heinrich Thyssen-Bornemisza „Propaganda im deutschen Sinn in allen besetzten Gebieten“, (sowie in) „Holland, (der) Schweiz, Elsass-Lothringen und Italien“ mit organisiert, so de Taillez weiter.

 

Man würde gerne Frau Habsburg fragen, warum ein Mann, der angeblich ein ungarischer Baron war, so etwas getan haben soll. Und wieso hat es ein Jahrhundert gedauert, bis diese Einstellungen und Handlungen des Heinrich Thyssen-Bornemisza ans Licht der Öffentlichkeit kamen? Weil hier über die Jahre hinweg eine ganz bewusste Strategie am Werk war. Weil der Thyssen-Komplex die Thyssen Brüder bisher immer so porträtiert hat, als sei Fritz der deutsche Nationalheld und Heinrich der von allem deutschen Übel Befreite gewesen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe und spielt gleichzeitig bei Fragen von Macht und Schuld Verwirrspiele mit der Öffentlichkeit.

 

Aber so vorteilhaft diese Art von Dienlichkeitslegenden auch sein mag, es ist sehr aufwändig, sie aufrecht zu erhalten; denn die Welt ist ja, glaubt man Felix de Taillez, voller „schonungsloser“ linker Schreiberlinge, die aus unerfindlichem Grund darauf bestehen, Dinge zu hinterfragen. So kam es z.B. auch, wie der Autor darlegt, dass ausgerechnet „das SPD-Blatt ‘Vorwärts’“ 1932 von einem holländischen Insider die Information bekam und diese auch druckte, dass die Thyssen-Firma „Vulcaan beim Erzfrachtverkehr der (Vereinigten Stahlwerke AG) bevorzugt (wurde), indem sie als einzige Reederei in den Genuss von sehr langfristigen Verträgen mit dem Düsseldorfer Stahlriesen gekommen sei. Überdies zahle die (VSt) dafür Raten, die weit über den üblichen Marktpreisen lägen“.

 

Man würde annehmen, es sei als verwerflich einzustufen, dass ein Teil des von Christopher Neumaier so treffend als „exorbitant“ beschriebenen Thyssen Vermögens also auf unlauteren Geschäftspraktiken zu beruhen scheint. Aber de Taillez erlaubt sich statt dessen den folgenden Kommentar: „Auf diese Weise wurden Geschäftsverbindungen enthüllt, die die Thyssens unter erheblichem Aufwand zu verschleiern versucht hatten“. Als sei die wirtschaftskriminelle Tat eine Leistung und das wahre Übel deren wahrheitssuchende Aufdeckung.

 

Und de Taillez setzt auf diese verdrehte Betrachtungsweise sogar noch einen drauf. Fritz Thyssen bezeichnete den Mangel an Kapital als das größte wirtschafliche Problem der Weimarer Republik. Die Frage nach seiner eigenen Kapitalflucht aus Deutschland heraus verwies er jedoch ins Reich der Legende, z.B. in einem Interiew mit Ferdinand de Brinon 1924. Absolut verständlich, nach Auffassung von de Taillez, schließlich hatte er ja einen Ruf als „pflichtbewusster deutscher Unternehmer“ aufrecht zu erhalten. Wodurch die Künstlichkeit der Thyssenschen Reputation im Handumdrehen ein akademisches und, wegen der Position des Autors, sogar ein quasi staatstragendes (!) Legitimitätssiegel erhält.

 

* * *

 

Das Leben der Thyssen Brüder Heinrich und Fritz strotzte nur so von künstlichen Konstrukten. Da war ihr Militarismus, welchen de Taillez als verinnerlichte Verbindung zu ‘Heer, Tradition, Glaube und militärischen Praktiken’ darstellt. Beide hatten sich in Hohenzollernschen Elite-Regimentern militärisch ausbilden lassen und doch verweigerte sich Heinrich dem Kriegsdienst und Fritz entwich ihm frühzeitig, indem er sich „auf eigenen Vorschlag mit einem offiziellen Auftrag des Auswärtigen Amts betrauen (ließ), um die Rohstofflage für das Reich im Orient (Osmanisches Reich) zu klären“. Stephan Wegener’s Behauptung, die Thyssens hätten im ersten Weltkrieg hohe materielle Verluste erlitten ist nichts weiter als Familienfolklore, die unliebige Fakten zu verschleiern sucht. Wegener, vom Familienzweig des Josef Thyssen, blendet bequemerweise aus, dass die Familie nicht nur vom deutschen Staat entschädigt wurde, sondern auch noch enorme, komplett auditierte Gewinne durch Lieferung von Stahl, Waffen und U-Booten (unter Verwendung von Zwangsarbeitern) machte. Es schwer auszuhalten, dass Felix de Taillez und andere in der Serie die Familienlegende der hohen Kriegsverluste unhinterfragt wiedergeben, als sei sie Fakt.

 

Zu welchen charakterlichen Verrenkungen ihre Selbstinszenierungs-Konstrukte führten wird für Heinrich Thyssen-Bornemisza am besten am Beispiel seiner adoptierten Nationalität deutlich. Da er sich im Gegensatz zu Fritz als „Ungar“ aufstellen musste, bestand er unerbittlich darauf, sein Schloss im Burgenland mit der ungarischen Bezeichnung „Rohoncz“ zu benennen. Die deutsche Version war ihm zu „sozialistisch“ (aus einem Brief an seine Frau, siehe „Die Thyssen-Dynastie“, Seite 123 – er implizierte fälschlicherweise, der deutsche Begriff sei 1919 mit Ausrufung der Republik neu entstanden). Hierbei legte Heinrich sich laut de Taillez sogar mit der burgenländischen Landesregierung, dem österreichischen Bundesdenkmalamt, dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultur und dem Auswärtigen Amt in Berlin an. Ironischerweise saß die Schlossverwaltung ganz woanders, nämlich beim Rotterdamsch Trustees Kantoor in Rotterdam. Doppelt und dreifach tarnte sich “der Baron“; ortsgebundene Amtshengste hatten solchen extravaganten Strategien nichts entgegen zu setzen.

 

Auch Fritz stand der Abschaffung der Monarchie in Deutschland und Österreich, sowie der aufsteigenden Sozialdemokratie feindselig gegenüber. Laut de Taillez sah er Deutschland als bedrängten Mittelpunkt eines engen Kreises aus England, Frankreich, Italien und Russland und meinte, der „große Druck von außen lasse die deutsche nationale Einigung auf demokratischem Wege nicht zu“. Sozialdemokraten fand er als „gemäßigte Revolutionäre“ „genauso gefährlich“ wie radikalere Umstürzler. Thyssen wollte, so de Taillez, dass der „spirit of the worker“ einfach nur „deutsch“ sei, und sonst gar nichts. Während die Gewerkschaften verstärkte Rationalisierungen, Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen forderten, wollte er ein durch die Heraufsetzung des Arbeitstags von 8 auf 10 Stunden (!) wiedererstarktes Volk und das Ende der betrieblichen Mitbestimmunng. Doch wie konnte dies den Kriegsheimkehrern schmackhaft gemacht werden, die sich zunehmend pazifistischen und demokratischen Organisationen zuwandten?

