Ein Umschreiben der Geschichte – Thyssen im 20. Jahrhundert: Immer noch voller Rechtfertigungen und Beschönigungen, mit einer erheblichen Anzahl von offensichtlichen Auslassungen – aber doch auch einigen, manchmal erstaunlichen Eingeständnissen.

Es hat sieben Jahre seit der Veröffentlichung unseres Buches über die Thyssens im Asso Verlag Oberhausen gebraucht, bis die erste Tranche der „offiziellen“ Thyssen Antwort heraus gekommen ist, in der Form der ersten einer Reihe von acht Büchern, die von der Fritz Thyssen Stiftung und der neuen Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen finanziert, und vom böswilligen Professor Manfred Rasch, Leiter des ThyssenKrupp Konzernarchivs, orchestriert werden; dessen Voreingenommenheit sich in der Tatsache manifestiert, dass auf unser Buch zwar oft Bezug genommen, es aber nie zitiert wird.

Prof. Rasch schafft es sogar, unsere Existenz zu verleugnen, indem er behauptet, der verstorbene Baron Heini Thyssen-Bornemisza sei zeitlebens mit seinem Vorhaben gescheitert, eine authorisierte Biografie in Auftrag zu geben.

Nach einigen Verzögerungen sind 2014/5 die ersten drei Bücher der Serie erschienen: „Die Vereinigte Stahlwerke AG im Nationalsozialismus“; „Zwangsarbeit bei Thyssen“ und „Die Thyssens als Kunstsammler“. Wir werden alle drei in den kommenden Wochen rezensieren.

Erstaunlicherweise sind die Autoren der Bücher alle jüngere Akademiker, ohne bzw. mit geringer bisheriger Kenntnis oder praktischer Erfahrung des jeweiligen Themas, und die als „unabhängige Historiker“ beschrieben werden. Es heisst, sie würden „eine Forschungslücke“ in der Geschichte der Thyssen Familie, der ThyssenKrupp AG und der Thyssen-Bornemisza Gruppe „schließen“.

Da diese Autoren jedoch von eben diesen Personen, Unternehmen und assoziierten Stiftungen beauftragt, gesponsort und unterstützt worden sind ist es nicht zutreffend, sie als „unabhängig“ zu beschreiben. Solch eine Aussage ist vielmehr im besten Falle irreführend und im schlimmsten Falle betrügerisch.

Im Falle des herausragenden Investors in diese Arbeiten, die in weiten Teilen nichts anderes als akademische Hagiografien zu sein scheinen, sollte man sich daran erinnern, dass die Fritz Thyssen Stiftung von Amélie Thyssen gegründet wurde, die der NSDAP bereits 1931 – also zwei Jahre vor ihrem Mann Fritz Thyssen – beigetreten war, und die niemals öffentlich bereut oder ihr Bedauern für ihre Unterstützung Adolf Hitler’s zum Ausdruck gebracht hat.

Man muss sich auch fragen, warum nicht erfahrenere Akademiker mit erwiesenem Wissen und Fähigkeiten für dieses wichtige und heikle Program gewonnen werden konnten. Es ist anzunehmen, dass dies entweder darauf basiert, dass die Junioren „formbarer“ sind oder darauf, dass die höher gestellten Wissenschaftler nicht bereit waren, ihren eigenen Ruf zu gefährden, um die trübe Geschichte der Thyssens aufzupolieren.

Hierbei ist für die beaufsichtigenden Projektleiter Prof. Margit Szöllösi-Janze (Universität München) und Prof. Günther Schulz (Universität Bonn) die Übergangslinie hin zur akademischen Hurerei wohl schon sehr verschwommen, da generell in den letzten 55 Jahren so viele akademische Forschungsprojekte in Deutschland von eben dieser Fritz Thyssen Stiftung finanziert worden sind. Es dürfte äusserst schwierig sein, sich von dieser ewiglich betriebsbereiten Stipendien-Pumpe zu emanzipieren.

Demgegenüber beschuldigte uns Manfred Rasch während unseres Besuchs im Archiv der ThyssenKrupp AG 1998 nicht nur, das Empfehlungsschreiben von Heini Thyssen gefälscht zu haben, er war auch extrem unkooperativ und behauptete, mit der Geschichte der Thyssen Familie, von der er in negativen Tönen sprach, nichts zu tun zu haben. „Sein“ Archiv enthalte kein Material über die Thyssen Familie, sagte er. Die Frage lautet also: Was hat sich verändert, dass er nunmehr ein Mitwirkender bei diesem Projekt ist?