 

Laut Niels Löffelbein, erklärt George Mosse den Aufstieg des Faschismus durch eine „Brutalisierung“ der politischen Kultur der Nachkriegszeit durch die Masse der Soldaten, die zu einer „Entgrenzung und Radikalisierung der politischen Gewalt“ geführt habe. Angel Alcalde hält dem entgegen, die Weltkriegsteilnehmer seien in der „mythomotorischen Inkubationszeit“ der 1920er Jahre durch die extreme Rechte und Veteranenorganisationen zunehmends als anti-bolschewistische Kämpfer „instrumentalisiert“ worden. Im Kult um die gefallenen (wie die noch kampfbereiten) Helden zelebrierten sie die Verbindung von Radikalnationalismus und Krieg. Laut de Taillez richtete Fritz Thyssen noch im Oktober 1917 eine Beitrittserklärung an die rechtsnationale Deutsche Vaterlandspartei (DVLP). 1927 gab er während einer Abendveranstaltung des „Stahlhelm Bund der Frontsoldaten“, des „gewaltbereiten Kampftrupps“ der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) in seiner Heimatstadt Mülheim eine Rede. Auch dem „Bündnis der antidemokratischen rechtsextremen Harzburger Front“, in dem der „Bund der Frontsoldaten“ vertreten war, soll er „sehr nahe“ gestanden haben.

 

Wie Felix de Taillez schreibt, unterstützte Thyssen auch die Austro-faschistische Heimwehrmiliz: „Über Anton Apold, (…) dem Generaldirektor der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft (…) (die) mehrheitlich der Vereinigte Stahlwerke AG gehörte, (…) gab es eine Verbindung Thyssens zu den rechtsradikalen Heimwehren in Österreich.“ „Dem deutschen Großindustriellen wurden von der Düsseldorfer Volkszeitung unterstellt, auf ‘begrenztem Kampffeld in Österreich’ testen zu wollen, wie der Einfluss der Gewerkschaften gebrochen werden könnte.“

 

All dies wird eindeutig auch Heinrich im Geiste unterstützt haben, aber als angeblicher Ungar hielt er sich aus der deutschsprachigen Berichterstattung zum Thema heraus und wurde so nicht als rechtsextremer Unterstützer wahrgenommen. Indem er versäumt, dies klar zu sellen, trägt de Taillez zu dem Bild bei, das in dieser Reihe weiterhin von Heinrich gezeichnet wird, eines Mannes nämlich, der in keinster Weise ein Sympathisant der extremen Rechten gewesen sei. Das ist eine Behauptung, die ausschließlich auf der Abwesenheit öffentlicher Quellen beruht, die als solche bewusst von Heinrich und seinen Partnern sicher gestellt wurde. Mangel an Beweisen ist nicht mit Beweis eines Nichtbestehens gleich zu setzn. Dies hätte von de Taillez klar gestellt werden müssen. Doch tut er dies nicht, denn wenn man Heinrich’s rechtsextreme Sympathien enthüllt, zerstört man zugleich den mythologischen Ruf der Thyssens.

 

* * *

 

Für die Thyssens gab es stets Interessenkonflikte zwischen ihrer nationalen Zugehörigkeit und ihren wirtschaftlichen Eigeninteressen. Nachdem sie bereits vor dem ersten Weltkrieg die Besitzstrukturen ihrer Werk in die neutralen Niederlande verlegt hatten, beteiligten sich Fritz und sein Vater August kurz nach Ende des Krieges in Düsseldorf an Gesprächen über die Gründung einer Rheinischen Republik. Laut de Taillez lautete der Vorwurf des Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrats, der sie verhaftete, dass sie „die Abtrennung Rheinland-Westfalens und die Besetzung des Ruhrgebiet durch die Alliierten gefordert hätten“. Ein Kellner hatte das Treffen gemeldet und die Thyssens sahen sich bald als „profitgierige Heuchler“ und „Geldsackpatrioten“ bezeichnet; andere sagten, dies sei eine Verleumdung absolut treu-deutscher Industrieller. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt, offiziell, weil ihnen kein Hochverrat an Deutschland nachgewiesen werden konnte. Felix de Taillez schreibt der Kellner hätte gestanden, gelogen zu haben. Dass er dies eventuell tun musste, um seinen, oder überhaupt einen, Job zu behalten, scheint dem Autor nicht in den Sinn zu kommen. Fritz Thyssen, der laut de Taillez „für die deutsche Politik einen viel höheren Stellenwert als ein normaler Bürger“ hatte, wurde bald darauf vom Auswärtigen Amt in Berlin an den vertraulichen Nachverhandlungen einzelner Artikel des Vertragswerks des Versailler Friedensvertrags beteiligt.

 

Bereits kurz nach dem Krieg fing Fritz Thyssen auch an, sich in Argentinien einen Ausweichwohnsitz einzurichten, in dem er zunächst die Estancia Don Roberto Lavaisse in der Provinz San Luis erstand. Auch die Verbindung der Familie mit Südamerika reichte bereits in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück, als August Thyssen in Buenos Aires eine Zweigniederlassung der Firma Deutsch-Überseeische Handelsgesellschaft der Thyssen’schen Werke (Hamborn) gegründet hatte. Seit 1921 hieß die Tochterfirma dann Compania Industrial & Mercantil Thyssen Limitada. 1927 übernahm sie die Firma Lametal und „firmierte fortan unter Thyssen-Lametal S.A.“. Heinrich Thyssen-Bornemisza verkaufte sie laut de Taillez 1927 für 4,8 Millionen Gulden an die Vereinigte Stahlwerke AG. Auch in Brasilien hatte die Familie seit Jahren Besitz und warb für den wirtschaftlichen Handel dort.

 

Während des Ruhrkampfs 1923, den Fritz Thyssen angeblich als „legitime Abwehrmaßnahme gegen die ausländischen Neider“ interpretierte, ließ er sich vor dem alliierten Gericht durch Friedrich Grimm verteidigen, einem erklärten Antisemiten und späteren NS-Juristen, der laut de Taillez nach 1945 NS-Täter verteidigte und NS-Verbrechen verharmloste. In den Augen des Autors wurde Thyssen aber nur künstlich zur „Projektionsfläche“ einer „neuen deutschen Nationalidentität“ bzw. eines „freien Deutschtums“ „hochstilisiert“ , und zwar vor allem durch die New York Times und die Times of London. Dabei bildete der Ruhrkampf die erste Möglichkeit für Fritz, öffentlich aus dem Schatten seines bis dato allbestimmenden Vaters herauszutreten, der nun ernsthaft kränkelte. Dieses Selbstbefreiungsmotiv ist aus unserer Sicht im Zusammenhang mit Fritz Thyssen’s öffentlich zelebrierten Rechtsrucks ein nicht zu unterschätzender Faktor.

 

Wenn es nach de Taillez geht, muss konkret „offen bleiben“, „ob Fritz Thyssen von der Welt eines mitunter extremen Nationalismus, der sich in Deutschland im ersten Weltkrieg gebildet hatte, erfasst wurde“. Schade nur, dass seine Ehefrau Amelie Thyssen in dieser akademischen Reihe so wenig Beachtung findet, ausser als Co-Stifterin der Fritz-Thyssen-Stiftung. Laut Heini Thyssen’s persönlicher Aussage uns gegenüber war Amelie Thyssen jedenfalls alles andere als „hochstilisiert“, sondern tatsächlich während dieser „Inkubationszeit“ der 1920er Jahre in ihrem starken Deutschnationalismus nationalsozialistisch. Obwohl de Taillez immer wieder beschreibt, wie sehr Fritz von der Meinung seiner Frau abhing, lässt er die Möglichkeit der politischen Beeinflussung innerhalb dieser Paarbeziehung gänzlich unerwähnt. Da Amelie die treibende Kraft hinter der Wiedererlangung des Thyssen-Imperiums nach dem zweiten Weltkrieg war, würde auch jedes schlechte Licht auf sie, den mythologischen Ruf der Thyssens gefährden.

 

Grimm’s Argumentation vor Gericht war von der Aussage geprägt, dass „Privatbesitz wie die Ruhrkohle (…) rechtlich ohne Entschädigung der Eigentümer nicht einfach beschlagnahmt werden (könne), um staatliche Schulden zu tilgen. De Taillez behauptet, der Ruhrkampf habe in Fritz Thyssen ein „politisches Sendungsbewusstsein“ ausgelöst, „das weit über die Aktivitäten im Interesse des Geschäfts hinausging“. Er gesteht ein, dass Thyssen durch seine Aussagen, die deutsche Wirtschaft könne „nur durch größere Arbeitsleistung“ gesunden, SCHULD auf sich geladen habe. Er habe nämlich „durch solche öffentliche Äußerungen (…) auch zum Scheitern der Sozialpartnerschaft in den 1920er Jahren (beigetragen), was die demokratische Staatsform in Deutschland erheblich gefärdete“.

 

Später ließ Adolf Hitler Fritz Thyssen in dem Glauben, er dürfe für sein Konzept des korporativen Staats eine Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft führen. Diese nicht erwiderte Tätigkeit ermutigte Fritz zu beträchtlicher politischer Aktivität. Fritz war enttäuscht, als sein Projekt nicht umgesetzt wurde, aber, als er dies bei Hitler bemängelte, erwiderte dieser: „Es gibt nichts, wofür ich Ihnen dankbar sein müsste. Was Sie für unsere Bewegung getan haben, haben Sie zu Ihrem eigenen Nutzen getan und es als Versicherungsprämie abgeschrieben“. (Zitat bei Henry Ashby Turner Jr., siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 138).

 

Laut de Taillez verfolgte Fritz Thyssen vorrangig seine eigenen Geschäftsinteressen, außer dann wenn für ihn nicht ganz klar war, „welcher Weg (diesen) am zuträglichsten sein würde“. In der Europäischen Verständigungspolitik beschreibt er ihn als „zweideutig“. Thyssen kritisierte die Weimarer Republik sowohl in der französischen Presse als auch in der amerikanischen Öffentlichkeit, bezeichnete die deutsche Regierung als „schwach und nicht vertrauenswürdig“ und fiel damit „der deutschen Außenpolitik in einer schwierigen Situation in den Rücken“. Andererseits kritisierte er die „kurzsichtige und engherzige egoistische Wirtschaftspolitik der Nordamerikaner“. Thyssen „wollte bilaterale Austauschverträge für den Rohstoffverkehr, die der internationalen Finanzspekulation das Handwerk legen und Unabhängigkeit vom Wechselkurs erreichen sollte“. Wenn Fritz aber „gegen die Finanztechnik (wetterte), die die wirkliche Wirtschaft störe“, so blendete er dabei praktischerweise aus, dass die Thyssen-Familie drei internationale Banken zu 100% kontrollierte und damit selbst ein Global Player in Sachen Finanztechnik war (was allerdings von de Taillez unbegreiflicherweise nicht erwähnt wird).

 

* * *

 

Obwohl seine Nachwuchsgruppenleiterin Simone Derix es in ihrem Band bereits ausgiebig widerlegt hat, behauptet Felix de Taillez wiederum dass Heinrich seinen Erbteil des Familienkonzerns vollkommen unabhängig vom Erbteil des Fritz Thyssen führte. Auch dass die beiden Brüder ein schlechtes Verhältnis gehabt hätten betont er häufig. Nun mag es ja sein, dass sie sich nicht über alles liebten. Es ist ganz normal, dass es zwischen Geschwistern gewisse Neidhaftigkeiten gibt. Heini Thyssen erzählte uns, wie sein Vater eines Tages die Zürcher Bahnhofstrasse entlang gelaufen und demonstrativ auf die andere Straßenseite gewechselt sei, als er seinen Bruder Fritz sah. Doch das hatte tatsächlich mehr mit Image als mit Realitäten zu tun. Auch Heini wollte ein Bild des Zwists bestärken, da sich seine, die Thyssen-Bornemisza Seite der Familie bis dahin erfolgreich aus jedweder Diskussion um den Nationalsozialismus herausgehalten hatte. Aber schon ein kurzer Blick auf ein Bild der drei Thyssen-Brüder im Jahr 1938 in unserem Buch und hier zeigt, dass es im Verständnis zwischen Heinrich und Fritz überhaupt kein Problem gab. Statt objektiv zu sein, plappert de Taillez althergebrachte, zu Dogmen erhobene Thyssen-interne Mythen nach. Was „bemerkenswert“ ist, da er doch eigentlich beide Männer als „eine Einheit geradezu komplementärer Gegenfiguren interpretieren“ will, deren „Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarket“ (in dieser Perspektive) als „abgestimmte Strategie politischen Handelns (erscheint)“.

 

Nachdem Heinrich 1926 seine „exorbitante“ Erbschaft gemacht hatte, investierte er über wenige Jahre hinweg massiv in Gemälde und Kunstgegenstände, dem Vorbild seines Freunds Eduard von der Heydt folgend, der im gleichen Jahr in die Schweiz gezogen war. Obwohl seine Sammlung nie dort ansässig war nannte er sie „Sammlung Schloss Rohoncz“, um ihr den Anschein zu geben, als sei sie seit längerem organisch gewachsen und von noblem Format. Als solche ließ er sie 1930 in der Neuen Pinakothek in München ausstellen. Doch Friedrich Winkler von den Staatlichen Museen in Berlin rückte „Thyssen-Bornemiszas Methoden (…) in die Nähe von Napoleons Kunstraub“ und beschrieb ihn als „unbedarft, unwissend, beschränkt und abhängig von Händler- und Expertenurteilen“. Rudolf Buttmann, Abgeordneter der NSDAP im Bayerischen Landtag, nannte die Sammlung gar ein „von Händlern zusammengestelltes Ganzes“. Viele Zuschreibungsfehler und Fälschungen wurden angeprangert, was sich zum regelrechten „Medienskandal“ auswuchs. Die Münchner Pinakotheken zeigten sich, laut de Taillez, nur bei 60 der 428 Bilder nach Ende der Ausstellung bereit, sie vorübergehend in ihren eigenen Beständen zu zeigen.

 

Doch dies waren hochspekulative Zeiten mit einer „zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstmarkts“. Allem Aufschrei zum Trotz ging Heinrich Thyssens „Kalkül“ auf, „öffentlich den Wert seiner Sammlung bestimmen zu lassen“ (50 Millionen RM – es ist allerdings nicht ersichtlich wie de Taillez von solch einem „Kalkül“ wissen will). Auch wurde sein Unterfangen als „nationale Tat“ beschrieben „an der ganz Deutschland interessiert sei“. Er sei ein „Retter deutschen Kulturguts“ und mit einem „bürgerlichen Bildungsauftrag“ ausgestattet. Während dessen war auffallend, dass Heinrich nirgendwo als Sohn des bekannten Ruhrindustriellen und Erschaffers des Familienvermögens, August Thyssen, vorgestellt wurde. Stattdessen wurde er als „großer Unbekannter“ gehandelt, als eine Person von ominösem Flair, von der niemand so richtig zu wissen schien, woher sie kam. Es musste gerade genug „Deutschtum“ angeheftet bleiben, um die konservativen Kreise Münchens zufrieden zu stellen, während man die Illusion von Heinrich’s adoptierten Magyarentum aufrecht erhielt. Was bedrückt, ist dass de Taillez dies nicht klar als die offensichtliche Thyssensche Manipulation öffentlicher Wahrnehmung outed, die es war.