Wir nehmen an, es war unsere Publikation “Die Thyssen-Dynastie. Die Wahrheit hinter dem Mythos” und die ungünstige Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, da dies der Zeitpunkt zu sein scheint, an dem das akademische Programm der Schadensbegrenzung von ihm, der Familie und dem Unternehmen in Gang gesetzt wurde.

Guido Knopp, die graue Eminenz der deutschen TV-Geschichts-Dokumentation, hat in einem seiner Programme gesagt, „unsere Generation ist nicht verantwortlich, für das, was unter den Nazis geschehen ist, aber sie ist umso verantwortlicher für das Erinnern daran, was passiert ist.“

Im Licht der Thyssen Geschichte wirft dies die Frage auf: wie sollen wir die Geschichte der Nazi-Ära angemessen recherchieren und daran erinnern, wenn Menschen wie die Thyssens 70 Jahre lang auf den Beweismaterialien sitzen und sie nur einigen Personen unter privilegierten, akademischen Kriterien zur Verfügung stellen und sie so der Wahrnehmung durch die allgemeine Öffentlichkeit entziehen?

Das Resultat solch einer undurchsichtigen Aufarbeitung kann nur eine Beschönigung sein und diese Serie, genauso wie etliche Bücher die in der Vergangenheit von der Thyssen Organisation unterstützt wurden, enthält davon ganz offensichtlich sehr viel. Und wenn nicht in Fakten, dann in Mutmaßungen.

Doch soweit es ersichtlich ist werden in diesen Büchern auch einige wichtige Eingeständnisse gemacht, vermutlich damit ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit eingehalten werden kann, oder vielleicht auf Druck der am meisten voraus denkenden Mitglieder des Teams. Diese Tatsache bestätigt für uns den Wert der Zeit und Anstrengung, die wir darin gesteckt haben, das erste ehrliche Portrait überhaupt der Thyssen Familie und ihrer Aktivitäten zu zeichnen.

Es freut uns, dass wir damit den angestrebten Effekt erzielt haben, nämlich die Organisation dazu zu bewegen, von der alten Version der Geschichte abzurücken, welche sich weigerte überhaupt etwas zuzugeben, das negativ ausgelegt werden konnte und die Thyssens immer nur im Licht eines selbstlosen Heldentums und makellosen Stolzes darstellte, die sich besonders in einer angeblichen Abwendung von den Idealen der Nazis äusserten.

Ein 94 Jahre alter, ehemaliger Auschwitz-Buchhalter, Oskar Gröning, der selbst nie an Tötungen beteiligt war, wurde vor Kurzem zu vier Jahren Haft verurteilt. Er zeigte große Reue und entschuldigte sich für seine Mitwirkung am Massenmord, eine Haltung, die nicht von vielen seiner Mitbeschuldigten gezeigt worden ist, falls überhaupt jemals in dieser Form.

Es fühlte sich an wie eine Äußerung, die abgestimmt war, um ein neues Bild von Aufarbeitung zu präsentieren, eine offenere, ehrlichere Aufarbeitung, die auch mit den Opfern mitfühlend ist. Oder vielleicht ist Herr Gröning nur ein besonders erleuchteter Mensch.

Außer Herrn Gröning’s Äußerung kommentierte der Staatsanwalt dann noch folgendermaßen: Auschwitz hätte nicht nur mit einzelnen Straftaten zu tun gehabt, sondern sei ein „System“ gewesen, und „jeder der zu diesem System beigetragen“ habe, sei „verantwortlich“.

Die Thyssens haben in vielfältiger Weise und sehr viel mehr als viele andere zum Nazi System beigetragen, zum Beispiel indem sie halfen, Hitler’s Truppen so massiv zu bewaffnen, dass in weiten Teilen Europas das Nazi-Terrorregime eingerichtet werden konnte. Ihre Nachfahren, die von den unmoralischen Gewinnen ihrer Ahnen (und Ahninen) profitiert haben, und dies noch tun, haben sehr viel mehr Grund als die allgemeine deutsche Öffentlichkeit heute, sich zu entschuldigen und sicherlich daran zu erinnern, was genau geschah.

Die Frage ist: werden sie je eine ähnliche Äußerung abgeben, wie dies Oskar Gröning getan hat?

Und noch wichtiger: falls nicht, warum nicht?

"Wer die Musik bezahlt bestimmt die Melodie". Amelie Thyssen, die ewige Sponsorin (copyright Fritz Thyssen Stiftung)

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