 

Die Stadt Düsseldorf und ihr Kunstmuseum, die in den Weimarer Jahren „unter deutschen Großstädten führend“ waren im Hinblick auf ein „hoch entwickelte IInstrumentarium kommunaler Öffentlichkeitsarbeit“ nutzte Heinrich Thyssen über Jahre hinweg aus. Laut de Taillez hielt er sich „für eine so wichtige Persönlichkeit (…), um der lokalen Politik Forderungen zu stellen“. Aber de Taillez behauptet unsinnigerweise, die nationale Verortung Heinrichs in Deutschland wäre einzig und allein aufgrund der Pressearbeit seines Kunstberaters Rudolf Heinemann und des Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr entstanden, und nicht in Heinrichs eigenem Sinn gewesen. Dabei gibt er im gleichen Werk an (siehe oben), dass Heinrich im Ausland „Propaganda im deutschen Sinn“ organisierte. Also verstand er sich sehr wohl als Deutscher, behielt ja auch seinen deutschen Pass (siehe „Die Thyssen-Dynastie“ S. 76 – von Simone Derix bestätigt) und kassierte deutsche Entschädigungszahlungen für Kriegsschäden an seine Firmen (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 256 – von Harald Wixforth bestätigt). Es ist unverständlich, warum de Taillez solch widersprüchliche Aussagen macht; es sei denn, die Kritik an dieser Reihe, sie sei durch die Quelle des Sponsoring – die Fritz Thyssen Stiftung – beeinflusst, könnte berechtigt sein.

 

Felix de Taillez geht weiter als er sollte, in dem er nicht nur existierende Thyssensche Manipulationen verschleiert, sondern sogar neue ins Leben ruft. Er schreibt: „Heinrich (reagierte) insofern auf das Ausstellungsdebakel, als er seine Kollektion danach zu großen Teilen umbaute, dabei die umstrittenen Bilder veräußerte, und somit erst den eigentlichen Durchbruch zu der heute weltbekannte Sammlung schaffte“. Dabei verweist er auf Johannes Gramlich’s Band „Die Thyssens als Kunstsammler“, Seiten 263-273. Dort allerdings wird nur von 32 Bildern gesprochen, die zwischen 1930 und 1937 verkauft worden sein sollen. Thyssen-interne Listen, die uns vorliegen zeigen, dass 405 Gemälde, die Heinrich bis einschließlich 1930 gekauft hatte 1948 von seinen vier Kindern geerbt wurden. Demnach wären theoretisch also nur 23 Bilder zwischen 1930 und 1948 verkauft worden.

 

Es kann demnach absolut keine Rede davon sein, Heinrich habe „seine Kollektion (nach dem Ausstellungsdebakel) ZU GROßEN TEILEN (umgebaut)“ und dabei „DIE umstrittenen Bilder (veräußert)“, was sich so anhört, als habe er ALLE umstrittenen Bilder der 1930er Ausstellung danach verkauft.

 

Das Thyssen-Bornemisza Museum in Madrid enthält noch heute mindestens 120 Bilder aus der Münchner Ausstellung von 1930. Wenn ein „Umbau“ stattfand, dann wurde dieser nicht von Heinrich Thyssen-Bornemisza aktiv durchgeführt, sondern fand passiv nach seinem Tod statt und zwar v.a. durch Erbteilung (1948, sowie 1992 nach dem Verkauf nur einer Hälfte der Thyssen-Bornemisza Sammlung an Spanien – die andere Hälfte ging an die Frau und vier Kinder von Heinrichs Sohn, Hans Heinrich).

 

Auch gab es einen Verkauf deutscher Bilder durch Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza in den 1950er Jahren, der sich nach der Nazi-Era noch stärker als sein Vater von Deutschland absetzen wollte (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 269). Ausserdem wurde Heini Thyssen natürlich ein Kunstsammler auf einer ganz anderen Ebene als sein Vater und kaufte tatsächlich einige sehr gute, v.a. moderne Gemälde.

 

Viele der fragwürdigen, 1930 ausgestellten Bilder sind jedoch in Thyssen-Besitz geblieben. De Taillez’s gegenteilige Behauptung ist irreführend.

 

Man muss auch daran erinnern, dass Heini Thyssen die meisten in der Erbteilung von 1948 verteilten Bilder von seinen Geschwistern zurück gekauft hat, sodass die meisten der fragwürdigen 1930er Bilder in seinem Besitz endeten. Die Einstellung der Thyssens war es immer, dass Bilder, sobald sie einmal in ihrem Besitz waren, nicht mehr hinterfragt werden durften. Darin versuchten sie, das Prestige, welches die Rothschilds besaßen, nachzuahmen. Die Öffentlichkeit und die Medien – die möglicherweise einem VIP-Äquivalent des königlichen Turnus’s unterworfen sind (wonach Journalisten vom Zugang zu Mitgliedern des Königshauses ausgeschlossen werden, wenn sie negative Stories publizieren) – schienen diese Version der Realität meist zu akzeptieren.

 

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Was an diesem Buch und an der Serie auffällt ist, dass sie nicht ein einziges Originalstatement eines lebenden Mitglieds der Thyssen Familie enthällt. Tausende Seiten neuer Geschichte werden zu ihrem Thema geschrieben, und man frägt sich, wie die Thyssens sich wohl fühlen, jetzt da einige der Teller, die über so einen langen Zeitraum hinweg und in so kostspieliger Weise in der Luft jongliert wurden, plötzlich mit einigem Getöse auf den Boden zu fallen drohen.

 

Doch Felix de Taillez wäre nicht Felix de Taillez wenn er uns nicht noch mit einer weiteren schönfärberischen Einschätzung aus dem Reich der Thyssen-Kunst entlassen würde. Verschiedene Kunstberater, Museumsdirektoren und der Baron selbst hatten widersprüchliche Aussagen gemacht, wann genau die Gemälde erstanden worden waren. Waren sie je im Rechnitzer Schloss gewesen, wie es der Name der Sammlung suggerierte? Manchmal hieß es ja, manchmal nein. Die uns vorliegenden Thyssen-internen Listen zeigen, dass das erste Bild von ihm 1928 erstanden wurde und alle Werke bis zur Ausstellung im Jahr 1930 in verschiedenen Depots verwahrt wurden (das Vorwort des Ausstellungskatalogs macht die sehr deutlich – siehe hier). Was allerdings den Baron nicht davon abhielt, manchmal 1906 für seinen ersten Kauf anzugeben, das Jahr seiner Verheiratung nach Ungarn.

 

Und Ähnliches tat sein Rechtsanwalt auch in den 1930er Jahren mit den Schweizer Behörden: „Im Zusammenhang mit Heinrich Thyssen-Bornemiszas Umzug in die Schweiz ist weiterhin bemerkenswert, dass ihm die erste Ausstellung seiner Sammlung in München in finanzieller Hinsicht von Nutzen war. Anlässlich der Einfuhr seiner Gemälde und anderer Kunstgegenstände in die Schweiz diente ihm bei den eidgenössischen Behörden der Hinweis auf die Ausstellung mit besagtem Katalog als Beweis dafür, dass sich rund 250 wertvolle Gemälde schon länger in seinem Besitz befänden. Durch diesen Schachzug gelang es ihm, die Kunstgegenstände ‘zum persönlichen Gebrauch’ zollfrei nach Lugano schaffen zu lassen“.

 

(Der Name von Heinrich Thyssen-Bornemisza’s Tessiner Anwalt war Roberto van Aken, und es war nicht das einzige mal, dass er es für seinen Kunden mit der Wahrheit nicht so genau nahm).

 

Rekapitulatierend: Heinrich Thyssen trickst über seinen geschmeidigen Anwalt die Schweizer Zollbehörden aus, Felix de Taillez applaudiert dies, gibt anscheinend als Grund dafür, dass angeblich nicht 428, sondern 250 Gemälde in die Schweiz geschafft wurden an, der Baron habe die fragwürdigen verkauft und lässt uns gleichzeitig ebenso wie Johannes Gramlich im Dunkeln, wann und wie genau der Transfer der Güter aus Deutschland heraus stattgefunden hat. Da die Sammlung bei der Erbteilung 1948 insgesamt 542 Bilder enthielt lässt de Taillez auch offen, woher die anderen knapp 300 Bilder stammten und wann sie in die Schweiz gekommen sein sollen.

 

Dass die Thyssens selbst sich so intransparent gaben, leuchtet ein. Dass allerdings Akademiker, die 80 Jahre nach den Geschehnissen beauftragt wurden, den Sachverhalt angeblich „unabhängig“ aufzuarbeiten genauso vorgehen, ist nicht hinnehmbar. Zumal kein Mitglied der Familie befragt wurde.

 

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Alles in allem ist Felix de Taillez erstaunlich stur dabei, die Heinrich Thyssen-Bornemisza umgebenden Mythen zu verlängern, während er bei der Presentation von Fritz viel direkter ist. Wir unterstellen nicht, dass die Fritz Thyssen Stiftung oder die Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen die Ergebnisse dieser akademischen Untersuchungen gesteuert haben. Aber die Tatsache, dass Zugang zu Quellen und finanzieller Unterstützung durch diese Einheiten gewährt wurde (in deren Vorständen nur EIN Mitglied der Thyssen Familie sitzt, nämlich Georg Thyssen-Bornemisza, ein Nachfahr von Heinrich, nicht von Fritz) muss die Autoren sicherlich dazu geführt haben, bei ihren Schlussfolgerungen „Vorsicht“ walten zu lassen.

 

Befassen wir uns weiter mit Fritz, so schauen wir nach dem Putsch von General Jose Felix Uriburu 1930 in Argentinien auf ein „undemokratisches Jahrzehnt“, in dem es zu einer „starken ökonomischen Verflechtung mit Deutschland“ kam. Seit den 1890er Jahre, so de Taillez, gab es dort „starke rechtsextreme Bewegungen“ und „bereits vor der Machtübernahme in Deutschland“ fasste die Auslandsorganisation der NSDAP in Argentinien „besonders gut Fuß“ (siehe auch „Die Thyssen-Dynastie“, S. 250). Später berichtete die La Plata Zeitung, dass Fritz Thyssen 1930 in der argentinischen Öffentlichkeit die „Morgenröte des kommenden neuen Deutschlands“ unter Hitler ausgemalt habe. Im Argentinischen Tageblatt forderte er 1934 die „unumschränkte Macht der neuen (deutschen) Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft“, was de Taillez „bemerkenswert“ findet, habe er doch „sonst immer auf große Freiräume für the Privatwirtschaft“ bestanden. De Taillez weiter: „Die Machtkonzentration im NS-Staat bot laut Thyssen den wesentlichen Vorteil, Entscheidungen zu trefen, ohne wie im ‘marxistisch verseuchten Parteienstaat’ ‘Halbheiten’ machen und Kompromisse schließen zu müssen“. Wobei Fritz die extremistische Sprache der Nationalsozialisten gegen ihre politischen Feiden verwendete.

 

Während der Gelsenberg-Affäre 1932 gab es Presseberichte, angefeuert vom ehemaligen Reichsfinanzminister Hermann Dietrich, wonach Fritz Thyssen für die Vereinigten Stahlwerke AG ein Geschäft mit französischen und niederländischen Investoren ausgehandelt hätte, welches die Reichsregierung aber verhindern wollte, da sie keinen ausländischen Einfluss auf das Unternehmen wünschte. Indem er einen Brief an die deutsche Öffentlichkeit schrieb, „dass er lediglich Kreditsondierungen vorgenommen habe“, so de Taillez, „stellte er bewusst die Reichsregierung bloß“. De Taillez argumentiert, dass Thyssens Angaben demontiert wurden, als ein Brief von Friedrich Flick an ihn der Frankfurter Zeitung zugespielt wurde, welcher aufzeigte, dass Flick „Thyssens Vorschlag (abgelehnt hatte) gerade wegen der damit verknüpften Geldquelle“. Die Düsseldorfer Volkszeitung brandmarkte ihn daraufhin als „unpatriotisch“.

 

Anfang 1932, während sein Bruder Heinrich die Villa Favorita in Lugano erwarb, schwenkte Fritz „demonstrativ zum Nationalsozialismus um“. Seine Frau war bereits seit 01.03.1931 Parteimitglied, Fritz wurde es offiziell am 07.07.1933. Auf den Ruhrkampf zurückblickend schloss er laut de Taillez, dass dies ein „Vorläufer für das nationalsozialistische Gedankengut des neuen Deutschlands“ war. „Anders als 1923 stehe nun nicht nur das Ruhrgebiet entschlossen da, sondern ganz Deutschland werde den Weg gehen, den der ‘Führer’ vorschreibe. Die Zerschlagung des Marxismus im Innern sei allein Hitler, der SA und der SS zu verdanken“ (aus einem Artikel in der Kölnischen Zeitung, „Fritz Thyssen über den Klassenkampf“, am 02.05.1933).

 

So wurde Thyssen zum „Medialen Akteur“, der dann unter Hitler „erheblich von der Abschaffung der Pressefreiheit“ profitierte, da bald niemand mehr seinen verbalen Roheiten etwas entgegensetzen durfte. In Buenos Aires führte er während dessen Verhandlungen „mit hohen staatlichen Stellen“ wie „General Agustin Pedro Justo, dem nach gefälschten Wahlen seit 1932 amtierenden Staatspräsidenten“. Nachfolgend wurde im November 1934 ein Argentinisch-Deutsches Handelsabkommen samt Verrechnungs- und Kompensationsverfahren unterzeichnet, wodurch der Handel zwischen den beiden Ländern drastisch anstieg. Es scheint, dass Thyssen hier versuchte, einen Gegenpol zur allmächtigen anglo-amerikanischen Wirtschaftsmacht aufzubauen. Felix de Taillez wertet dies allerdings nur dahingehen, der extremst egoistische Fritz habe sich hierin ausschließlich um den Aufbau seines öffentlichkeitswirksamen „Image“ als „einflussreicher Wirtschaftsführer“ gekümmert, um nur für sich persönlich viel öffentliche Beachtung zu finden.

 

Doch nicht die gesamte südamerikanische Presse war den Thyssens hold. Das Argentinische Tagesblatt sprach 1934 von einer „Bindung gemeinsamer Pleiten“, die Anfang 1933 stattgefunden hätte, als die Vereinigten Stahlwerke bankrott und die NSDAP hoffnungslos verschuldet gewesen seien. „Die Zeitung warf der Vereinigten Stahlwerke AG, under Thyssens Ägide als Aufsichtsratsvorsitzender, Bilanzfälschung in erheblichem Ausmaß vor“ (aus dem Artikel „Geschäfte eines Staatsrats“, vom 08.11.1934). Die Kölner Kulturzeitschrift Westdeutscher Scheinwerfer bescheinigte Fritz Thyssen gar eine „Selbstherrschernatur“ und „führte als Hauptgrund für die Krise bei der Vereinigte Stahlwerke AG die problematische persönliche Politik des Fritz Thyssen an“. Seine Kritiker in den Medien „erklärten Fritz Thyssen in wirtschaftlichen und politischen Fragen für unfähig“ und „machten ihn für die hohen Verlust der Vereinigte Stahlwerke AG verantwortlich“.

 

Es war genau das, wovor sein Vater August, der keinerlei gesellschaftliche Ambitionen hatte und ausschließlich für seine Werke lebte, Jahre zuvor gewarnt hatte. Er hatte sicher gestellt, dass sein Sohn Fritz nur Aufsichtsratsvorsitzender, nicht aber Geschäftsführer der Vereinigten Stahlwerke AG wurde, um den Schaden zu mindern, den er der Firma zufügen würde. August glaubte, dass Heinrich nur minimal besser als Fritz geeignet war, das Thyssen Imperium zu führen (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 95).

 

Nach dem Krieg beschuldigten die Alliierten die Vereinigte Stahlwerke AG, die NSDAP finanziell kontinuierlich und vorbehaltlos unterstützt zu haben (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 106). Fritz schleuderte quasi den Ball zurück in die alliierte Hälfte als er 1950 schrieb „Meiner Meinung nach dienten die Nürnberger Prozesse nur dazu, Sündenböcke für Hitlers Kriegspolitik zu finden. Es wäre für die Amerikaner beschämend gewesen, hätten sie zugeben müssen, dass sie die deutsche Wiederaufrüsung von Anfang an unterstützt hatten, weil sie einen Krieg gegen Russland wollten“ (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 294).

 

Was „bemerkenswert“ ist für einen Mann, dessen Ruf von der Glaubwürdigkeit seiner anti-KriegsPosition abhängt: Als die Nationalsozialisten Wilhelm von Keppler und Kurt von Schröder Unterschriften für die Eingabe bei Paul von Hindenburg zusammentrugen, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, war Fritz Thyssen einziges Mitglied der Ruhrlade (Verbindung 12 wichtiger Ruhrindustrieller, die 1928-1939 existierte), der unterschrieb. Im Umgang mit anderen Unternehmern konnte er schroff und unmanierlich sein. Er ermahnte v.a. solche Kollegen zur „Disziplin“ die in seinen Augen „liberalistisch“ agierten. Leute wie Gustav Krupp zu Bohlen und Halbach, der sich bis zuletzt gegen Hitler sträubte und, wie Richard Freudenberg und viele andere auch, sich erst dem Nationalsozialismus ergab, nachdem die Diktatur mit Hilfe der Thyssens und ihrer Gesinnungsgenossen installiert worden war. „Etwaigen Störern“, so de Taillez, „drohte (Thyssen) mit seinem neuen Einfluss auf die zuständigen staatlichen Organe“, i.e. er drohte, sie bei Hermann Göring anzuschwärzen.

 

Dies ist ein Eingeständnis durch den Thyssen Komplex einer hochgradig herrischen Verhaltensweise des Fritz Thyssen die, als solche, tatsächlich bemerkenswert ist.

 

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Selbst katholischen Geistlichen, eigentlich Verbündete, drohte Fritz Thyssen, so zum Beispiel Kardinal Schulte im März 1933, als er verlauten ließ, seine Familie würde dem Gottesdients fernbleiben „solange die ungerechte Behandlung der Führer & Mitglieder der NSDAP andauert“. Er nahm an soziologischen Sondertagungen in Maria Laach unter dem Abt Ildefons Herwegen und dem Kreis ‘anti-demokratischer Rechtskatholiken’ teil, die laut de Taillez zu den Nationalsozialisten „anschlussfähig“ waren. Diese waren „gegen die Aufklärung, die allgemeinen Menschenrechte, Demokratie, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, dezidiert anti-semitisch“ und für einen „autoritären Korporatismus“. Sie versuchten eine „Reichstheologie“ zu entwickeln, „getragen vom katholischen Akademikerband“.

 

Dies erinnert uns wieder einmal daran, dass Mitglieder der akademischen Berufe, wie z.B. Rechtsanwälte, besonders frühe und begeisterte Anhänger der Nazi Ideologie wurden.

 

Trotz all dieser Drohgebährden behauptet Felix de Taillez – nicht sehr überzeugend -, Fritz Thyssen habe den Nationalsozialismus „konservativ“ ausgelegt. Anscheinend sah er ihn als „Wiedergeburt des verloren gegangenen Staates und der Volksgemeinschaft“. Der Nationalsozialismus sei für ihn keine Weltanschauung gewesen, sondern eine „HELDISCHE KRAFT“, wonach ein „staatstragender Stand von Menschen“ wieder erstanden sei, der den „Kampf gegen die Totengräber des Staates“ aufgenommen haben. – Anklänge an die instrumentalisierenden, proto-faschistischen Veteranenverbände nach Angel Alcalde sind hier deutlich zu vernehmen -. Doch im gleichen Paragraphen enthüllte Fritz Thyssen dann seine elitäre Vorstellung seiner Rolle im Nationalsozialismus, wenn er sagte man würde diesem Stand allerdings „seine Würde und seinen Vorrang nehmen, wenn man versuchen wollte, durch weltanschauliche Propaganda 64 Millionen Menschen in die gleiche Würde hineinzuheben“.

 

Für die Rheinische Zeitung hieß das, Thyssen war ein Faschist, aber „kein Radau-Nazi“. In Wirklichkeit war es so, dass er sich selbst und seine Familie als Teil des Staates, nicht aber als Teil der Volksgemeinschaft sah, die er in einem deutlich untertänigen Rang zu sich und seinen Partnern wähnte. Es hört sich weniger wie eine konservative und mehr wie eine FEUDALE Auslegung des Nationalsozialismus an.

 

Mit dem Ingangkommen der Diktatur bat der Gauleiter von Essen, Josef Terboven, in einem Schreiben an Rudolf Hess, „Thyssen durch den ‘Führer’ zum wirtschaftspolitischen Bevollmächtigten für das Ruhrgebiet ernennen und sein Amt mit unbedingter Autorität ausstatten zu lassen“. Anscheinend gab es ein Power-Dreieck bestehend aus Hermann Göring, Gauleiter Terboven und Fritz Thyssen, dessen mediales Sprachrohr die National-Zeitung war. Fritz Thyssen nahm laut de Taillez an den Nürnberger Reichsparteitagen teil. Er war Mitglied des Zentralausschuss der Reichsbank, der Akademie für deutsches Recht und des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik (siehe auch hier). Bis 1938 hatte Fritz auf sich so viele Aufsichtsratsmandate versammelt, „dass er hinter dem Vereinigte Stahlwerke AG Vorstandschef Albert Vögler und dem Bankdirektor der Berliner Handelsgesellschaft, Wilhelm Koeppel, den dritten Rang der Einzelpersonen (einnahm), die im Zentrum der Netzwerke der reichsweiten Wirtschaftselite positioniert waren“.

 

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Die bahnbrechende These von Felix de Taillez ist, dass es ein langer Weg gewesen sei, bis Fritz Thyssen den Bruch mit den Nazis vollzogen habe: „Die 1948 im Spruchkammer-Verfahren von ihm und Weggefährten vorgebrachten Beteuerungen, sich bereits im Laufe der 1930er Jahre demonstrativ abgewendet zu haben (erscheinen) so nur als vorgeschobene leicht durchschaubare Verteidigunsversuche“. Noch 1936 habe er Hitler in einer Tischrede im Düsseldorfer Industrie-Club geradezu manisch verteidigt und dabei sogar Zitate aus „Mein Kampf“ verwendet. Im gleichen Jahr gab er sich in den Worten des Autors „unbelehrbar“, als er denjenigen, die in der Rüstungspolitik der Nazis Vorboten von Krieg sahen vorwarf, sich zu irren. „Hitler allein sei es zu verdanken“, so Thyssen, „dass Deutschland international wieder als gleichwertiger Partner gesehen werde“. Sowohl Gottfried Niedhart in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch der Perlentaucher haben die Interpretation freudig aufgegriffen, Fritz Thyssen sei „keineswegs der mächtige Mann hinter Hitler“, sondern nur „geblendet“ gewesen und habe „wohl wirklich geglaubt, die Aufrüstung diene nicht der Kriegsvorbereitung, sondern dem Ziel, „bündnisfähig zu werden“.

 

Doch weshalb sollte man es glauben, dass ein Mann, dessen Gedankengänge ansonsten so wechselhaft und unzuverlässig waren, ausgerechnet in diesem EINEN, für die deutsche Volksseele so zentralen Punkt (die Befürwortung des Kriegs und der Nazi-Greuel), klar gesehen und wahrhaftig gewesen sein soll? Hört es sich nicht eher wie einen weiteren Versuch an, die lang anhaltende Unterstützung des Nazi-Regimes durch die Thyssens zu verschleiern? Vor allem da Fritz’s angebliches Engagement gegen den Krieg so wichtig für die Fähigkeit der Thyssens war, ihr Eigentum nach dem Krieg von den Alliierten zurück zu erhalten.

 

Und warum, wenn Fritz wusste, wie er 1950 schrieb, dass die Amerikaner Deutschland wiederbewaffnen wollten, um gegen Russland in den Krieg zu ziehen, sagte er sich nicht früher von dieser unheilvollen Allianz los?! Weil auch er einen Krieg gegen die Sowjetunion befürwortete? Oder weil es für ihn wichtiger war, die wirtschaftlichen Gewinne einzufahren, als einen moralischen Standpunkt einzunehmen? Und falls dies so war, wieso geben diese offiziellen Thyssen Biographen weiterhin an, seine Flucht aus Deutschland, als sie denn endlich stattfand, habe einer sittlichen Positionierung entsprochen, nicht einer simplen Bequemlichkeit, wo Fritz doch, so de Taillez, so viele frühere Gelegenheiten versäumt hatte, sich Hitler’s Plänen entgegen zu stellen?!

 

Nachdem Hermann Göring im Sommer 1938 die kriegswirtschaftliche Mobilmachung ausgesprochen hatte, verbreitete Thyssen, so de Taillez, „diese Propaganda durch sein klares Bekenntnis zum Vierjahresplan medial weiter“. Im Februar 1939 wurde er durch Walther Funk, einem Kunden der August Thyssen Bank (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 115) zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Die im Denazifizierungsverfahren vorgebrachten Eingaben, Thyssen „habe sich mit ernsthaften Umsturzgedanken“ getragen und sei mit Widerstandkreisen in Kontakt gewesen bezeichnet de Taillez als müßig, da „verlässliche Quellen fehlen“. Vielmehr bescheinigt de Taillez Thyssen absolute „Tatenlosigkeit“ nach außen bis November 1939, also bis zwei Monate nach Ausbruch des Krieges. Auch bei einer Vorgabe, „nach dem November-Pogrom 1938 habe Thyssen General von Kluge eine enge Kooperation zwischen Industrie und Armee vorgeschlagen, um der NS-Politik ein Ende zu bereiten“ fügt er klärend hinzu: „aufgrund der Quellenlage ist es mehr als fraglich, ob es einen solchen Plan überhaupt gegeben hatte“.

 

Im Prinzip demontiert Felix de Taillez damit komplett die bisher „erfolgreiche Umdeutung“ des Fritz Thyssen zu einem „Bild eines außergewöhnlich frühen ‘fanatischen Gegners’ des Nationalsozialismus, der bereits 1936 im Widerstand aktiv war“, wie sie ab 1948 von Thyssens Rechtsanwalt und PR-Beauftragten Robert Ellscheid herausgegeben worden war (siehe auch hier).

 

Und das ist wirklich „bemerkenswert“!

 

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Laut de Taillez berichtete die englische Presse nach der Flucht Fritz Thyssens in die Schweiz im September 1939, es läge ein internationaler Haftbefehl gegen ihn für Diebstahl, Veruntreuung, Steuerhinterziehung und Bruch deutscher Währungsrestriktionen vor. Thyssen aber drohte Hitler ausgerechnet mit der internationalen öffentlichen Meinung, während er sich gleichzeitig als „stolzer“ Deutscher „mit jeder Faser seines Seins“ dargestellte. Er wolle „die Unschuld der ‘German nation’ an den Entwicklungen“ aufzeigen, schrieb er, während er gleichzeitig sagte, „das deutsche Volk habe in der Zwischenkriegszeit bewiesen, dass es ‘incapable of adjusting itself to democratic institutions’ sei“ (Selbst während seines Denazifizierungsverfahrens 1948 „stand Fritz Thyssen weiterhin auf dem Standpunkt, dass Demokratie keine geeignete Staatsform für Deutschland sei“!).

 

De Taillez qualifiziert seine Einstellung als „naiv“. „Schizophren“ und „dreist“ wäre aus unserer Sicht eindeutig angebrachter. Typisch für den Thyssenschen Allmachtsglauben ist sicherlich auch, dass Fritz zu meinen schien, der Lauf eines von solch langer Hand geplanten Krieges ließe sich durch ein paar simple Äußerungen seinerseits ändern. Die Tatsache, dass es seinem Bruder Heinrich so elegant gelungen war, über seine ungarische Nationalität und seinen sicheren, bequemen schweizer Wohnsitz, sich aus allem Politischen herauszuhalten und dennoch alle finanziellen Vorteile der Thyssen-Unternehmungen im Krieg zu genießen, muss Fritz immens geärgert haben. Dieser Verdruss mag sogar ein Auslöser seiner Flucht gewesen sein. So erstaunt es auch nicht, dass er keine Rücksicht auf Heinrich’s Stillschweigeabkommen mit den Schweizer Behörden nahm (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 132), das er durch seine laute Flucht gefährdete.

 

De Taillez erläutert nun, dass Fritz Thyssen über „geheime Kanäle“ „Kontakt zu Altkanzler Joseph Wirth und westlichen Agenten“ aufgenommen habe und so „in gewisser Weise Teil von Wirths Sondierungsversuchen mit Frankreich und England“ geworden sei. Dann aber sei General Halder, der „bis dahin Anführer der geheimen militärischen Opposition zum Dritten Reich“ gewesen sei „Anfang 1940 eingeknickt“. Der französische Geheimdient, so de Taillez, vermutete hingegen, „dass Fritz Thyssen Kopf einer weitläufigen Geheimorganisation sei, die Deutschland in der Schweiz aufbaue, um den französischen und britischen Einfluss in Europa zu unterminieren“. Gleichzeitig glaubt de Taillez, „unter normalen Umständen wäre Thyssen die Einreise nach Frankreich während des Kriegs verweigert worden. Sein Glück war, dass er den französischen Geheimdienst in der Schweiz hatte überzeugen können, über wichtige Informationen und Einschätzungen zu verfügen, die den Alliierten im Kampf gegen das Dritte Reich nützten“.

 

Es war stets typisch für die ultra-vermögenden Thyssens, sich bei allen wichtig zu machen. Nur dass es diesmal um Krieg ging. Um Zugehörigkeit ging es den Thyssens nie. Sie waren transnational und nur sich selbst, aber keiner einzigen Nation verpflichtet.

 

Gut ablesen lässt sich das auch aus dem Buch „I Paid Hitler“, welches Fritz Thyssen zusammen mit Emery Reves 1940 verfasste und Letzterer 1941 in London und New York veröffentlichte (siehe auch hier). Reves arbeitete laut de Taillez seit 1937 auch mit Winston Churchill zusammen. 1940 soll Churchill Reves „mit dem Aufbau des britischen Propagandaapparats in Nord- und Südamerika“ beauftragt haben (!). De Taillez weiter: „Reves weihte Churchill in die zentrale These Fritz Thyssen’s zur Wiederherstellung des Friedens in Europa ein, die bald öffentlich proklamiert würde: Deutschlands Teilung“ – und zwar in „ein protestantisches Ostdeutschland und ein katholisches Westdeutschland unter einem Wittelsbacher“. Churchill soll diese Ansichten an seinen Geheimdienstberater Major Desmond Morton weiter geleitet haben – obwohl man hier doch wohl Zweifel hegen könnte, wieviel davon O-Ton Fritz Thyssen gewesen wäre, und wieviel eher britischer Propaganda zuzuschreiben sein mag…

 

Dass Fritz Thyssen auch manchmal „bewusst die Unwahrheit gesagt“ (sprich gelogen) haben könnte, ist etwas, was Felix de Taillez auf Seite 459 im Zusammenhang mit Thyssens Aussagen zur Entstehungsgeschichte von „I Paid Hitler“ in den Raum stellt. Es ist ein Anflug von Ehrlichkeit, die eben auch mit „Ehre“ zu tun hat, und die bei so vielen Aussagen der Thyssens und ihrer offiziellen Biografen bislang sehr vermisst wurde. Nachdem sich Thyssen und seine Anwält von dem Buch distanzierten, bestätigte Reves der Spruchkammer, es sei insgesamt von Thyssen diktiert und zu zwei Dritteln von ihm korrigiert worden. Reves bestritt, ein Ghostwriter zu sein, und bezeichnete sich als Herausgeber und Presseagent. Auch brachte er vor, Anita Zichy-Thyssen habe ihm mehrfach für die Veröffentlichung gedankt. Bis heute preisen die Nachfahren von Anita in Süd-Amerika das Buch an und verunglimpfen jeden, der sich kritisch über Fritz Thyssen äussert (siehe hier).

 

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De Taillez hält fest, dass Fritz Thyssen nach seiner Ingewahrsamnahme durch die Alliierten „in Britischen und US-Amerikanischen Wochenschauen als mutmaßlicher Kriegsverbrecher präsentiert“ wurde. Sodann behauptet er: „offenbar taten sich die Amerikaner sowohl mit einer einheitlichen Einschätzung von Thyssens Fall als auch in der Koordination mit den deutschen Behörden noch schwer“. Dies blendet aus, dass der Fall vor allem dadurch erschwert wurde, dass ein Zugriff auf Heinrich Thyssen-Bornemisza in der Schweiz für die Alliierten nicht möglich war und auch, dass es Diskrepanzen zwischen den Briten und den Amerikanern gab, wie die Thyssens zu behandeln seien (die Briten tendierten mehr zu deren Bestrafung). Wilhelmus Groenendijk, der von 1957 bis 1986 dem Finanzmanagement der Thyssen-Bornemisza Gruppe angehörte, erklärte uns gegenüber: „Heinrich wie Fritz waren als Kriegsverbrecher erfasst. Aber von den Niederlanden aus haben wir es geschafft, dass ihre Namen auf der Liste immer weiter nach unten rutschten, bis wir behaupten konnten, dass ihr Vermögen in Wahrheit alliiertes Eigentum sei“ – und daher unmöglich den deutschen Kriegsanstrengungen zugute gekommen sein konnte…. (siehe „Die Thyssen-Dynastie“, S. 240).

 

De Taillez resumiert für Fritz Thyssen dass er sich „trotz erheblicher Differenzen (…) lange Zeit mit dem Dritten Reich arrangierte, da es einen Sockel an Gemeinsamkeiten gab“, nämlich das Ideal des autoritären Staats, die Entmachtung der sozialistischen Arbeiterbewegung und die Revisionspolitik. Dazu kam die Aussicht auf Gewinnsteigerungen der Stahlindustrie. Er schildert dass „der ehemalige Reichskanzler (Heinrich) Brüning (im Nachkriegs-Spruchkammerverfahren gegen Fritz Thyssen) schriftlich erklärte, dass für den Aufstieg Hitlers die Finanzierung aus dem Ausland ausschlaggebend gewesen sei“. Und doch behaupten verschiedene Autoren dieser Serie, inklusive de Taillez, Letzteres sei nichts weiter als eine Verschwörungstheorie. Nichtsdestotrotz macht de Taillez gleichzeitig die bemerkenswerte Feststellung, dass „die oft polarisierenden Äußerungen des Fritz Thyssen in der weltweit am einflussreichsten anglo-amerikanischen Medienwelt bis 1933 positiver bewertet wurden als in der deutschen Öffentlichkeit“ – was doch auf eine Unterstützung des deutschen Rechtsrucks gerade in Großbritannien und den Vereinigten Staaten hinweisen würde.

 

De Taillez schildert Fritz weitaus intimer als Heinrich, und zwar als absurd, agitierend, ambivalent, einflussreich, fast manisch, polarisierend, realitätsfern, eine Reizfigur, selbstüberschätzend, skrupellos, unbelehrbar, uneinsichtig, unklar, ein Unruhestifter, UNSINNIG, zusammenhanglos, zynisch, und, in einer Beschreibung durch Andere, als von einer „mehr als sonderbaren Art“. Viele dieser Charakteristiken treffen sicher auch auf Heinrich zu, denn sie sind nicht zuletzt auf den gierigen Luxus der Familie und die resultierende, hubristische Wirklichkeitsfremdheit zurückzuführen. Nur war Heinrich intelligenter als Fritz und er wusste vor allem, dass man sich in einer gewissen Zurückgezogenheit viel besser tarnen kann, vor allem wenn man in Wahrheit noch skrupelloser ist als sein überlauter Bruder.

 

Felix de Taillez’ Kollege Jan Schleusener („Die Enteignung Fritz Thyssens“) bewertet Fritz Thyssen hingegen als Helden: er sei „der einzige Reichstagsabgeordnete (gewesen), der gegen die Entfesselung des Krieges offen Protest erhob“, was an Thomas Rother’s gleichsam unpassende Aussage erinnert, Thyssen sei der einzige Industrielle in Deutschland gewesen, der an Hitler’s Krieg nicht verdient hätte. Gegenüber Norman Cousins gab Fritz Thyssen, laut de Taillez, anscheinend ein einziges Mal zu, “dass er sich wegen seiner finanziellen Unterstützung Hitlers in den späten 1920er Jahren für den Nationalsozialismus mitverantworlich fühle“. Doch Cousins fiel gleichzeitig unangenehm auf, dass Thyssen „nicht die vielen Verbrechen seit 1933, die politischen Morde, die Zerstörung bürgerlicher Freiheiten und die Verfolgung der Juden als ausschlaggebend für seine Abwendung vom Nationalsozialismus nannte“. Von Heinrich Thyssen-Bornemisza sind zu diesen Thematiken überhaupt keine Äußerungen überliefert.

 

Mehr muss man eigentlich nicht wissen, um einschätzen zu können, ob die angeblich heldenhafte, anti-nationalsozialistische, antimartialische Gesinnung der Thyssens wahrhaftig ist oder ob sie den artifiziellen Diskulpierungen zu verschonender Kriegsprofiteure/-verbrecher (denn sie müssen gewusst haben, dass Hitler’s Krieg ein Vernichtungskrieg sein würde) durch ihre Untergebenen entstammt.

 

Die herausragende Leistung dieses Buches ist es jedenfalls, dass sie die äußerst elitäre Perspektive dargestellt, aus der die Thyssens ihre Rolle im Nationalsozialismus sahen. Bisher ist es der einzige Band der Serie, der nicht nur in akademischen Kreisen, sondern auch in einer der größten deutschen Tageszeitungen besprochen worden ist.

 

Eine ehrliche deutsche Sicht (Foto copyright Lizas Welt:  internet/lizaswelt.net/2011/02/28/volksgemeinschaft-gegen-rechts/

 

 

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Posted in The Thyssen Art Macabre, Thyssen Art, Thyssen Corporate, Thyssen Family Comments Off on Buchrezension: Thyssen im 20. Jahrhundert – Band 6: “Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit. Die Brüder Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza”, von Felix de Taillez, erschienen im Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2017 (scroll down for English version)